Samstag, 8. Februar 2020

Rebirth

[ konservativ | lyrisch | umfangreich ]

Eine der seltsamen Sachen daran, so jung wie ich zu sein ist, dass ich dem künstlerischen Phänomen Lil Wayne in meinem Leben erst zu einem Zeitpunkt begegnet bin, als seine beste Phase angeblich schon vorbei war. Als ich anfing, mich für Musik zu interessieren, veröffentlichte er gerade sein berüchtigtes Crossover-Debakel Rebirth, das ihn für ein paar reichliche Jahre zur gemeinsamen Hassfigur der Rock- und Hiphop-Szene machte und mir beibrachte, dass dieser Typ wohl eine Witzfigur sein musste. Dass er gar nicht so lange davor als einer der innovativsten und talentiertesten Künstler im Rapgame galt und mit seinen Mixtapes und nicht zuletzt dem modernen Klassiker Tha Carter III prägende Impulse für die Trap-Bewegung des letzten Jahrzehnts gesetzt hatte, war mir damals gänzlich unbekannt. Und es brauchte tatsächlich erst diese jungen Rapper*innen, die seinen Output als rückblickend wesentlichen Einfluss anerkannten, um das überhaupt festzustellen und den Charaker Lil Wayne ernst zu nehmen. Was in den letzten Jahren immerhin dazu geführt hat, dass ich mir seine Platten mit weniger ironischer Distanz anhören kann. Ein guter Musiker blieb er bis dato trotzdem immer nur theoretisch. Denn egal wie genial seine ollen Mixtapes und früheren Sachen auch gewesen sein mögen, seit einer ganzen Weile kann er diese Qualität auf neueren Releases nun schon nicht mehr abrufen. Mehr oder weniger seit Tha Carter IV von 2011 ist er einer dieser Rapper geworden, die nur noch Alben machen, auf denen sie ihren typischen Stiefel auf 20 Tracks in 90 Minuten copy-pasten und versuchen, damit alle Fan-Erwartungen halbherzig abzudecken, so richtig aber nichts machen. Mühe scheint sich Weezy für seine Musik schon seit einer gefühlten Dekade nicht mehr zu geben und auch wenn sein lyrisches Genie ab und an nochmal durchblitzt, hat es inzwischen ebenfalls mächtig Patina angesetzt. Und dass mit Funeral nun ein weiteres dieser sinn- und ziellosen Mixtape auf dem Plan stand, von denen es zuletzt schon ein paar zu viel gab, war eigentlich schon wieder ein Grund für mich, ihn weniger ernst zu nehmen. Ich war die letzten Tage tatsächlich auch daruf und dran, mir den ausführlichen Hördurchgang der LP zu schenken und Weezy einfach Weezy sein zu lassen. Doch bin ich inzwischen froh, dass ich es letztlich doch noch gemacht habe, denn das hier ist höchstwahrscheinlich die beste Platte, die der Junge seit einer ganzen Weile gemacht hat. Nicht genial oder atemberaubend oder so, aber schon eine wesentliche Steigerung zu seinem gesamten jüngeren Output. Und der wesentliche Grund dafür ist eigentlich auch nur, dass Wayne es hier ein bisschen lockerer angeht. Funeral ist ganz klar eines dieser Projekte, dass der Rapper veröffentlicht, um bis zu seinem nächsten richtigen Album kein zu großes Vakuum zu erzeugen und ist folglich keine besonders ambitionierte Angelegenheit. Ein paar Producer basteln ein paar Beats, Weezy schreibt eine Handvoll Strophen, für die Abwechslung werden ein paar Kollegen als Feature-Parts eingefolgen und dann wird der Mist aufgenommen. Keine große Sache an sich und nichts, was diesem Künstler viel abverlangt. Nur scheint Lil Wayne diesmal ausnahmsweise wieder Bock darauf gehabt zu haben, denn egal wie simpel die Dinge sind, die er hier tut, sie sind ausgesprochen erfolgreich. Den Texten auf dieser Platte hört man wieder den pubertären Schalk im Nacken an, der diesen Typen früher so cool machte, seine Punchlines sind weird und auf den Punkt und sein Flow klingt zumindest nicht komplett wie auf fünf Litern Hustensaft hängengeblieben. Das was den Vorgängern von Funeral fehlte, nämlich die Leidenschaft des eigenen Hauptinterpreten und der Spaß am eigenen Tun, ist hier ganz plötzlich wieder da und wie durch ein Wunder braucht Weezy nichts vom ganzen Schnickschnack der letzten Jahre, um eine ganz passable Energie auszustrahlen. Wobei es natürlich hilft, dass er außerdem gute Beats versammelt und die Features stimmen. Instrumental erinnert mich vieles an diesem Album an die neuen Sachen von Future, insofern es geschafft wird, einen relativ kohärenten Sound hinzubekommen und nicht tausend verschiedene Stile ausprobieren zu wollen. Das ist zwar nicht unbedingt superkreativ, es macht aber Platz für die Performance von Wayne, die diese Songs dann meistens auch tragen kann. Und wenn es doch mal langweilig wird, hat die LP fast immer einen Gastpart zur Hand, der das ganze auflockert. Ob das nun Big Sean, Lil Baby, Jay Rock, 2 Chainz, Takeoff oder eine Konserve von XXXtentacion ist, ist eigentlich relativ egal, denn meistens passt das stilistisch ganz gut. Selbst der Auftritt von Maroon 5-Frontmann Adam Levine ist wesentlich weniger schlimm, als man das bei ihm vielleicht befürchten würde, wenngleich auch weit entfernt von hochwertig. Und mit OT Genasis erleben wir hier sogar das kleine Comeback eines Rappers, den sicher nicht nur ich schon wieder komplett vergessen hatte. Ein Geniestreich ist das in seiner Gesamtheit am Ende nicht und platzt mit 76 Minuten Spielzeit schon wieder mächtig aus den Nähten, doch übertrifft es meine Erwartungen doch ziemlich. Als jemand, der von Lil Wayne bisher wirklich nur die unterste Schublade kannte, ist ein so okayes Album wie Funeral eine kleine Offenbarung und zeigt, dass es eben doch noch geht mit den guten Rapsongs. Und erfahrungsgemäß sind es für mich am Ende immer diese zurückgelehnten, entspannten Mixtape-Projekte, bei denen so eine Rehabilitation funktioneren kann. Zwar ist bei Weezy in dieser Hinsicht sicher noch Luft nach oben, aber man soll ja mit dem arbeiten, was man hat. Und dass er diesen Schritt 2020 nochmal macht und mit so einer Energie dabei ist, ist ja nicht nichts. Und selbst wenn es ab jetzt nur noch grauenvolle Platten von Lil Wayne gibt und alles wieder bergab geht, kann ich mir jetzt wenigstens sagen: Hier war er nochmal auf seinem Level.



Klingt ein bisschen wie
Migos
Culture II

Dababy
Kirk

Persönliche Highlights
Mahagony | I Do It | Dreams | Clap for Em | Wild Dogs | Harden | I Don't Sleep | Ball Hard | Bastard (Satan's Kid) | Line Em Up | Darkside | Never Mind | Wayne's World

Nicht mein Fall
Not Me | Piano Trap

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