Mittwoch, 25. Oktober 2017

Weil die Andern Spastis sind...

Also wenn man mich fragt, dann haben Zugezogen Maskulin das beste Deutschrap-Album der letzten zehn Jahre schon gemacht. Alles brennt von 2015 ist in meinen Augen eine Platte, die sich bis heute von der Arbeit fast aller Zeigenoss*innen in der hiesigen Szene absetzt und das in vielerlei Hinsicht. Es funktioniert als Gesamtheit, was im deutschsprachigen Hiphop leider noch immer ziemlich selten ist, wurde fantastisch produziert und schafft es, echtes Hitpotenzial mit der Edgyness von vulgärer Rapkultur zu verbinden. Vor allem ist es aber absolut gemeingefährlich und statt platt zu provozieren stellt es hinter die unsichtbare Wand sehr ernste und intelligente Botschaften, die Grim104 und Testo den Hörenden auch ohne Mitleid in die Fresse schlagen. Insgesamt schafften es ZM damit langfristig, mich aus der Deutschrap-Laufkundschaft in die Untiefen der Szene hinabzuziehen, wo ich mich plötzlich für Leute wie Gringo44 und Soufian interessiere. Allerdings war auch da keiner besser als diese beiden MCs und in den zweieinhalb Jahren seit seinem Release hat Alles brennt deshalb einen kleinen Legendenstatus für mich selbst entwickelt. Man könnte daher argumentieren, dass sein Nachfolger in meinen Augen ja nur scheiße werden konnte, weil er den Erwartungen nach so einem Debüt niemals gerecht werden würde. Und ein klein wenig ist das vielleicht auch so, aber ich möchte auch anmerken, dass ich in die Promophase für Alle gegen Alle eigentlich mit einem sehr guten Gefühl startete. Schon die 2016 veröffentlichte Einzel-Single Ratatat im Bataclan fand ich sehr ansprechend und als im Juli diesen Jahres die tatsächliche Album-Leadsingle Was für eine Zeit erschien, hatte ich ein Stückweit wieder das Gefühl von Alles brennt zurück. Zugezogen Maskulin machten wieder großartige Banger mit viel Message und Sarkasmus, die aber noch eine ganze Ecke finsterer und nihilistischer waren als die Sachen vom Debüt. Wäre das komplette Album so geworden, hätte das hier ein großartiges Sequel sein können. Aber genau das wollten ZM diesmal eben nicht machen. Hätten sie gewusst, was sie stattdessen machen wollen, wäre das vielleicht auch kein Problem gewesen. Aber so wie es aussieht, ist Alle gegen Alle so ein bisschen das Produkt einer Sinnkrise. Vieles hier ist so ein bisschen wie auf dem letzten Album, andere Sachen komplett neu, wobei beides seine Licht- und Schattenseiten hat. So ist beispielsweise ein Track wie Yeezy Christ Superstar, der auch auf Alles brennt gepasst hätte, zwei Jahre später nicht mehr wirklich so sensationell, weil man diese Attitüde von den beiden inzwischen schon sehr gut kennt. Bei Vor Adams Zeiten, einem sehr introvertierten und unüblich existenzialistischen Stück, ist es auf der anderen Seite so, dass ich das Gefühl habe, ZM könnten sich darauf nicht wirklich einlassen, weil sie am Ende doch noch zu sehr die scharfzüngigen Rüpelrapper sind. Diese beiden Songs sind natürlich Extreme, aber irgendwie pendelt dieses ganze Album ziemlich unbefriedigend zwischen diversen Ideen hin und her, von denen nur wenige wirklich konsequent sind. Macht man noch Trap-Beats oder denkt man schon weiter? Wie viel Mainstream-Kuschelei darf man zulassen? Wie viel Autotune ist zu viel Autotune? Mehr emotionale Seelenschau oder mehr politische Provokation? Warum finde ich alle Menschen so scheiße? Die Band stellt diese Fragen hier, kann sie aber für sich nicht lösen und verliert deshalb lyrischen und musikalischen Fokus. Besonders merkt man das in den Hooks vieler Songs. Wo ich ZM bisher stets dafür schätzte, in fast allen Fällen einen pointierten Refrain hinzubekommen, der beim Hören fies stecken blieb, schaffen die beiden hier wenige wirklich überzeugende Hit-Momente und das, obwohl der Sound im großen und ganzen wesentlich gefälliger ist. Damit ist Alle gegen Alle an vielen Stellen wieder näher am ersten Mixtape des Duos als an ihrem Debüt. Wobei das alles natürlich auch ein bisschen Jammern auf hohem Niveau ist. Denn worauf man sich nach wie vor bei beiden MCs verlassen kann, sind die auf den Punkt formulierten Parts. Ob nun emotional-nostalgisch aufgeladen wie in Nachtbus, fies-ironisch wie in Stirb oder einfach nur bitterböse wie in Was für eine Zeit, Zugezogen Maskulin bringen die Bars. An gutem Punchline-Material ist diese Platte genauso reich wie ihr Vorgänger und auch die Attitüde passt wieder sehr gut. Selbst wenn Grim in Songs wie Der müde Tod oder Vor Adams Zeiten in etwas lamentierendes Poesie-Terrain abdriftet, nimmt man ihm diese Haltung mit jeder Zeile ab. Und es wird sicher Leute geben, denen das genügt. Als jemand, der sich bei dieser Band aber vor allem in die konzeptuelle Leistung und den Balanceakt zwischen Szene und Mainstream verliebt hat, bleibt Alle gegen Alle doch irgendwie unbefriedigend. Ohne stilistischen roten Faden, knackige Beats und Hammer-Hooks sind ZM zwar immer noch eine stabile Währung, aber sie begeistern mich auch nicht mehr wirklich. Keiner der Songs hier hätte mich so zum Fan werden lassen wie eigentlich jeder einzelne auf Alles brennt. Und ich hoffe inständig, dass diese Flaute nur das vorübergehende Symptom der Hype-Betaphase von ihrem Debüt ist. So gut, wie diese beiden MCs tatsächlich sind, wäre es eine Schande, wenn sie so enden würden wie all die großartigen Deutschrapper, die alle nur dieses eine legendäre Album gemacht haben und danach nur noch Schrott. Obwohl sie dafür auch echt noch ein ganzes Stück nachlassen müssten.





Persönliche Highlights: Intro / Was für eine Zeit / Alle gegen Alle / Yeezy Christ Superstar / Nachtbus / Der müde Tod / Steine & Draht

Nicht mein Fall: Teenage Werwolf

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