Sonntag, 15. Januar 2017

Einhörner und Käsefondue

Ich habe in der Vergangenheit schon des öfteren darüber geschimpft, dass von großen Teilen der Thrash-Metal-Szene noch immer die Helden der Achtziger über allem anderen gehalten werden und wie durch dieses rückwärtsgewandte Verhalten stilistischer Fortschritt schwierig sein wird. Mit solchen Tiraden meine ich dann meistens Bands wie Metallica und Anthrax, die in den letzten dreißig Jahren nichts produktives mehr zu irgendwas beigetragen haben und trotzdem noch immer die Größten von allem sind. Dass solche Götzenverehrung manchmal aber auch nicht ganz verkehrt ist, zeigen bereits seit 1985 die Brasilianer von Sepultura. Die Speerspitze der südamerikanischen Metal-Bewegung hat eine sehr lange Geschichte voller dramatischer Besetzungs- und Stilwechsel, Höhen und Tiefen hinter sich, die ich hier nicht in aller Ausführlichkeit durchnudeln werde, nur das allerwichtigste: In über dreißig Jahren ihres Bestehens hat diese Band nie aufgehört, in ihrer Musik neue Horizonte zu suchen und ist demzufolge auch nie wirklich unspannend geworden. Sicherlich waren bedingt durch das viele Experimentieren einige Platten ziemlich ins Klo gegriffen, doch ich bin froh sagen zu können, dass auch 2017 sehr gespannt auf neues Material von Sepultura bin. Ihr letztes richtig gutes Album war Kairos von 2011, das ich an dieser Stelle einmal jedem Freund des offenherzigen Thrash-Metal ans Herz legen möchte. Zwischendrin erschien das leider etwas lahme the Mediator Between Head and Hands Must Be the Heart, doch man kann von einer LP der Brasilianer eigentlich nie auf die nächste schließen. Und so ist Machine Messiah auch tatsächlich mal wieder eine komplette stilistische Neuorientierung. Oder sollte man es eher eine Ursuppe nennen? Denn eine wirkliche Richtung hat relativ wenig hier. Am ehesten könnte man vieles hier unter dem doch recht groben Begriff Progressive Metal verbuchen, doch an allen Ecken und Enden finden hier Dinge statt, die nicht progressiv, sondern einfach nur verrückt sind. Schwere, dissonante Riffs, deftige Bässe, pathetisches Gebrüll und Schnetzel-Drums werden hier verschachtelt mit europäisch-folkloristischen Streichern, Hardcore-Momenten, Keyboards wie bei Chameleon Defect (Shoutout!) und spanischen Gitarren. Eine sehr eigenwillige Schnittmenge dieses Blödsinns stellt der instrumentale Track Iceberg Dances dar, aber auch der Titeltrack ist mit seinen schluffigen, esoterischen Art ein ziemlich verstörender Moment, und das gleich zu Anfang. Daneben gibt es auch noch ein paar Thrash-Standards wie Resistant Parasites und Chosen Skin, die vielleicht ein bisschen wie Füllmaterial wirken mögen, doch an sich noch das solideste an diesem Album sind. Und spätestens wenn als letzter Song das Intro der japanischen Sechziger-Sci-Fi-Serie Ultraseven gecovert wird, muss man sich fragen, ob Sepultura uns hier nicht einfach nur verarschen wollen. Was auf großen Teilen dieser LP passiert, kann zumindest ich beim besten Willen nicht ernst nehmen. Irgendwie ist diese Art von Selbstironie (und ich hoffe, das ist es!) total symphatisch, ich kann mir aber auch keinen Reim darauf machen, wo diese so plötzlich herkommt. Bisher waren die Brasilianer in ihren Themen immer ziemlich bierernst, gerade ihr Vorgänger war äußerst finster. Außerdem schreiben sie ja auch hier nicht plötzlich Songs über Einhörner und Käsefondue. Und wenn ich einwas nicht leiden kann, dann ist es Unstetigkeit innerhalb eines Albums. In diesem Fall besonders schlimm, weil das wilde Gemansche hier auch sehr oft gute Strukturen innerhalb von Tracks verhindert. Es gibt sehr gute Momente, aber diese hätten auch flächendeckend sein können, hätte man sie planvoll umgesetzt. Alles in allem ist diese Platte ein einziges Chaos und klingt dabei auch ein wenig unfertig. Zu viele Ideen wurden hier nur angerissen und so gut wie keine zu Ende gedacht. Machine Messiah ist ein aufregendes Album, aber weiß Gott kein gutes.





Persönliche Highlights: Iceberg Dances / Sworn Oath / Resistant Parasites / Vandals Nest / Chosen Skin / Ultraseven No Uta

Nicht mein Fall: Machine Messiah / Cyber God

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