Dienstag, 3. Oktober 2017

Urlaub fürs Gehirn

Ich weiß nicht, wann der Moment war, als Macklemore in die Defensive geriet, aber ich habe ihn irgendwie nicht ganz mitbekommen. Es hat sicherlich etwas damit zu tun, wie mein Bild von ihm vom gefeierten Popstar in Europa zu dem des polarisierenden kritischen Rappers in den USA gewechselt hat, aber irgendwann hat sich auch er dafür entschieden, mehr von letzterem zu sein. Schon der Titel seines letzten Albums This Unruly Mess I've Made war ein wichtiges Signal in diese Richtung und Tracks wie White Privilege II lagen einem im Gegensatz zu denen vom Debüt doch sehr schwer im Magen. Auf der einen Seite vermisste man dabei schon den coolen Party-Macklemore, den man von Thrift Shop kannte, auf der anderen war der Rapper schon immer einer, der auch Denkanstöße geben will und kann (siehe Wings und Same Love). Auf Gemini klingt er nun allerdings das erste Mal so, als hätte er auf die ganze Nummer gerade keinen Bock mehr. Ohne Stammproduzent Ryan Lewis, dafür mit einem ganzen Arsch voll Gastauftritte und mit einer Reihe unspektakulärer Singles im Vorfeld macht der MC hier einfach nur eine nette Hiphop-Platte, die ausnahmsweise weder die Charts stürmen noch die Welt ändern will. Und eigentlich ist das für ihn im Moment genau das richtige. In den letzten Wochen zeigten sich Medien verwundert, warum man nichts mitbekommen hatte vom neuen Macklemore-Album, weil diesmal nichts im Radio lief und es keinen Skandal gab. Vielleicht könnte es ja sein, dass das hier gar nicht erwünscht ist. Macklemore klingt hier extrem so, als würde er keinen Stress wollen. Und wo das auf der einen Seite sicherlich ein bisschen Selbstzensur ist, leiden die wenigsten der Songs hier darunter. Die Sache ist ja die, dass dieser Typ auch gute Texte schreibt, wenn diese nicht wirklich viel aussagen und wenn es hier um Rollstuhlwettrennen, Guns'N'Roses-Shirts und Sprintertouren geht, dann ist mir das bei ihm völlig recht. Auch deshalb, weil Macklemore sich auf Gemini die Freiheit nimmt, musikalisch alles zu machen, worauf er Lust hat. Das Ergebnis klingt zwar am Ende trotzdem auffallend häufig nach Ryan Lewis und ist in den seltensten Fällen originell (Marmelade ist die dreisteste Kopie von D.R.A.M.s Broccoli aller Zeiten, inklusive Lil Yachty-Feature), hassen kann ich es deshalb allerdings nicht. Der überwiegende Teil der Tracks hier sind überaus solide bis sehr gute Poprap-Stücke, die jede Menge Spaß machen. Glorious und Ain't Gonna Die Tonight haben die hymnische Feierlichkeit eines Can't Hold Us und werden live garantiert nicht schlecht ankommen, Intentions versucht sich ein weiteres Mal sehr erfolgreich an einem Singer-Songwriter-Crossover (diesmal mit Dan Caplen) und mit Firebreather gibt es sogar einen ziemlich coolen Rocksong. Lediglich einige Traprap-Versuche wie Ten Million oder How to Play the Flute gehen ziemlich schief. Edgyness steht diesem Musiker nach wie vor eher weniger gut. Was außerdem auffällt: So eine richtige Ballade gibt es hier nicht. Na gut, Over It und Miracle sind vielleicht nicht ganz so Upbeat wie der Rest, aber es bleibt auf einem ertragbaren Niveau. Zumindest habe ich Macklemore auf Albumlänge noch nie so undramatisch erlebt und irgendwie finde ich das sehr gesund. Gemini ist mit seinen unkomplizierten Popsongs weder ein inhaltliches noch ein musikalisches Highlight, aber man hat den Eindruck, dass in diesen Stücken viel Freude steckt, die sich auf auf die Hörenden überträgt. Ich finde nicht, dass das hier die beste LP des Rappers ist, aber ich finde sie bei weitem auch nicht so scheiße wie viele meiner Kolleg*innen. Vor allem tut sich Macklemore meiner Meinung nach hier selbst einen Gefallen.Wenn man die wandelnde Zielscheibe des US-Rap ist, muss man auch mal eine Pause einlegen und genau das ist Gemini in gewisser Weise. Das Prinzip Hier rein - da raus wird sicherlich kein dauerhaftes für ihn sein, dafür hat er am Ende doch zu viel Mitteilungsbedürfnis. Aber diese Platte will davon erstmal nichts wissen. Und wer weiß, vielleicht ist in zwei bis drei Jahren über den ganzen Mist auch schon wieder Gras gewachsen und wir können wieder ganz normal reden. Wäre ja auch eine Perspektive.





Persönliche Highlights: Ain't Gonna Die Tonight / Glorious / Willy Wonka / Intentions / Good Old Days / Zara / Corner Store / Miracle / Excavate

Nicht mein Fall: Marmelade / How to Play the Flute / Ten Million

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