Montag, 10. Februar 2020

Platzkarte im Pantheon

 [ tight | technisch | ambitioniert ]

Das Thema ist bis jetzt ja noch ganz frisch und es könnte sein, dass am Ende alles bloß wieder ein dämlicher Promo-Gag ist, doch wenn man der Band selbst glaubt, dann sind Slayer seit dem letzten Jahr offiziell Geschichte. Womit sie der erste Act der sogenannten "Big Four"-Gruppe ist, der sich eigenmächtig aus dem Geschäft zurückzieht (Die zweijährige Pause von Megadeth anfang der Zwotausender mal ausgenommen). Und obwohl gerade sie im Gegensatz zu gewissen, nun ja, anderen Leuten gehören, die zu Recht auf ewig in den Ruhmeshallen des Metal verewigt sind, ist im Pantheon des klassischen Thrash nun rein theoretisch ein Platz vakant, der wieder besetzt werden könnte. Natürlich handelt es dabei um eine reine Gedankenspielerei und ich will hier nicht anfangen, die Legitimität der restlichen aktuellen Big Four-Bands zur Debatte zu stellen, doch mal rein hypothetisch: Wer würde in Frage kommen? Wenn ich so darüber so nachdenke, gehören Sepultura definitiv zu den stärksten Kandidaten. Zwar ist das Quartett aus Belo Horizonte nicht direkt für die Initiation von Thrash Metal als Sound verantwortlich (das könnte man über Megadeth aber auch sagen), doch unbestreitbar die prägenden Taufpaten der bis heute wesentlichen brasilianischen Szene und vor allem eine Band, die ein unglaubliches Durchhaltevermögen beweist. Seit 1984 aktiv hat die Formation nicht nur den dramatischen Fortgang ihres Gründers Max Cavalera verkraftet, sondern auch diverse Stilanpassungen, künstlerische Phasen und Trends. Wobei sie bis heute eine der Kräfte sind, die sich ständig neu ausprobieren, Feinheiten an ihrer Ästhetik verändern und kreativ beweglich bleiben. Zwar war in der Vergangenheit nicht jede ihrer Platten ein Highlight, doch ist gerade das ein Resultat ihrer Bereitschaft, Risiken einzugehen und von den meisten Sachen, die in den letzten zehn Jahren aus ihrer Richtung kamen, war ich mindestens überzeugt, bisweilen sogar begeistert. Und wie um das zu unterstreichen machen sie 2020 direkt mal eines ihrer besten Alben im neuen Jahrtausend. In der Diskografie von Sepultura ist Quadra insgesamt der dreizehnte Longplayer und Sänger Derrick Leon Green inzwischen Länger dabei als Band-Papa Cavalera. Einen gefestigten Sound gibt es bei den Brasilianern aber nach wie vor nicht so richtig, was sich auch hier wieder zeigt. Im Gegensatz zum Teils sehr progressiven und albernen letzten Album Machine Messiah sind sie hier wieder klassischer unterwegs, wenngleich die Platte spielerisch fast noch brillianter ist. Der Fokus liegt aber ganz klar wieder mehr auf Grooves, womit sie ein wenig dem Beispiel ihres Ex-Frontmanns folgen und kompositorisch ans Ende der Neunziger zurückkehren. Der klangliche Druck, den Sepultura hier sehr erfolgreich auch mittels des röhrigen Gesangs von Green erzeugen, erinnert nicht von ungefähr an die frühen Sachen von Machine Head oder Pantera. Die Shreds hier sind extrem dicht gestaffelt und gehen schon fast in Richtung Prog- oder Death Metal und was Andreas Kisser hier in Sachen Soli anstellt, ist über die kompletten 50 Minuten immer wieder atemberaubend. Von der extrem gelungenen Produktion, die das alles zu einer erdrückenden Dampfwalze an Metal-Energie zusammenstaucht und trotzdem wahnsinnig viele Details blicken lässt, mal ganz zu schweigen. Was mich an Quadra sicherlich am meisten überzeugt, ist das ganz klassische Handwerkszeug des Songwritings und wie gut die Band es hier beherrscht. Songs wie Isolation, Last Time oder Means to the End sind nicht viel mehr als kernige, gut geschriebene und performte Thrash-Bretter, die wenig Schnickschnack brauchen, um wahnsinnig gut zu sein. Die Formel ist simpel, aber sie funktioniert. Dass Sepultura den Schnickschnack dann trotzdem machen, ist bisweilen ein ganz netter Bonus dieses Longplayers. In nicht wenigen Songs auf Quadra gibt es Einschübe wie exotische Flamenco-Gitarren, opulente Streicher-Ensembles und Rückbezüge auf indigene Volksmusik von Roots, mit denen die Band ein bisschen Pep in die Sache bringen will. Das ist auf jeden Fall gut gemeint und auch in den seltensten Fällen kontraproduktiv, bei einem so tighten Songwriting und einem so dicken Albumflow aber schon fast überflüssig. Und zumindest in den letzten beiden Tracks Agony of Defeat und Fear, Pain, Chaos, Suffering meinen es Sepultura dann doch ein bisschen zu gut mit der melodischen Politur. Ähnlich wie Kairos vor nun fast schon zehn Jahren ist Quadra damit ein von der Ausführung her geniales Album der Brasilianer, das sich allerdings selbst einige experimentelle Stolperfallen stellt. Und das ist zugleich gut und schlecht. Gut, weil es eben zeigt, dass diese vier Jungs nach wie vor Dinge ausprobieren und sich nicht auf ihr technisches Know-How verlassen. Schlecht, weil es das manchmal gar nicht braucht und besagte Exkurse meistens nicht so großartig sind. Dabei klingen Sepultura aber trotzdem in jeder Sekunde tighter, knalliger, fetter und cooler als die meisten Metal-Acts ihrer Generation und stecken insbesondere so manche Big-Four-Band in die Tasche. Was mich wiederum zum Nachdenken bringt: Ich glaube, es ist besser, wenn die unter sich bleiben und alles so bleibt, wie es ist. Denn ganz ehrlich, für diese Formation hier wäre das womöglich sogar eine Wertminderung.



Klingt ein bisschen wie
Machine Head
Bloodstone & Diamonds

Soulfly
Ritual

Persönliche Höhepunkte
Isolation | Means to the End | Last Time | Capital Enslavement | Guardians of the Earth | the Pentagram

Nicht mein Fall
Agony of Defeat | Fear, Pain, Chaos, Suffering


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