Dienstag, 10. Oktober 2017

Wenn jemand fragt, wohin du gehst...

Im Herbst 2017 kommt die Wiener Band Wanda gerade frisch aus der vielleicht schönsten Erfolgssträhnen, die überhaupt jemand in den letzten fünf Jahren hätte haben können. Ihre ersten beiden Alben gehören in meinen Augen zu den besten deutschsprachigen Pop-Alben ihrer Zeit, Singles wie Bologna, Bussi Baby oder Gib mir alles sind innerhalb kürzester Zeit zu Gassenhauern geworden und auch live gelten sie schon lange nicht mehr als Geheimtipp. Man kann wirklich sagen, dass es besser nicht hätte laufen können für die Österreicher und ich bin selbst sehr froh, etwas verspätet doch noch ein Fan von ihnen geworden zu sein. Doch so schön es bisher auch war, im Herbst 2017 sind Wanda auch an einem kritischen Punkt angekommen. Ihr Stil ist mittlerweile weitläufig bekannt, das Modell der Mischung aus Heartland-Rock, Wiener Arroganz und Marcus Michael Wandas soulig-wild-poetischen Texten wurde auf Amore und Bussi bis aufs letzte ausgereizt und war jetzt lange genug originell. Neue Ideen müssen her, die das alles weiterhin spannend machen, gleichzeitig darf aber nicht der fantastische Spirit der ersten beiden Platten verloren gehen. Für keine Band eine leichte Aufgabe, aber auch keine, die ich Wanda nicht zugetraut hätte. Kreativität ist eigentlich noch nie ihr Problem gewesen und wer gleich auf seinem Debüt so einen prägnanten Sound ausbreitet wie sie auf Amore, muss sich um Integrität ebenfalls nicht sorgen. Außerdem hatte das Quintett mit der Leadsingle 0043 schon vor zwei Monaten gezeigt, wie easy dieser Balanceakt für sie möglich ist. Und auch wenn Niente erstmal nach der sehr logischen Weiterführung der bisherigen Diskografie aussieht (der einprägsame Titel, Cover mit Gruppenfoto, etwa eine Stunde Spieldauer), ist sie das nur bedingt. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal schriftlich festhalten würde, aber die neue LP zeigt Wanda als sehr reife Band. Einen so hedonistischen Song wie Ich will Schnaps oder Bussi Baby wird man hier nicht finden, stattdessen erforschen die Wiener hier Themen wie Kindheit, Tod und Entfremdung. Ob man das jetzt schon melancholisch nennen kann, weiß ich nicht, aber im Verhältnis zum bisherigen Output ist Niente ein eher stilles und auch schweres Album. Dass Wanda so etwas können, haben sie schon in Ausblicken gezeigt. Dass sie eine Stunde Material damit unterhaltsam füllen können, ist aber relativ neu. Es ist ziemlich erstaunlich, wie sie hier ohne ihre krachige und plauzige Art, die ja bis hierhin einen Großteil ihres Stils ausmachte, so lange auskommen und dabei nicht langweilig werden. Verantwortlich dafür ist neben nach wie vor toller Komposition und kreativem Sound auch das wesentlich größer gewordene Instrumentarium, insbesondere der Einsatz von Streichern. Die machten schon 0043 von einem guten zu einem besonderen Track und wenn man hier ein Stück wie Ein letztes Wienerlied hört, kann man sich sicher sein, dass Wanda früher definitiv nicht so drauf waren. Aber wer gute Songs übers Saufen schreiben kann, der kennt sich auch mit menschlichen Abgründen aus und demzufolge ist sehr vieles hier nicht weniger Glaubwürdig als die Sachen vorher. Gerade der Opener Weiter, Weiter, die Italo-Nummer Lascia Mi Fare oder das ziemlich getragene Café Kreisky sind persönliche Highlights, die an die Genialität der ersten beiden LPs anknüpfen. Und rein formell ist Niente in dem Sinne auch wieder so. Nur dass es zum ersten Mal nicht wirklich rund geworden ist. Zumindest ich empfinde das hier als erstes Album dieser Band, auf dem es auch merklich schwächere Stücke gibt und nicht alles glatt läuft. Insbesondere die lyrische Arbeit hier ist nicht mehr ganz so stark und grazil wie vorher. Ich bewunderte Marcus Michael Wanda immer dafür, wie er mit seinen Texten mit einer gewissen Albernheit spielte und diese trotzdem immer ganz knapp umtanzte. Unglaublich lange ging das gut, aber nun, wo der die Themen wechselt und ernsthafter werden will, tappt er mitunter voll in textliche Fettnäpfchen. Und das macht eben eine der schönsten Sachen an dieser Band ein wenig kaputt, auch wenn es bis jetzt lediglich Risse in der Fassade sind. Wanda haben hier nach wie vor eine gute Platte gemacht, die erfolgreich den Absprung in eine neue Phase schafft, aber die auch erstmals Schwächen offenbart. Das kann eine vorübergehende Erscheinung sein, aber vielleicht kann es auch sein, dass den fünf Musikern eine Pause ganz gut tun würde. Es ist nicht leicht, die beste Band im deutschsprachigen Raum zu sein, aber immer nur zu powern macht eben irgendwann müde. Und auch wenn man diesen Typen abnimmt, gerne mal drei Tage wach zu sein, irgendwann braucht die Welt ein Timeout. Jetzt wäre der Zeitpunkt.





Persönliche Highlights: Weiter, Weiter / 0043 / Lascia Mi Fare / Das Ende der Kindheit / Café Kreisky / Ein letztes Wienerlied / Ich sterbe

Nicht mein Fall: Wenn du weißt, wo du herkommst

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