Samstag, 14. Januar 2017

Musik für Angeber

Ich hatte bisher immer so meine Probleme mit dem britischen Produzenten Simon Green aka Bonobo und ich kann an diesem Punkt ehrlich nicht sagen, wieso. Wahrscheinlich weil er einer dieser Künstler ist, die gerne von Leuten gehört werden, die denken, sie hätten unglaublich viel Ahnung von Musik, die aber noch nie etwas von Caribou oder the Notwist gehört haben (Tschuldigung, aber diesen Nerd-Reflex kann ich mir jetzt nicht verkneifen). Die Frage ist dabei natürlich, was Herr Green dafür eigentlich kann und wie ich zuletzt feststellen musste, war es sehr falsch von mir, ihn als Ursache für all diese nervigen Menschen zu sehen. Denn wenn sich der Brite nicht tatsächlich sehr akribisch und ausführlich mit seinem Werk befassen würde, gebe es dieses Album wahrscheinlich nicht. Migration, die - ja nachdem, wie man zählt - sechste oder fünfzehnte Bonobo-LP könnte unter Umständen seine beste sein und das zu einem Zeitpunkt, wo die meisten ihn eigentlich schon mehr oder weniger abgeschrieben hatten. Sein letztes richtig beliebtes Werk Black Sands ist fast sieben Jahre alt und die Art von Indietronic, die man darauf findet ist im Moment das älteste Zeug in der gesamten Elektro-Szene. Aber das ist egal, denn es gibt ja jetzt ein neues Album. Und das besteht zu einhundert Prozent aus Popmusik für das Jahr 2017. Bereits die beiden Vorab-Singles Break Apart mit Indie-Darling Rhye und No Reason mit Nick Murphy aka Chet Faker waren potenzielle Radio-Dauerbrenner mit einer zwar sehr gechillten, aber dennoch wunderbar packenden Ästhetik. Und diese überträgt sich zum großen Teil auch auf die Gesamtheit dieser LP. Gerade die erste Hälfte hat mitunter einen fast ambienten Charakter, allermindestens aber einen sehr gediegenen. Besonders die instrumentalen Cuts wie der Titeltrack oder Grains sind großartige Atmo-Konstrukteure, die raumgreifende Chillmusik der Extraklasse auffahren. Im zweiten Teil wird es dann ab und zu etwas bunter. Beginnend mit dem afrikanisch-folkloristisch angehauchten Bambro Koyo Ganda, das die marokkanische Band Innov Gnawa featured über die gitarrenlastige Single Kerala hin zum sehr elektronischen und überraschend mystischen 7th Sevens, das mich stellenweise sogar an Oneohtrix Point Never erinnert. Die im ersten Teil eingefahrene Ästhetik kommt hier ab und zu ein wenig ins schlingern und mit Ontario ist sogar ein ziemlich langsamer Song hier zu finden, doch der Großteil des hier gebotenen Materials ist trotzdem hochwertig as fuck. Und wenn man dazu addiert, dass die gesamte LP erstklassig produziert ist und man mit guten Kopfhörern hier so richtigen Spaß haben kann, dann sollte klar sein, dass Bonobo kein Relikt der Zweitausender ist. Migration ist ein Album, das gleichermaßen besänftigend und aufregend wirkt, das mit richtig gutem Radiopop aufwartet und zeigt, dass sowas eben nicht immer deckungsgleich klingen muss. Wirklich riskant ist es damit zwar auch nicht, aber vielleicht ist das auch besser so. Nachteil der Platte ist, dass ich jetzt selbst einer dieser Leute werden könnte, die auf Partys ankommen und wildfremde Leute fragen: "Kennt ihr eigentlich Bonobo?"





Persönliche Highlights: Migration / Break Apart / Outlier / Grains / Second Sun / Bambro Koyo Ganda / No Reason / Figures

Nicht mein Fall: Ontario

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