Freitag, 13. Oktober 2017

Bruder du weißt

Im Herbst 2017 wird die Musikwelt ein weiteres Mal Schauplatz für einen der klassischen Beefs der Rockgeschichte, der sich mit gewissen Unterbrechungen nun bereits circa 25 Jahre hinzieht. Die Kontrahenten: Die Gebrüder Liam und Noel Gallagher, zwei der wichtigsten britischen Rockmusiker dieser Zeit und darüber hinaus ehemalige Bandkollegen bei Oasis. Mittlerweile sind beide schon lange mit eigenen Projekten unterwegs und schaffen es dabei alle paar Jahre, ihre neuen Alben ganz zufällig mit sehr wenig zeitlichem Abstand zum jeweils anderen zu veröffentlichen. Die Masche, dass die gesamte Medienlandschaft daraus den Beef entwickelt, den die beiden haben wollen, funktioniert ziemlich gut, Fakt ist aber auch, dass es ein bisschen Spaß macht, ihnen dabei zuzusehen. Die gegenseitige Stichelei ist über die Jahre qualitativ gesehen weniger einseitig-Noel-lastig gewesen als erwartet und beide Musiker wurden dadurch noch ein bisschen mehr zu besseren Leistungen angespornt. Gerade Liam hat in seinen Jahren mit der neuen alten Band Beady Eye eine krassere künstlerische Entwicklung durchgemacht als die ganze Zeit vorher. Von den Fackelträgern der Oasis-Zeit wurde die Gruppe zuletzt zur doch recht experimentellen Angelegenheit, die mit Triphop, Krautrock und Madchester herumprobierte und in meinen Augen am Ende sogar das coolere Album machte als Noel. Und nun ist mit As You Were, der ersten Solo-LP von Liam, die konsequente Weiterführung dieses Prozesses erschienen. Beady Eye waren eigentlich schon immer nur seine eigene Spielwiese, also warum nicht einfach das Kind beim Namen nennen und selbst die Solo-Keule auspacken? Liam ist eben ein Narzisst und wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass er hier sein bisher bestes Album überhaupt gemacht hat. Diese Platte repräsentiert nämlich genau das, was wir von ihm kennen: Glorreiche, dick aufgetragene Rock-Hymnen, die mit ihren Melodien die Welt umspannen können. Ohne das Songwriting-Talent seines Bruders hatte er das bisher nicht hinbekommen (wer den Beweis will, kann sich ja mal die erste Beady Eye-LP anhören), doch was er hier macht, kann für Menschen, die der Trennung der Hauptband noch immer hinterher trauern, als äußerst wirkungsvolles Substitut für Oasis funktionieren. Besonders originell ist das natürlich nicht, aber man kann auch nicht abstreiten, dass Liam nach wie vor gut darin ist, den Spirit von früher zu beschwören. Die 56 Minuten dieser LP sind zum Bersten voll mit energischen, eingängigen Power-Tracks, die in meinen Augen ganz ohne Frage das Niveau einer richtig guten Oasis-Platte reproduzieren. Songs wie Wall of Glass, Universal Gleam oder I Get By hätten wahnsinnig gut in die Diskografie dieser Band gepasst und es ist nicht auszuschließen, dass dann auch 80.000 Menschen in Glastonbury mitgesungen hätten. In der jetzigen Situation ist das wohl eher unwahrscheinlich, aber das ändert nichts daran, dass As You Were in meinen Augen ein tierisch gutes Album geworden ist. Vielleicht kommt es nur ein bisschen zur falschen Zeit. Liam Gallagher hat hiermit ein für allemal gezeigt, dass er definitiv kein schlechterer Songwriter ist als sein Bruder und wenn wir jetzt mal wieder in den Kategorien des Wettbewerbs denken: Der soll ihm das erstmal nachmachen. Denn was man bisher von der im November erscheinenden neuen LP von ihm hört, ist nicht ansatzweise so groß wie auch nur eine Sekunde von diesem Album.





Persönliche Highlights: Wall of Glass / Bold / Greedy Soul / Paper Crown / For What It's Worth / I Get By / Come Back to Me / Doesn't Have to Be That Way

Nicht mein Fall: I Never Wanna Be Like You

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