Donnerstag, 19. Oktober 2017

Nullsummenspiel

Unter den Institutionen des deutschsprachigen Indierock spielten Kettcar in meinen Augen immer so ein bisschen die Rolle der Duckmäuser und Außenseiter. Die, die äußerst bodenständig und ernsthaft ihr Ding machten und dabei weder in die Charts kamen wie Selig oder Olli Schulz, noch zu Helden der Pop-Intelligenz wurden wie Tocotronic oder Thees Uhlmann. Kettcar waren immer das Bindeglied dazwischen, die man mal zwischendurch cool fand, aber nie wirklich krass feierte und bei denen man irgendwie trotzdem das Gefühl hatte, dass sie es besser verdient hätten. So war es zumindest immer bei mir. Ich mag gewisse Songs sehr gerne und schätze die häufig sehr intensiven Texte von Marcus Wiebusch, aber irgendwie hatte die Band auch nie so richtig das Charisma ihrer Kolleg*innen. Und je länger die Formation nun schon existiert, desto mehr nutzt sie sich für mich inzwischen auch ab. Das letzte Album Zwischen den Runden von 2012 war zwar schon irgendwie okay und schleppte den typischen Stil mit großer Mühe weiter, aber zum Fan wäre ich dadurch sicher nicht geworden. Kettcar hatten sich musikalisch irgendwie in eine Sackgasse manövriert und um diese zu verlassen, mussten eben neue Ideen her. Und als die Band vor einigen Monaten die Leadsingle Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun) ihres neuen Albums präsentierte, sah es zunächst so aus, als würde genau das passieren. Besagter Song ist nicht nur deutlich politischer als das meiste Material der vergangenen Jahre, er ist auch weit mehr als ein einfacher Song. Marcus Wiebusch setzt hier auf die sehr prosaischen Fast-Rap-Gesang-Geschichten seiner ersten Solo-LP noch einen Drauf und erzählt tatsächlich so etwas wie eine musikalisch begleitete Kurzgeschichte, die vor allem durch ihren Spoken-Word-Charakter brilliert. Und auch wenn ich mich mit der Gesamtheit des Songs bis jetzt irgendwie schwer habe, ist Sommer '89 doch definitiv Neuland für Kettcar und damit auch bisschen das, was ich jetzt von ihnen hören wollte. Ein ganzes Album von diesem Format wäre zumindest spannend gewesen. Nur ist Ich vs. Wir bedauerlicherweise genau das nicht geworden, sondern zum Großteil eben doch wieder das, was diese Band schon die ganze Zeit gemacht haben. Zwar ist die Platte auch auf im Gesamtkontext verhältnismäßig sehr direkt und explizit politisch, doch einen Unterschied macht das nicht wirklich. Marcus Wiebusch war schon immer jemand, der sich in Songtexten gut positionieren konnte und dass er hier sinngemäß so originelle Dinge äußert wie "Nationalismus finde ich scheiße" und "Das Konzept Deutschland ist ziemlich überbewertet" überrascht nur mäßig. Das hat man von ihm schon besser gehört. Auch wenn er in Trostbrücke Süd oder Die Straßen unseres Viertels seine erzählerische Masche auspackt, ist das nicht mehr ansatzweise so ergreifend wie bei einem Landungsbrücken raus oder Am Tisch. Die Rhythmusgruppe spielt dazu ebenfalls Melodien, die irgendwie gut und wirkungsvoll sind, aber die eben auch die letzten Indiepop-Klischees von Anno Dazumal verwurstet, für die sich inzwischen selbst Revolverheld zu blöd sind. Mehr als Malen nach Zahlen kommt bei Kettcar unterm Strich also wieder nicht rum. An sich ist Ich vs. Wir zwar mindestens genauso gut wie sein Vorgänger, wenn nicht sogar ein Mü besser, allerdings ist es auch der nächste Schritt, den diese Band in die stilistische Irrelevanz geht und mit dem sie insgesamt noch ein bisschen langweiliger wird. Ich bin mir sicher, Kettcar hätten es drauf gehabt, ein durchaus sehr überzeugendes, pikant-politisches Album aufzunehmen, das für Aufsehen sorgt, denn doof oder untalentiert sind sie ja weiß Gott nicht. Nur mittlerweile vielleicht ein bisschen zu gemütlich. Und eben wieder nicht diejenigen, die Auffallen werden, sondern gemütlich ihr Ding machen, obwohl sie es vielleicht besser verdienen.





Persönliche Highlights: Ankunftshalle / Sommer '89 (Er schnitt Löcher in der Zaun) / Die Straßen unseres Viertels / Mannschaftsaufstellung

Nicht mein Fall: Benzin & Kartoffelchips / Mit der Stimme eines Irren

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