Mittwoch, 4. Oktober 2017

Disintegration

Es ist eigentlich seltsam, dass Protomartyr in den letzten Jahren nie wirklich eine Lieblingsband von mir gewesen sind, wo sie doch Gelegenheit genug dazu gehabt haben. Schon ihr Debütalbum Under Color of Official Right war 2014 eine qualitativ hochwertige Ausnahme-LP in der amerikanischen Postpunk-Szene und das ein Jahr später erschienene the Agent Intellect erst recht. Die Band aus Detroit hat gute Texte, spielt charismatische Konzerte und ist für ihre stilistischen Verhältnisse manchmal sogar ziemlich catchy. Trotzdem waren sie bisher immer nur eine Gruppe, die ich irgendwie gut fand und deren Platten ich ganz empfehlenswert fand. Wahrscheinlich lag das einfach daran, dass sie eben doch noch zu sehr in ein gewisses Muster passten, das auch andere Kandidat*innen wie Preoccupations oder Marching Church ansprachen, die es darüber hinaus besser verstehen, von sich reden zu machen. Protomartyr sind sehr gut, aber eben nur selten bemerkenswert. Was sich leider auch mit ihrem dritten Longplayer nicht ändert. Dabei hatte ich erst einen völlig anderen Eindruck, als vor ein paar Monaten die Leadsingle A Private Understanding erschien. Der umfangreiche, kompositorisch vertrackte und äußerst textbasierte Song ließ das Quartett plötzlich wie eine Kunstband vom Format eines Nick Cave oder Elias Bender Rønnenfeldt werden und vermuten, dass Relatives in Descent wohl einige sehr radikale stilistische Brüche mit sich bringen würde. Den Track selbst mochte ich zwar an sich nicht besonders, aber er machte neugierig. Neugierig auf ein Album, das am Ende nur wieder das business as usual für Protomartyr ist. Ihr düsterer, sonorer und rauher Postpunk wird zwar hier und da mit einigen Elementen von Indierock und Postrock garniert und ist in seiner Gesamtheit leichter als sein Vorgänger, aber effektiv ändert das nichts. Die Band lebt noch immer von ihren scharfkantigen Gitarrenriffs von Greg Ahee, dem knalligen Schlagzeugspiel von Alex Leonard und vor allem der grimmigen Rotweinstimme von Joe Casey. Das alles ist hier nach wie vor nicht schlecht, aber eben auch überhaupt nicht neu. Fast jeder Song von hier hätte auch von einem der letzten beiden Alben sein können und die haben bei aller Großartigkeit die Ästhetik dieses Sounds schon ziemlich breitgefahren. Folglich habe ich gerade für Songs wie Caitriona oder the Chuckler hier leider keinerlei Interesse mehr und auch die Leidenschaft der Musiker selbst scheint hier nachgelassen zu haben. In wenigen Stücken, wie etwa dem tänzelnden Here is the Thing oder dem mit Piano-Passagen unterfütterten Windsor Hum spürt man noch, was diese Band für kompositorische Kraft besitzt und wie spannend ihr Sound eigentlich sein kann. Nur hätte er mittlerweile wirklich ein paar neue Impulse gebrauchen können. Einfach so klingen Protomartyr hier ziemlich blutleer und unmotiviert, was natürlich jammerschade ist. Denn eigentlich hatte ich in dieser Band bisher echt etwas gesehen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass das noch passieren kann, aber dafür müssen jetzt Ideen her. Ansonsten könnte das mit dem Fan-Werden düster aussehen.





Persönliche Highlights: A Private Understanding / Here is the Thing / Windsor Hum / Night-Blooming Cereus / Male Plague / Half Sister

Nicht mein Fall: Caitriona / the Chuckler

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