Sonntag, 9. Februar 2020

Bad Habits

[ zahm | melodisch | überproduziert ]

Dass Green Day mittlerweile eine Band sind, die durchaus die Vorzüge davon genießt, nicht mehr alle zwei Jahre eine neue Platte machen zu müssen, empfinde ich als eine sehr gute Sache. Im Endeffekt vor allem für sie selbst, denn auch ich kann mich noch sehr gut an Zeiten erinnern, in denen das undenkbar war. In denen es bei den Kaliforniern unter einer dreiteiligen Rockoper nicht mehr ging und unermüdliche Tour- und Promotermine die Band merklich auszehrten. Innere Quärelen, Drogeneskapaden und ein konsequent explosiver und genervter Billie Joe Armstrong waren die unschönen Begleiterscheinungen dieser exzessiven Burnout-Attitüde und dass man 2013 in Form eines Tourstopps und einer Erntzugskur für den Frontmann mal wieder die Notbremse ziehen musste, war mehr als ein Alarmsignal für Green Day. Ganz davon zu schweigen, dass auch ihre Musik zu dieser Zeit an einem kreativen Tiefpunkt war. Allerdings schafften sie es seitdem gleichermaßen konsequent, aus der Erfahrung zu lernen und sich in einem beachtlichen Phönix-aus-der-Asche-Ruck wieder aufzuraffen. Mit Revolution Radio gab es 2016 bisher nur ein weiteres Album von ihnen, das auch demonstrativ locker und unspektakulär daherkam, musikalisch aber wieder voll am Start war. Green Day klangen hier so entschlackt und rockig wie lange nicht mehr und schrieben tolle Songs ohne jeglichen Schnickschnack. Es war das fast romantische Happy End einer dramatischen Rockstar-Legende und der Beginn einer Phase, in der diese Band es nicht mehr nötig hatte, Rockstars zu sein, sondern lieber auf sich selbst aufpassten. Und Stand 2020 scheint das noch immer das generelle Leitmotiv zu sein. Denn vier Jahre nach Revolution Radio wurde sich für Father of All Motherfuckers nicht gerade ein Bruch gehoben: Gerade mal 26 Minuten neue Musik haben Green Day hier aufgenommen, Promo gab es verhältnismäßig wenig und wenn überhaupt, konzentrierte diese sich darauf, wie bodenständig und geradeaus das neue Album doch ist. Und im Prinzip empfinde ich das als den absolut richtigen Schritt. Klar ist es nicht viel, aber ein neues 21st Century Breakdown hätte nun wirklich niemand von ihnen gewollt, am allerwenigsten wahrscheinlich sie selbst. Nur stellt sich für mich in dem Zusammenhang ein paar wesentliche Fragen: Wenn das Ziel der ganzen Entschlackung und Verkleinerung ist, dass man wieder Spaß an der eigenen Musik hat (wovon ich mal ausgehe), warum klingt diese LP dann so unglaublich gequält und aufgesetzt? Und wenn Green Day hier angeblich wieder "100% uncut rock" machen wollen, wieso tun sie das nicht einfach? Um es auf den Punkt zu bringen: Dieses Album ist mir ein ziemliches Rätsel. Es geht dabei nicht mal darum, dass sich hier wieder mehr in Richtung Pop orientiert wird und es ein gewisses Kitsch-Potenzial gibt. Das hat diese Band schon früher gemacht und eigentlich kann sie das sehr gut. American Idiot und Dookie sind bis heute die eindrucksvollen Beweise dafür und vielleicht ihre besten Platten überhaupt. Nur hatte man dort nicht das Gefühl, dass Green Day sich anbiedern, diesmal hingegen schon. Das Songwriting variiert hier von miserabel bis ganz okay, so gut wie alle Instrumente klingen grauenvoll und flach, inhaltlich reduziert sich das meiste auf pseudo-rebellische Punchlines und insgesamt scheint zu gewissen Teilen eben jene Energie weg zu sein, die das letzte Album so verheißungsvoll machte. Wäre Father of All... zwei Jahre nach Tré erschienen, wäre das plausibel gewesen. Eine ausgelaugte Band schöpft die letzten Reserven aus und macht auf grantig, weil das ihren Marktwert ausmacht. Aber diese Art von Band sind Green Day doch inzwischen nicht mehr, oder? Am Ende vielleicht doch. Es gibts hier eine handvoll Songs wie Graffitia, Sugar Youth oder Stab You in the Heart, die einen Funken experimenteller Motivation in sich tragen und vor allem von Fünfziger- und Sechziger-Rock'n'Roll beeinflust sind. Auf denen hört man dann tatsächlich ein bisschen Leidenschaft und Energie und zumindest ich finde sogar, dass dieser Sound sehr gut zum Style der Drei passt. Nur werden diese Ansätze von Tracks wie Oh Yeah! oder Meet Me On the Roof übertüncht, die einfach nur ziemlich lahm und vorhersehbar sind. Vor allem Armstrongs Stimme leidet hier und man fragt sich, ob auch nur eine Sekunde seines Gesangs auf diesen Tracks im Studio so geklungen hat. Erschwerend hinzu kommt dann noch die unfassbar klischeehafte Komposition und furchtbar nerviges "Ooooh!" und "Ahhhh!"-Hintergrund-Schalala in gefühlt jeder zweiten Zeile, und fertig ist eine Ästhetik, die sich anfühlt wie ein Deep Learning-Algorithmus für Green Day-Songs statt der Band selbst. Father of All... ist am Ende kein Totalausfall, weil besagte paar gute Momente wirklich viel retten, in denen das Talent dieser Gruppe nach wie vor strahlt, die generelle Richtung der LP ist aber keine besonders aussichtsreiche. Stellenweise finde ich, dass sogar das berüchtigte Fake-Album, das letztes Jahr von ein paar Fan-Trollen veröffentlicht wurde besser klingt als das hier, und das ist als Bilanz schon ein ganz schöner Reinfall. Aber keine Sorge: Um das mieseste Green Day-Album zu werden, reicht es für diese LP trotzdem bei weitem nicht, denn dieses Privileg gebührt nach wie vor drei ganz bestimmten Platten. Und die will ich aus gutem Grund hier nicht noch mal aus der Verdränung zerren.



Klingt ein bisschen wie
the Black Keys
El Camino

Weezer
Weezer (the Black Album)

 Persönliche Höhepunkte
I Was A Teenage Teenager | Stab You in the Heart | Sugar Youth | Graffitia

Nicht mein Fall
Father of All... | Fire, Ready, Aim | Oh Yeah! | Meet Me On the Roof | Junkies On A High


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