Donnerstag, 13. Februar 2020

Flavours of Love 2020: Die Valentinstagsplaylist

Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich es mir dieses Jahr vielleicht spare, so eine Playlist zu machen, weil die ganze Sache ehrlich gesagt ein bisschen kompliziert wird. Der Anspruch, den ich hier einmal pro Saison an mich stelle, 20 empfehlenswerte Lovesongs aufzulisten, die nicht unbedingt zu den berüchtigten Valentinstags-Klassikern gehören und noch dazu aus diversen Dekaden kommen, nicht immer von den selben Künstler*innen sind und nach Möglichkeit auch zu gleichen Anteilen von Frauen* und Männern* geschrieben wurden, ist eine Aufgabe, die mich Jahr für Jahr mehr Zeit kostet. Trotzdem habe ich es mir letztendlich auch 2020 nicht nehmen lassen und bin mit dem Ergebnis sogar mal wieder sehr zufrieden. Auch wenn die meisten dieser Stücke wohl eher nichts fürs zweisame Candle-Light-Dinner, das erste Date oder die abendliche Kuschel-Session sind. Viel mehr ist es eine Feldstudie in die großartige Vielschichtigkeit musikalischer Ausdrucksformen von Romantik, bei der ich euch hoffentlich die ein oder andere Anregung geben kann. Denn egal wie viel schwerer das Thema jedes Jahr wird, auch 2020 gibt es sicherlich kein Thema, über das so viele Lieder geschrieben werden wie über Liebe.


Die Liste zum anhören auf Spotify



FATHER JOHN MISTY
I Love You, Honeybear (2015)
Wie so ziemlich alles, was Father John Misty dieser Tage schreibt, klingt auch sein bis heute größter Lovesong überaus düster und apokalyptisch. Gerade dadurch wird der Titeltrack seines zweiten Albums aber so feierlich und ehrlich, da er mit großen Gesten die Fehler und Psychosen einer Partnerschaft feiert und eine Welt, schildert, die in Flammen aufgeht, während das lyrische wir dieses Stücks händchenhaltend dabei zusieht. Ein Song voll mit Zynismus und schwarzem Humor, aber mit einer unfassbar romantischen Botschaft unterm Strich.


NINA SIMONE
Wild is the Wind (1966)
In meinen Augen ist dieser Song ganz klar einer der Hauptgründe, warum Nina Simone heutzutage eine Legende ist und ein Liebeslied sondersgleichen. Über den gängigen Soulpop ihrer Zeit wächst die Sängerin hier meilenweit hinaus und performt ein Stück, das musikalisch an George Gershwin oder Andrew Lloyd Webber erinnert, in seinem Text aber eine spürbar tiefe Leidenschaft trägt, die hier nicht umsonst auf die Analogie einer Naturgewalt trifft. Ein einzigartiger Track einer einizigartig talentierten Künstlerin.


MITSKI
Geyser (2018)
Mitski selbst hat in den letzten Jahren wiederholt klargemacht, dass Geyser so eigentlich gar nicht als Liebeslied gemeint war, sondern eher um Selbsterwartung und eigene Perspektiven geht. Man kann es aber auch niemandem verübeln, das hier als ein romantisches Statement zu interpretieren, denn jede Zeile ist voller Emotionalität und die Art, wie die New Yorkerin diese zwei Minuten performt, ist leidenschaftlich und drängend wie sonst eher selten. Soll im Prinzip heißen, dass sie mir viel erzählen kann, für mich ist das hier ein Liebeslied. Basta.


LEONARD COHEN
Chelsea Hotel #2 (1974)
Chelsea Hotel #2 ist höchstwahrscheinlich einer der schönsten Songs, die jemals über ein One Night Stand geschrieben wurden und natürlich kann solche Sachen am Ende niemand besser als Leonard Cohen. Die besagte Begebenheit bekommt zusätzlich Brisanz dadurch, dass sie laut dem Künstler selbst von Janis Joplin handelt, die nur wenige Jahre vor Veröffentlichung starb. Und obwohl diese Art von Erinnerung an sie auf dem Papier pietätlos scheint, ist sie bei Cohen doch eine gelungene und vor allem ungeschminkte Hommage an die Soul-Sängerin.


PJ HARVEY
Oh My Lover (1992)
PJ Harveys Debütalbum Dry ist in meinen Augen eine der sexuell offensivsten Rockplatten die ich je gehört habe und bezieht daraus seine rauhbeinige, aufgekratzte und ultrafeministische Attitüde. Was natürlich nicht bedeutet, dass eine gewisse Romantik darauf keinen Platz fände. Und obwohl ich mich bis heute nicht dem Eindruck erwähren kann, dass Oh My Lover einen dezent sarkastischen Unterton besitzt, funktioniert es gleichermaßen als klassischer Lovesong. Und ja, wahrscheinlich geht es dabei auch um Polyamorie. Wir sind ja nicht in den Fünfzigern.


INTERPOL
PDA (2002)
Zu den romantischen Lovesongs in dieser Liste gehört PDA eher nicht, handelt er doch von Bitterkeiten, Enttäuschungen und Reibungsstellen einer rostenden Langzeit-Ehe. Darin enthalten ist hier aber auch eine unterschwellige Botschaft übers Aushalten und gemeinsam Weiterkämpfen, weil es ohne den Anderen dann eben doch nicht geht und man sich zumindest darüber einig ist. Keine rosatrote Brille, sondern eher ein sehr reflektiertes und ehrliches Bild einer Beziehung mit Höhen und Tiefen. Und ein Song über die Nächte, die man wach liegend auf der Couch verbringt.

SUN KIL MOON
Dogs (2014)
Dogs ist das, was herauskommt, wenn die nicht selten peinliche Zeit der Teenagerliebe auf einen so gnadenlos ehrlichen und ungeschönten Songwriting-Stil wie den von Mark Kozelek stößt. Ein Stück über Naivität, Eifersucht, besoffenes Rumknutschen auf Parties und den ersten Handjob. Beeindruckend ist, dass Kozelek nicht davor zurückschreckt, sich auch als als kolossalen Blödmann darzustellen und die hässlichen Details der tatsächlich wenig romantischen ersten Liebschaften auszumalen. Und das finde ich vor allem anderen erstmal sehr mutig.


PULP
Disco 2000 (1995)
Ein Song, den ich in meiner Kindheit bei MTV sah und wegen seines schrägen Musikvideos mochte und den ich zehn Jahre später als einen herrlich traurigen Lovesongs wiederentdeckt habe, der mir überraschenderweise echt an die Substanz geht. Jarvis Cocker singt hier die klassische Geschichte über das Mädchen von nebenan, von dem man so lange träumt, bis man plötzlich zu ihrer Hochzeit eingeladen wird. Die Miene ist dabei Pulp-typisch albern und ironisch, doch die Geschichte geht umso mehr ans Herz. Sozusagen eine komplette Romcom in viereinhalb Minuten.


DESERT SESSIONS
Like A Drug (1999)
Like A Drug war auf der fünften Desert Sessions-Platte immerhin so gut, dass Josh Homme es sechs Jahre später nochmal auf Lullabies to Paralyze unterbrachte, allerdings fängt die dort vorhandene "offizielle" Version nicht ansatzweise so gut die Verzweiflung und Melancholie ein, die dieser Prototyp hier hat. Oder um es romantischer zu formulieren: Hier hat Josh noch so richtig den Blues. Leider ein Song, für den man ein bisschen Arbeit mitbringen muss, da er bis heute auf keinem Streaming-Portal zu finden ist.

LISSIE
When I'm Alone (2010)
Lissie war eine junge Künstlerin, die Ende der Zwotausender im Windschatten von Ellie Goulding auftauchte und als rustikalere und heimlich auch talentierte Variante der Britin überzeugte. Leider nahm von ihr schon damals niemand so richtig Notiz und auch ihr "größter Hit" When I'm Alone über einen arschigen Freund setzte sich nicht fest. Dabei reden wir hier von einer Nummer, die bis heute noch viel von ihrer Energie behalten hat und wahnsinnig gut gealtert ist. Definitiv einer der großen Snubs der letzten Dekade, auch von meiner Seite.


JOHN COLTRANE
Naima (1960)
Ein Lovesong ohne Text ist natürlich meistens schwer als solcher zu identifizieren, es sei denn wir reden von John Coltrane, der diesen Titel ganz transparent nach seiner damaligen Frau benennt. Naima ist passend dazu einer der schönsten Slowjams des Saxofonisten und auf dem sonst so technisch verkalkulierten Giant Steps eine echte klangliche Oase. Ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, es ist einer meiner allerliebsten Jazz-Standards überhaupt. Und auf jeden Fall ein wahnsinnig toller Tribut an einen geliebten Menschen, auch ohne lyrische Eskapaden.


THE POGUES
A Pair of Brown Eyes (1985)
Eine Sache, die Shane MacGowan richtig gut kann, ist seine lyrischen Ichs in historischen Szenarien zu platzieren und sie als Protagonisten dichterischer Epen auftreten zu lassen. Das ist mitunter ziemlich kitschig, man muss aber auch zugeben, dass der Mann eine gute Geschichte erzählen kann. Wie zum Beispiel A Pair of Brown Eyes, das von einem Soldaten handelt, den nur die Erinnerung an seine Geliebte die Scheußlichkeiten des Krieges überstehen lässt. Triefend romantisch, brutal, pathetisch und wunderschön. Change my mind.

THE PLATTERS
Smoke Gets in Your Eyes (1958)
Ein Geheimtipp ist dieser Song eigentlich schon lange nicht mehr und vor allem in Soundtracks findet er seit Jahrzehnten immer wieder Verwendung, auch wenn sicher die wenigsten wissen, wer die Platters sind. Es ist aber auch klar, dass Smoke Gets in Your Eyes überall auftaucht, ist er doch unter den populären Do-Wop-Nummern seiner Zeit nicht nur einer der leidenschaftlichsten, sondern vor allem einer mit echtem Tiefgang, der über die Natur der wahren Liebe philosophiert und schlau genug ist, die Antwort offen zu lassen. Denn auch übers Zweifeln müssen Songs geschrieben werden.

INCUBUS
Summer Romance (Anti-Gravity Love Song) (1997)
In ihren fast 30 Jahren als Profimusiker haben Incubus eine ganze Reihe fantastischer Lovesongs geschrieben, dieser hier ist aber trotzdem auf gewisse Weise mein Favorit. Ganz einfach, weil er aus dem New Metal-Kontext ihres zweiten Albums als jazziger Jamiroquai-Verschnitt mit Bossa Nova-Percussion, Tango-Breaks und Saxofonsolo entsteigt und trotzdem nicht als albernes Fettnäpfchen ihrer frühen Karriere gilt. Auf S.C.I.E.N.C.E. ist es in meinen Augen sogar der mit Abstand beste Song. Und das macht ihn speziell, egal wie viel seriöser Incubus später noch werden sollten.


FRÉHEL
Si Tu N'Etais Pas Là (1934)
Ich weiß ganz ehrlich nicht, woher ich dieses Stück überhaupt kenne, nur dass er mir nun bereits über einige Jahre sehr ans Herz gewachsen. Eine ziemlich stereotypische Chanson-Nummer der ganz alten Sorte (Aufnahmen ohne lauschiges Grammophon-Knistern sind mir bisher nicht untergekommen) in dem es im wesentlichen um eine Welt geht, in der das lyrische Du nicht existiert und wie furchtbar das alles wäre. Sicher etwas für die extrem nostalgischen unter euch, aber wahrschienlich auch der klassischste Lovesong auf dieser Liste.


SKUNK ANASIE
Because of You (2009)
Because of You gehört ebenfalls zu dieser Sorte Songs, in denen die Liebe vor allem Schmerz verursacht und eigentlich ziemlich scheiße ist. Das thematisierte gebrochene Herz klingt bei Skunk Anansie tatsächlich unheilbar, traumatisierend und extrem böse, was passt, denn die Band schiebt den Track klanglich weit in die bittersüße Ästhetik eines Symphonic Metal-Songs. Mit Evanescence muss man sie trotzdem nicht vergleichen, vor allem dank ein paar fetten Tom Morello-Riffs und einer wahnsinnigen Gesangsperformance von Sängerin Skin.


BADFINGER
Baby Blue (1971)
Seitdem Baby Blue vor sieben Jahren der Song war, der die letzten Minuten von Breaking Bad erst so richtig ergreifend machte, hat sich seine Bedeutung für viele ein bisschen verschoben, der Inhalt ist aber immer noch mehr oder weniger der gleiche: Der Abschied von einer großen Liebe, ob nun romantisch oder ideell, und die vielen schönen und traurigen Erinnerungen, die damit einhergehen. Nicht die einzige heimliche Rockhymne der Gruppe Badfinger, aber für mich die mit der größten emotionalen Aufladung. Und daran ist dann doch vor allem Walter White schuld.


ANGEL OLSEN
Shut Up Kiss Me (2016)
Shut Up Kiss Me ist nur deshalb der Song mit der besten Hook von Angel Olsen, weil die Songwriterin darin die ultimative Liebeserklärung formuliert, die - sind wir mal ehrlich - so mancher Partnerschaft ab und zu gut tun würde. Vor allem, wenn sie mit so viel Emotionalität und Unmittelbarkeit daherkommt wie in diesem Stück. Mit der rotzigen Garagenrock-Attitüde, die Olsen hier auffährt, stimmt dabei auch das Setting und schafft einen Ohrwurm, der von AJZ-Konzert bis Hochzeit einen Einsatzbereich finden kann.


REO SPEEDWAGON
Can't Fight This Feeling (1984)
REO Speedwagon sind noch immer keine Band, mit der man gerne emotionale Tiefe verbindet und dass sie als eines der ganz schlimmen Phänomene des Achtziger-Stadionpop gelten, hat auch mit dem immensen Aufgebot an Schmalz zu tun, das sie gerne auffahren, gerade auch in einem Track wie diesem. Trotzdem ist es am Ende des Tages genau dieser Faktor, der Can't Fight This Feeling in meinen Augen so klasse macht und der Grund, warum Sachen wie diese einfach nicht totzukriegen sind. Vielleicht noch nicht ganz rehabilitiert, aber definitiv ein würdiges guilty pleasure.


SEEED
Love is the Queen (2003)
Love is the Queen ist insofern ein besonderer Lovesong, weil er nicht von einer konkreten Person oder Beziehung handelt, sondern die Großartigkeit der Liebe an sich feiert. Weil es hier darum geht, dass nach allen Unstimmigkeiten, Ungewissheiten und Querälen das große Ganze etwas ist, dass sich prinzipiell lohnt und eine schöne Sache ist. Und weil wir hier bei Seeed sind, kommt dieser Optimismus auch musikalisch aus allen Rohren und ist deshalb für mich auch der bestmögliche Schlussakkord. Denn schließlich ist das hier eine Valentinstags-Playlist, und zumindest ein kleines Happy End will ich hier niemandem vorenthalten.



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