Sonntag, 8. Oktober 2017

Graswurzel-Blues

So lange ich dieses Format schon betreibe, habe ich über die anhaltende Proto-Metal-Bewegung und Bands wie Kadavar, Blues Pills oder Elder die meiste Zeit nur geschimpft. Über die ewige Retro-Leier, die immer gleichen Klischees und darüber, dass die Originalität an vielen Stellen einfach fehlt. Das mag vielleicht den Eindruck erweckt haben, dass ich dieses Phänomen prinzipiell doof finde, aber eigentlich ist dem gar nicht so. Es ist nur so, dass in meinen Augen wenige Künstler*innen ihren Job wirklich gut machen. Aber damit ich nicht immer nur am meckern bin, möchte ich heute mal über eine Band schreiben, die genau das tut. Radio Moscow gehören seit jeher zu den eher unbekannten Formationen in der Bewegung, was vermutlich daran liegt, dass sie zur relativ kleinen amerikanischen Fraktion darunter gehören. Tatsächlich sind sie aber schon seit den Anfängen des Revivals mit am Start und veröffentlichten ihr Debüt bereits 2008, als selbst an Pioniere wie Graveyard noch gar nicht zu denken war. Ihr mit Abstand bestes Werk ist aber bis heute sicherlich das großartige the Great Escape of Leslie Magnafuzz von 2011, wie ich finde eines der kreativsten und buntesten Proto-Metal-Alben der letzten zehn Jahre und gleichzeitig mein erster Kontakt mit der Band. Dieser hätte dämlicher nicht stattfinden können, denn seitdem wurde es einigermaßen still um Radio Moscow. 2014 erschien das eher schwache und mehr Stoner-orientierte Magical Dirt, eine ziemlich bittere Enttäuschung von LP, die mich fast meinen Glauben in das Trio verlieren ließ. Doch nachdem nun weitere dreieinhalb Jahre Ruhe war, steht die Band hier endlich wieder mit beiden Beinen voll im Saft. New Beginnings ist ein Psychrock-Album wie aus dem Bilderbuch, bis zum bersten gefüllt mit großartigen Grooves, testosterongebeutelter Leidenschaft und gerade der richtigen Menge Flower Power, um in dem ganzen Schweiß nicht unterzugehen. Von zehn Songs ist einer wie der andere ein Banger, der aber auch in Sachen Songwriting nicht zu kurz kommt und genau richtig dreckig aufgenommen wurde. Das alles sind zwar auch Sachen, die viele andere Bands der Bewegung drauf haben, aber für Radio Moscow ist die Preisung alter Idole dabei nicht wichtiger als das Schreiben guter Songs. Und wo wir schon beim Thema Einflüsse sind: Hier erleben wir drei Musiker, die es verstehen, diesen Begriff mit Bedeutung auszufüllen. Man hat den Eindruck, dass sich hier jeder peinlich genau mit der Musik auskennt, die er spielt. Neben offensichtlichen Vergleichen wie Black Sabbath, Led Zeppelin oder Jefferson Airplane haben die Kalifornier merklich auch ein Faible für die ganz tiefen Wurzeln des Stils in Country, Soul und Blues, die kein bisschen weniger deutlich zu Tage treten. Insbesondere wenn hier und da ein beherztes Mundharmonika-Solo anklingt, ist es nicht mehr weit zu einem Muddy Waters oder Sonny Boy Williamson. Und dieses Gefühl für die elementaren Bestandteile von Rockmusik durchdringt hier jeden Song und macht ihn so viel intensiver als das Material der allermeisten Bands in diesem Bereich. Damit ist New Beginnings am Ende nicht mehr als eine ziemlich straighte Retrorock-LP, aber eine mit mächtig Seele und Energie, die in jeder Sekunde kribbelt und brummt. Und das ist eine Sache, die Rockmusik auch 2017 noch vielen anderen Stilen voraus hat. Schön, dass es jemanden gibt, der mich daran erinnert hat.





Persönliche Highlights: New Beginning / Deceiver / Woodrose Morning / Driftin' / New Skin / Dreams

Nicht mein Fall: -

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