Dienstag, 3. Januar 2017

Das Verlassen der Macht

Ich bin normalerweise ein großer Gegner davon, im neuen Jahr noch über Sachen vom letzten zu sprechen und habe es in der Vergangenheit auch immer hübsch bleiben lassen können. Auch ich habe 2016 viele Platten übersehen, über die ich gerne noch einiges loswerden würde, doch man muss auch mal abschließen können und abgesehen davon bringt sowas Unglück. Wo ich allerdings wirklich auch mal eine Ausnahme mache, ist LGoony. Abgesehen davon, dass mich bei einer Unterschlagung von Intergalactica ein Großteil meiner Leser lebendig Häuten würde, ist in den letzten Jahren deutschsprachiger Cloudrap eines meiner Lieblingsthemen hier geworden und der Kölner MC in meinen Augen der bisher denkwürdigste Vertreter der Szene. Sein letzter Longplayer Grape Tape ist, wenn man mich fragt, eine der wenigen Platten, die nicht nur über ein paar richtig gute Singles verfügen, sondern auch als Gesamtwerk beeindruckend sind und genießt daher meine besondere Beachtung. Und natürlich hatte ich gerade deshalb große Hoffnungen in diesen Nachfolger, der für die Szene nicht weniger bedeuten könnte als ein neues Leitbild beziehungsweise die Abschaffung von LGoony als solches. Man kann viel spekulieren über die Stimmung in der momentanen Bewegung, doch mittlerweile ist es offenkundig, dass es Anfang 2017 andere Cloud-Künstler wie Haiyti (die hier tatsächlich auch endlich mal ein Feature kriegt) oder Rin gibt, die sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit vor den Kölner geschoben haben. Solche Dinge passieren eben, wenn man über ein Jahr kein Solo-Tape veröffentlicht und es ist ja auch okay. Aber gleichzeitig hat der Rapper durch seine verhältnismäßig lange Abwesenheit auch große Erwartungen für Intergalactica geschürt. Und in dieser Hinsicht muss ich sagen, dass das Ergebnis doch recht lahm ausgefallen ist. Zwar muss man LGoony noch immer noch für seine fantastische Attitüde und Punchlines wie "Motor so heiß / Alter, Afrika! / Erde so klein / Alter, Vatikan!" lieben, doch dieses neue Tape ist der Punkt in seiner Karriere, an dem er sich dadurch nicht mehr retten kann. Denn er hat bereits gezeigt, dass er der Typ ist, der einen in Deutschland als Nischengenre begriffenen Style wie Cloudrap ins Radio bringen kann, dass er wahnsinnig überraschend sein kann und dass er auch außerhalb der Szene seine Props bekommt. Von LGoony erwartet man 2016 also mehr als nur gute Punchlines und klickende Hi-Hats. Aber genau das hat Intergalactica nur ganz selten. Kurz gesagt: Die Kreativität hier lässt arg zu wünschen übrig. Wir erleben auf dieser LP dreizehn ganz vernünftige Trap-Standards mit guten Texten und knalligen, ätherischen Beats, aber sowas hätte ehrlich gesagt auch jeder dahergelaufene Trainingsjacken-Poser mit Internetzugang auf die Reihe bekommen. Man muss fair sein, die ersten vier Songs hier sind wenigstens Hits, aber was mir hier vor allem im Vergleich zum Grape Tape fehlt, sind die Momente, in denen LGoony stilistische Gesetzmäßigkeiten scheinbar auf den Kopf stellt, mich überrascht und mal etwas anderes tut als das, was wir jetzt schon seit einer Weile von ihm kennen. Am ehesten passiert das vielleicht noch auf Blutmond, einem seiner textlich bisher anspruchsvollsten Stücke, doch viel zu viel hier klingt einfach furchtbar routiniert. Und dann passieren auch noch so peinliche Sachen wie Utopia, das fast den gleichen Beat hat wie Sosa vor zwei Jahren oder Kanye West, auf dem ein großartiger Part von Haiyti die unglaubliche Schwache Performance von Goony mit Haut und Haaren eincheckt. Viele andere Tracks hingegen sind einfach überflüssig und man bekommt trotz einer Spielzeit von gerade mal 45 Minuten relativ schnell den Eindruck, dass diese LP Überlänge hätte. Das liegt aber ganz einfach daran, dass der Hauptakteur hier scheinbar nichts relevantes mehr zu sagen hat und es sich jetzt im Style gemütlicht macht, den er vor nicht allzu langer Zeit selbst geprägt hat. Wenn sich ein solcher Gralsritter der Szene so verhält, braucht man sich auch nicht wundern, warum mittlerweile andere Leute am Drücker sind. Trotzdem ist diese Performance hier eine große Enttäuschung für mich, da ich LGoony wirklich für einen der ganz Großen im deutschen Trap-Game halte und diese Platte ganz einfach unter seinem Niveau ist. Ich hoffe sehr, dass er in Zukunft wieder bessere Ideen hat und finde das tatsächlich wichtig, denn spätestens wenn Aurora 2 kommt, will ich wieder Maßstäbe gesetzt sehen. Davon ist Intergalactica momentan so weit entfernt wie noch nichts von LGoony.
Persönliche Highlights: Intergalactica / Heilig / Bugatti / Babylon / Für Immer / Blutmond

Nicht mein Fall: Utopia / Backstage / Souvenirs / Gary Cooper

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