Mittwoch, 26. Februar 2020

Rauschfilter

[ actiongeladen | mainstream | umfangreich ]

Man muss sich 2020 meiner Meinung nach gar nicht mehr die Mühe geben, in einer Besprechung über BTS zwingend ihre Herkunft zur Disposition zu stellen, denn nach allen Regeln des Business ist das Septett aus Seoul eigentlich eine klassische Boyband. Sie machen die typische Musik, sie haben ein sehr klares Image und auch ihre Fanbase hat auffällig viele Attribute mit denen gemeinsam, die zu anderen Zeiten One Direction oder Take That hatten. Man könnte sogar argumentieren, dass die Koreaner momentan die populärsten Vertreter dieser Gattung Band an sich sind. Und dass sie auf ihren neueren Alben regelmäßig mit Künstler*innen aus den USA zusammenarbeiten und dort bisweilen auch den gleichen Erfolg haben wie heimische Acts, macht die ohnehin dämliche Einordnung K-Pop für sie (wie für viele ähnliche Gruppen) eigentlich überflüssig. Der einzige wesentliche Unterschied bei ihnen ist, dass sie noch immer zum überwiegenden Teil in ihrer Landessprache singen und ab und zu auch rappen, aber dem Ganzen am Ende einen anderen Namen zu geben als einfach nur Popmusik ist doch Haarspalterei. Und ganz generell finde ich es auch cool, dass solche Phänomene in der heutigen Mainstream-Welt Platz haben und diese Band zumindest ein Tropfen auf den heißen Stein des nervigen Anglozentrismus ist, zumal BTS ja allem Anschein nach auch gute Songs schreiben können. Ich für meinen Teil gehöre zwar zu den Leuten, die die Exportwelle ostasiatischer Acts lange ignoriert haben und behaupte keineswegs, ein Experte zu sein, doch zumindest ihre letzten beiden Platten habe ich gehört und war davon durchaus positiv überrascht. Im Gegensatz zu meinen anfänglichen Erwartungen ist diese Gruppe nicht mal halb so belanglos und unkreativ, wie ich zunächst vermutet hatte und auch wenn ich so schnell ganz sicher kein Fan werde, war ich auf ihr neuestes Großprojekt doch ziemlich gespannt. Wobei die Bezeichung Großprojekt in deutlicher Abgrenzung zu ihren sonstigen Alben gemeint ist, die seit einigen Jahren das Release-Muster von BTS bestimmen. Wo Platten wie ihre letzte Map of the Soul: Persona mit etwa 40 Minuten Länge und diverse vereinzelte EPs und Singles für sie meistens eher eine Art Aufwärmübung sind, gibt es alle paar Jahre jene umfangreiche Bombast-Releases, die gerne mal an die zwei Stunden dauern und den Kern ihrer Diskografie darstellen. Die letzte davon war Love Yourself 轉 Tear von 2018, was bedeutet, dass die Band für ihre jüngste große Nummer nicht mal zwei Jahre gebraucht hat. Map of the Soul: 7 ist mit "knappen" 74 Minuten zwar ein ganzes Ende kürzer als sein Vorgänger, was aber trotzdem nicht ohne ist. Zumal BTS nicht unbedingt diejenigen sind, die eine solche Spielzeit zur klanglichen Diversifizierung nutzen. Man muss der Fairness halber sagen, dass sie das auch nicht so nötig haben wie gewisse andere Leute, denn wenigstens geben sie sich große Mühe, auf Füllersongs zu verzichten und mit ihrer Mixtur aus Rap und Gesang sowie einem Repertoire von immerhin sieben Vokalisten stehen sie schon von Vornherein relativ vielfältig da. Der schlauchende Effekt der Überlänge ist auf 7 ganz sicher nicht so enervierend wie bei so manchem Rapper in letzter Zeit und einzeln für sich sind viele Tracks hier ziemliche Hits. Die unglaubliche Häufung von Stücken, die auch ab und an ziemlich identische Formen wiederholen, sorgt aber letztendlich trotzdem dafür, dass die Platte spätestens nach der Hälfte zu ziemlichem Rauschen übergeht, in dem es für einen wirklichen Aha-Moment eben mehr braucht als einen generischen Trap-Beat oder die ein oder andere Ballade zwischendurch. Wirklich schlecht wird das Album dadurch nie, nur irgendwie ein bisschen egal. Und es ist sehr eindeutig, dass dafür im wesentlichen die Länge verantwortlich ist. Man kann es ja teilweise sogar direkt vergleichen. So gut wie alle Songs, die letztes Jahr auf Persona zu hören waren, tauchen hier ein weiteres Mal auf, nur sind sie im neuen Kontext bestenfalls halb so knackig und kreativ wie auf dem knapperen Kleinformat eine Saison zuvor. In dieser Hinsicht erinnert mich diese LP extrem an den Eurovision Song Contest. Wenn man sich mit dem klanglichen Maßstäben angefreundet hat, sind viele Stücke dabei für sich ziemlich interessant, nur ist man nach einer Weile eben nicht mehr mit der gleichen Euphorie und Konzentration dabei wie am Anfang. Und es ist mir auch absolut klar, dass diese Platte nicht dafür gemacht wurde, um durchgehört zu werden. Die massenweise Aufhäufung von Hits dient im Jahr 2020 hauptsächlich der Erzeugung von Streamingzahlen, bei der jeder Song mehr auch mehr Kohle bedeutet. Und am Ende des Tages sind BTS ja auch immer noch eine durchweg kommerzielle Band, die in solchen Mustern funktioniert. Trotzdem heißt das noch lange nicht, dass man deshalb ein schlechteres Album machen muss und wie wir an Leuten wie Drake sehen, geht auch beides. Map of Soul: 7 steht in meinen Augen am Ende zwar schon auf der Gewinnerseite solcher Alben, die rationalisierten Algorithmus-Pop und kreative Ansprüche ganz gut vereinen, allerdings nur durch ihr echt gutes Songwriting und ihr instinktives Gespür für Hits. Und das ist dann wiederum frustrierend, denn mit etwas mehr Fokus, Kontext und künstlerischer Filtration könnte diese Band eine wirklich geniale Pop-Platte machen. Momentan muss man die Spreu noch sehr vom Weizen trennen, was enervierend sein kann. Aber daran müssen wir uns wahrscheinlich einfach gewöhnen.



Klingt ein bisschen wie
Ariana Grande
Thank U, Next

Ed Sheeran
X

Persönliche Höhepunkte
Boy With Luv | Dionysus | Black Swan | ON | UGH! | Inner Child | Respect | We Are Bulletproof: the Eternal

Nicht mein Fall
-


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen