Samstag, 15. Februar 2020

Plötzlich Partyboy

[ klangkonzeptuell | tanzbar | technoid ]

Nicolas Jaar selbst hatte sich das ganze bestimmt auch anders vorgestellt, als er vor ziemlich genau zwei Jahren das erste Mal unter dem Namen Against All Logic ein Album veröffentlichte. Nachdem er sich zuvor ein halbes Leben lang als experimenteller Ambient- und Plätschermusik-Produzent mit Mühe und Not ein Profil aufgebaut hatte und in seiner musikalischen Nische zu einem beschaulichen Ansehen gekommen war, war es wahrscheinlich nicht unbedingt sein Plan, diese Diskografie mit irgendwelchen hedonistischen Dancepop-Schnellschüssen zu torpedieren. Und dass er seit inzwischen sechs Jahren an Demos von schrulligen House-Beats bastelte, war eigentlich auch eher eine witzige Nebenbeschäftigung als sein voller Ernst. Es erschien deshalb nicht abwegig, das entstandene Material zwar endlich mal gescheit zu veröffentlichen, allerdings unter einem Pseudonym, das möglichst wenige Berührungspunkte mit Jaars Identität hatte. Und so erschien im Februar 2018 mit wenig PR-Hokuspokus Against All Logics erste LP 2012 - 2017, die eigentlich nicht mehr sein sollte als ein kleines Blitzlicht in den musikalischen Hobbykeller des New Yorkers. Doch wie es immer bei solchen Projekten ist, wurde die Sache in dem Moment zum effektiven Selbstläufer, als die Identität des Hintermannes erkannt wurde und plötzlich alle über diese Platte redeten. Die Elektro-Noobs, weil sie sich jetzt in die illustren Kreise derer einreihen konnten, die Leute wie Nicolas Jaar cool fanden, die Fans des Producers, weil ihr Lieblingskünstler plötzlich populär wurde und die puristische House-Fraktion war empört, wie sich das hier in ihre Szene einmischen konnte. Eines kam dabei zum anderen und Stand 2020 könnte man fast argumentieren, dass Against All Logic eine bekanntere Marke geworden ist als Jaar selbst. Was bei aller Skurrilität auch ein bisschen absehbar ist, denn im Vergleich zur entrückten Flächenmusik, die der New Yorker sonst veröffentlicht, ist 2012 - 2017 mit seinen schmissigen Dancefloor-Nummern und bratzigen Jams ein echter Hingucker. Weshalb es auch nicht verwunderlich ist, dass Jaar in den letzten zwei Jahren nochmal die letzten Winkel seines Archivs durchwühlt hat und hier ein weiteres Konglomerat an Tracks aus dem Hut zaubert, das die Sensation von Against All Logic fortführt. Strukturell ist 2017 - 2019 dabei ähnlich aufgebaut wie bereits sein Vorgänger: In 45 Minuten gibt es insgesamt neun Stücke, die musikalisch eine Spannweite von Acid House über Minimal Elektro bis Drum & Bass beackern und dabei mal mehr und mal weniger tanzbar sind. Angelegt ist das ganze als eine Art Set, das in der digitalen Version leider nicht ganz sauber zu Ende produziert ist, weshalb ich, solltet ihr das hier anregend finden, gleich an dieser Stelle zur Investition in ein gutes Vinyl rate. Denn abgesehen von derlei technischem Mumpitz ist 2017 - 2019 erneut eine ziemlich geniale Platte. Zwar ist die Kritik der Szene-Puristen, das hier wäre ja gar kein richtiger House, durchaus berechtigt, denn die pumpenden Hochglanz-Beats, die man klassischerweise kennt, gibt es hier nicht, dafür bringt Jaar jede Menge Persönlichkeit in diese Songs ein. Wirkungsvoll spielt er Elemente aus Hi-Fi und Lo-Fi gegeneinander aus (in Fantasy gibt es diesen zu Tode übersteuerten Drumbeat, der aber in perfektem Surround produziert ist), arbeitet viel mit diversen Samples und spannt einen sehr stimmigen klanglichen Bogen über das gesamte Album, den ich sehr ansprechend finde. Fantasy beginnt die LP sehr moderat als experimenteller, aber dennoch chilliger Moodsetter, in dessen Folge sich die Spannung zunächst immer mehr verdichtet. With An Addict zieht danach mit schwurbeligen Drum & Bass-Percussions langsam das Tempo an und transferiert die Ästhetik in etwas zwielichtigeres Territorium, das im Kern der Platte dann komplett ins berghaineske umkippt. Tracks wie If You Can't Do It Good, Do It Hard oder Alarm sind finstere House-Brocken mit brutalistischem Techno-Charme, die bisweilen sogar Einflüsse aus Trap und Hardcore (das elektronische) andeuten. Faith kühlt diese aufgereizte Stimmung zum Ende langsam wieder ab und schafft eine wesentlich gemächlichere Atmosphäre, die fast schon wieder in Richtung Ambient geht. Penny klingt wie ein Track vom letzten Bibio-Album und der Closer You (Forever) ist für Against All Logic-Verhältnisse schon fast ein Nicolas Jaar-Song. Die kleine Reise, die diese LP damit durchlebt und die die jeweilige Atmosphärik äußerst wirkungsvoll auf- und abbaut, schafft ein sehr anregendes Hörerlebnis und zeigt nicht zuletzt, dass diese Songs sehr wahrscheinlich nicht mehr von Jaars Resterampe kommen, sondern zielführend komponiert wurden. Und warum auch nicht? Against All Logic ist inzwischen ein Projekt, das seinem Schöpfer nicht nur eine überraschend lukrative zweite Einnahmequelle bietet, sondern auch wesentlich mehr als ein Hobby für ihn sein dürfte. Nicolas Jaar scheint an seinem Dasein als tanzbarer House-Provokateur seine Freude gefunden zu haben, sonst würde es dieses Album jetzt wahrscheinlich gar nicht geben. Geschweige denn, dass es so gelungen geworden wäre. Wie lange diese Phase noch geht oder ob wir von jetzt an regelmäßiger solche Musik von ihm hören werden, steht dabei noch in den Sternen, aber selbst wenn das hier das Ende des Intermezzos von Jaar ist, war es doch ein ebenso spannender wie schöner Ausflug. Einer, der vielleicht irgendwann mal in einem Atemzug mit the Postal Service, Atoms for Peace oder Moderat genannt wird. Über seinen Schöpfer wird man zumindest ab jetzt nicht mehr reden können, ohne Against All Logic zu erwähnen. Danke, Internet.



Klingt ein bisschen wie
Matmos
Plastic Anniversary

Kane West
Expenses Paid

Persönliche Höhepunkte
If Loving You is Wrong | With An Addict | If You Can't Do It Good, Do It Hard | Alarm | Deeeeeeefers | Faith | Penny | You (Forever)

Nicht mein Fall
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