Dienstag, 17. Oktober 2017

Fühlen lernen

Die Welt des sogenannten "alternativen R'n'B" ist in den letzten Jahren zweifelsohne einer der größten Märkte für neue künstlerische Blickwinkel geworden. Nicht nur ehemalige Fremdkörper wie Bon Iver oder Dirty Projectors fühlen sich inzwischen konstant zu elektronischen Soul-Blasen und frickeligem Post-Gejaule hingezogen, es sind vor allem junge Neuentdeckungen, die mächtig Wind in die Segel dieser Stilrichtung blasen. Musiker*innen wie Clarence Clarity, FKA Twigs oder Partynextdoor sind inzwischen ziemliche Hausnummern geworden und stehen für eine mitunter ziemlich radikale Neuinterpretation des R'n'B-Begriffs. Und obgleich ich die Idee daran von Anfang an sehr schätzte, bin ich mit den meisten Acts der Bewegung noch immer nicht richtig warm geworden. Zu oft erlebe ich es, dass der Avantgarde-Anspruch einer Platte viel wichtiger genommen wird als der, ein Gefühl zu vermitteln und nicht selten macht das diese Alben auch ein klein wenig öde. Ein Problem, dass sich unter Umständen mit Kelela lösen lässt. Schon seit einer ganzen Weile ist die Sängerin aus Washington D.C. so etwas wie der heimliche Shooting-Star der Bewegung und ihre bisherigen Veröffentlichungen machten 2016 in vielen Blogger-Kreisen die Runde. Aus gutem Grund: Kelela schafft es sehr erfolgreich, in ihren Songs die emotionale, sinnliche Energie des R'n'B der Neunziger mit skurrilen IDM-Beats und experimentellen Songstrukturen zu verbinden und hat damit schon einen großen Vorsprung zum größten Teil ihrer Kolleg*innen. Ihre Songs wirken weder steril noch kaputtgebastelt oder irgendwie verkopft. Und ich hatte wirklich gehofft, dass sie diese Qualitäten in Take Me Apart auf einem einheitlichen, starken Album manifestiert. Was auch ein Stück weit der Fall ist. Die 14 Songs hier sind definitiv nicht so unzugänglich wie viele der Sachen ihrer stilistisch Nächstverwandten FKA Twigs, Kelela ist hier um einiges geschmeidiger und tatsächlich auch ein bisschen erotisch (Wer jetzt denkt, das ist objektifizierend, kann sich ja mal die Lyrics durchlesen). Das hilft ihr auf jeden Fall, denn obwohl sie das sehr gut macht, hat diese LP die gleichen Kernprobleme, die ich eben beschrieben habe. Die Produktion (die übrigens unter anderem von Arca stammt, der auch für Björk und FKA Twigs viel Müll produziert hat) ist mir nach wie vor ein bisschen zu minimalistisch und instabil, sodass Kelela mit ihrer genialen Stimme und den tollen Texten leider sehr oft ins leere singt. Und auch hier werden die Tracks mit der Zeit ein kleines bisschen gleichförmig und können nicht wirklich ein Eigenleben aufbauen. Zwar sind in dieser Hinsicht auch schon bessere Ansätze da als bei den meisten Anderen, aber es bleibt trotzdem eher unbefriedigend. Man kann ahnen, wo Kelela mit diesen Ideen hin will, aber so gut wie alle Songs geraten weit davor ins Stocken. Und wenn es am Ende darum geht, ob mir diese Künstlerin das Konzept Indie-R'n'B verkauft oder nicht, dann ist die Antwort eben nach wie vor ein ziemlich klares Nein. Wenn es darum geht, bleibt die Überzeugungsarbeit für mich leider an alten, erfahreneren Projekten hängen, die wissen, wie man auf der Schnittstelle zwischen Avantgarde und Mainstream richtig balanciert. Ich spreche Kelela nicht ab, das noch zu lernen, doch auf diesem Album tut sie das ganz sicher noch nicht.





Persönliche Highlights: Frontline / Jupiter / Better / LMK / Truth Or Dare / Turn to Dust

Nicht mein Fall: Onanon

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen