Samstag, 21. Oktober 2017

Fellow Children

Mittlerweile erwische ich mich manchmal bei dem bösen Gedanken, dass ich Beck im Moment vielleicht lieber mögen würde, hätte er nicht doch wieder angefangen, Platten aufzunehmen. Bis zu Modern Guilt von 2008 war seine Diskografie eine äußerst solide Angelegenheit (abgesehen von seinem Debüt vielleicht) und seine Distanzierung vom klassischen Release-Format Anfang dieses Jahrzehnts war nicht nur ein intelligenter und kreativer Move, sondern verpasste dem Songwriter auch eine gewisse mystische Aura. In meinen Augen wäre Beck damit als einer der großen musikalischen Helden meiner frühen Teenagerjahre aus dem Musikbusiness ausgeschieden. Aber dann ging es irgendwie trotzdem weiter. Sein Grammy-Album Morning Phase war vor drei Jahren leider ziemlicher Kram und alles, was seitdem erscheint, hat den Künstler für mich leider ein bisschen egal werden lassen. Stand 2017 ist das einstige Kreativ-Genie der Slacker-Bewegung in den Neunzigern, der Hiphop mit Folk kombinierte und als Disco-Funker ebenso glaubwürdig war wie als intimer Akustik-Barde, zum Konsens-Musiker geworden, den die Fans von damals immer noch gut finden, weil er "mit ihnen gewachsen" ist. Im Klartext heißt das aber nur, dass Beck langweiliger geworden ist. Und zum absolut perfekten Zeitpunkt erscheint mit Colors nun auch sein bis dato glattestes und hörerfreundlichstes Album. Man kann es nicht beschönigen: Auf diesen 44 Minuten erleben wir einen Künstler, der seine typischen Kompositions-Bausteine nur noch routiniert herunterspielt und dabei Musik für eine Laufkundschaft macht. Eine LP voll mit unbeschwertem Easy Listening, das auch im Vormittagsprogramm von MDR Figaro nicht weiter auffallen würde. Sogar die Tatsache, dass Beck hier nach wie vor Genregrenzen sprengt, hat er irgendwie geschafft, richtig langweilig werden zu lassen. In dem Versuch, eine Art Werkschau durch Becks künstlerische Stationen zu sein, endet diese Platte irgendwo zwischen einer Singlesammlung von Maroon 5 (die klangliche Ähnlichkeit ist tatsächlich verblüffend) und dem Alterswerk eines One Hit-Wonders der Neunziger, das Beck nie gewesen ist. Dear Life ist eine schwungvolle Ballade, die die Missverhältnisse der Existenz beklangt, dabei aber höchstens das Niveau einer B-Seite von Guero oder Modern Guilt erreicht, Dreams klingt, als wäre Ed Sheeran seit neuestem Tame Impala-Ultra geworden, I'm So Free scheitert äußerst peinlich bei dem Versuch, den Gedanken von Raprock ins neue Jahrtausend zu transportieren und spätestens mit dem Trap-Beat in Wow kann man sich nur noch an den Kopf greifen. Einzig der Opener und Titelsong, obgleich dreißt von Animal Collective geklaut, sorgt ein bisschen für Aufatmen bei mir. Denkt Beck, er wäre irgendwie cool oder könnte damit die Millenials erreichen, die ihn erst von seinem Morning Phase-Grammy kennen? Und wenn ja, warum macht er dann Musik, die so gebürstet und clean ist, dass man dafür schon mindestens 30 sein muss? So wie ich es sehe, ist Colors das albumgewordene Steve-Buscemi-Meme und das ist für mich als ehemaligen Superfan schon ein bisschen ein Skandal. Ich sehe diesen Typen weiß Gott schon eine Weile nicht mehr als das gigantische Genie, das er nie war, aber hier verkauft er sich definitiv unter Wert. Statt ein erwachsenes neues Album zu machen, wie es sich für einen Künstler seines Formats gehört, wirft er sich hier einem jungen Mainstream-Publikum vor die Füße, das sich höchstwahrscheinlich einen Scheiß für diese LP interessieren wird und auf den Mist auch gar nicht erst reinfällt. Rein moralisch ist Colors für mich also der Tiefpunkt von Becks Karriere. Um aus diesem Tal wieder herauszukommen, muss schon was passieren. Und ich hoffe inständig, dass etwas passiert. Denn diese Mann kann das auch 2017 noch besser.





Persönliche Highlights: Colors

Nicht mein Fall: I'm So Free / No Distraction / Wow / Up All Night

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