Dienstag, 4. Februar 2020

500 Days of Judy

[ erzählerisch | gelassen | indiefolkig ]

Bisher schien der kanadische Songwriter Andy Shauf nicht so jemand zu sein, den man als großen Kritikerliebling oder als Typen mit überraschend weitläufiger Fanbase kannte. In den etwas mehr als zehn Jahren, in denen er nun solo Musik veröffentlicht, war er zwar zu keinem Zeitpunkt ein völlig obskurer Niemand, und immerhin veröffentlicht er seit 2016 beim rennomierten Anti / Epitaph-Label, doch flog er dabei immer eher unter dem Radar der meisten, und war einfach gesagt eher unauffällig. Sein musikalischer Stil war eine ziemliche Mitläufer-Version der Sachen, die seit einiger Zeit Leute wie Father John Misty, Jens Lekman und Phoebe Bridgers machen und ähnlich wie die beschränkte er sich dabei auf ziemlich simple Folksong-Strukturen, wahlweise mit ein bisschen instrumentalem Backing, aber immer ohne großen Schnickschnack. Wo seine klangliche Welt aber stets relativ klein blieb, wurde sein textlicher Output mit den Jahren immer versierter. Änlich wie ein Autor auf dem Weg der literarischen Selbstfindung entwickelte Shauf auf seinen letzten Platten eine Art kurzgeschichtenhaften Schreibstil, der in Sachen Vorbilder eher in Richtung Luke Temple oder Phil Elverum deutete. Im Gegensatz zu deren sehr schweren und bedeutungsschwangeren Erzählformen war sein Ansatz aber wesentlich lockerer, da er sich lieber mit alltäglichen Dingen wie ulkigen Partygästen oder den Geschichten von letzter Nacht befasste und dabei zufällig sehr gut darin war, eine gewisse Situationskomik einzufangen. Ein wirkliches Narrativ fand er dabei noch nie so richtig und es ist deshalb vielleicht gut, dass er sich größere Themen erstmal aufsparte, bis diese Lücke geschlossen war. Denn sonst wäre the Neon Skyline mit Sicherheit ein Reinfall geworden. In der literarischen Analogie ist dieses vierte Album der Punkt, an dem der junge Autor die nette Nebenbeschäftigung des Kurzgeschichtenschreibens hinter sich lässt und sich anschickt, seine erste Novelle oder so zu verfassen. So etwas macht man nicht einfach so, dafür Bedarf es an künstlerischem Handwerkzeug, einer gewissen Erfahrung und nicht zuletzt der Zuversicht, dass man am Ende auch ein gutes Ergebnis schafft. Das Unterfangen ist ambitioniert, aber es ist eben auch an der Zeit, mit seinen Aufgaben zu wachsen. Und für Andy Shauf bedeutet das folgendes: Vorliegende LP ist ein erzählerisch äußerst dichtes Konzeptalbum, auf dem der Kanadier mehr oder weniger chronologisch den Beginn und Zerfall einer Beziehung zwischen dem Ich-Erzähler und einer Person namens Judy schildert. Es gibt dabei weder viel romantischen Pathos wie bei Spencer Krug noch tragische Wendungen wie bei Phil Elverum und tatsächlich kann man erahnen, dass es sich bei dieser Geschichte wohl nicht um die große Liebe handelt. Als Film wäre the Neon Skyline wahrscheinlich eher 500 Days of Summer als Before Sunrise. Was jedoch beeindruckend ist, ist die Tatsache, wie Shauf das hier in Musik umsetzt. Es gibt auf der Welt nicht viele Platten, die es wirklich souverän hinbekommen, ein Story-Konzept unpeinlich rüberzubringen, ohne gleich in die Musical-Falle zu treten, doch dieses hier ist definitiv eins davon. Ähnlich kurzgeschichtenhaft wie schon auf seinen Vorgängern seziert der Songwriter hier das Fortlaufen der Romanze anhand einzelner Abende und Begegnungen, wobei die Abfolge der Begebenheiten reichlich verschachtelt ist. In der Tracklist des Albums wird man zwischen Anfang, Mitte und Ende der Beziehung hin- und hergeworfen und sammelt erst im Laufe der Songs bestimmte rote Fäden auf, die schlussendlich das Narrativ ergeben. Strukturell gesehen ist das ziemlich genial und auch wie Shauf lyrisch arbeitet, ist nicht zu verachten. Die Texte auf the Neon Skyline könnte man inhaltlich ziemlich direkt in Dialogform übertragen (was hier teilweise sogar schon gemacht wird), das ganze dann an Richard Linklater oder Spike Jonze schicken und binnen eines Jahres hätte man wahrscheinlich eine ziemlich vorzeigbare Indie-Komödie. Und das ist für die gerade Mal halbstündige vierte Platte eines komplett unmythischen Mittdreißigers schon beeindruckend. Wobei ich auch sagen muss, dass der eigentliche Stoff als Drehbuch an manchen Stellen sogar besser aufgehoben wäre. Denn der Kanadier wird hier stellenweise zu einem dieser Künstler, bei denen über die viele Texterei gern der Fokus auf die Musik etwas verloren geht. Das heißt, obwohl Shauf für seine lyrische Entwicklung in den letzten zehn Jahren eine Eins mit Bienchen verdient hat, ist er musikalisch immer noch ziemlich langweilig. Viele klangliche Ideen hier sind direkt aus dem Josh Tillman-Kompositionsbuch abgeschaut und was an zusätzlicher Instrumentation auf der Platte auftaucht, ist kaum der Rede wert. Die wenigsten Songs sind dadurch schlecht und mit Try Again gibt es sogar eine veritable Pop-Nummer, doch sind die eben weder originell noch spannend und obendrein auch noch ziemlich lahm produziert. Klar ist mir bewusst, dass das nicht der hauptsächliche Grund ist, warum viele Leute dieses Album gerade sehr mögen, doch mir persönlich macht es den Gesamteindruck schon ein bisschen madig. Nicht katastrophal schlimm, aber es reicht, um mich dem Hypetrain um diese LP zumindest nicht vorbehaltlos anschließen zu können. Schließlich ist Andy Shauf, egal wie gut seine Stories auch sein mögen, im Jahr 2020 lange nicht mehr der einzige, der Popmusik mit literarischem Flair macht und wer das hier revolutionär findet, wird bei Leuten wie Mark Kozelek oder Marcus Wiebusch (andere Tipps wurden oben schon genannt) wahrscheinlich vom Glauben abfallen. The Neon Skyline ist nicht schlecht, aber weitaus nicht so besonders, wie es selbst wahrscheinlich denkt. Was ja im übrigen nicht heißt, dass das nicht noch passieren könnte...



Klingt ein bisschen wie
Father John Misty
I Love You Honeybear

Frankie Cosmos
Vessel

Persönliche Höhepunkte
Living Room | the Moon | Try Again

Nicht mein Fall
Where Are You Judy

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