Montag, 23. Oktober 2017

Liebe ist schon was schönes...

Ich weiß nicht ob es an mir liegt oder an der satanistischen Reptiloiden-Musikindustrie, aber gerade habe ich es hier irgendwie mit Kollaborationen. Erst gestern schrieb ich über die gemeinsame Platte von Kurt Vile und Courtney Barnett und heute geht es direkt mit einer Team-LP weiter. Doch wo das beim letzten Artikel eine relativ gewöhnliche Zusammenarbeit zwischen zwei KünstlerInnen war, die irgendwie ja schon aufeinander passen, ist Alle Liebe nachträglich eine doch extrem spezielle Angelegenheit. So speziell, dass ich mir von Anfang an ziemliche sicher war, dass sie wohl zum Scheitern verurteilt wäre. Ein Konzeptalbum über Beziehungen ist an sich schon eine müßige, schwerwiegende Sache, an deren sich nicht wenige Künstler*innen die Zähne ausbeißen, aber dass nun ausgerechnet Mine und Fatoni damit erfolgreich sein sollten, hielt ich für schlichtweg unmöglich. Er, der schlitzohrige Pausenclown des Deutschrap, der noch in diesem Frühjahr eines der krass sarkastischen und albernen Mixtapes dieses Jahres veröffentlichte und sie, die Pop-Songwriterin, die seit Jahren völlig ohne Inhalte auskommt? Never Ever. Ein gehaltvolles, ernsthaftes Album traute ich niemandem der beiden zu, geschweige denn ihnen gemeinsam. Und doch muss ich hier und jetzt sagen, dass ich von Alle Liebe nachträglich inzwischen einigermaßen beeindruckt bin. Sicher, die Songs hier sind durchaus gewöhnungsbedürftig und keine/r der zwei KünstlerInnen macht hier das, wofür man sie üblicherweise mag, aber ein bisschen besteht gerade darin der Reiz. Das wichtigste ist wahrscheinlich, dass man diese LP nicht als einen Teil der Diskografie irgendeines dieser Musiker*innen begreifen sollte, sondern als losgelöste Arbeit, die für sich selbst steht. Innerhalb dieses Kosmos sind die beiden nicht der Rapper und die Chanteuse, nicht der Clown und die Diva, sondern gleichberechtigte GeschichtenerzählerInnen, die einer wie die andere ordentlich auspacken. Denn was sie beide wirklich gut können, ist ins Detail gehen. In jedem der zehn Tracks wird ein Thema aus mindestens zwei Perspektiven totanalysiert, aufgebauscht und mit viel Charme an die große Glocke gehängt. Die Stories sind dabei in den wenigsten Fällen romantisch, eher erschütternd realistisch und mit verletzter Schlagseite erzählt, aber immer irgendwie packend und nie abgenudelt. Mine und Fatoni schaffen es, ihrem Thema in den 37 Minuten dieses Longplayers immer wieder neue Facetten abzuringen und werden nie wirklich langweilig. Und das liegt nicht zuletzt auch daran, wie toll Alle Liebe nachträglich musikalisch umgesetzt ist. Mine strahlt hier als klangliche Dekorateurin und Hauptproduzentin mit einem sehr edlen Sound, der vor allem auf satte Elektro-Flächen und Streicher setzt, aber auch den ein oder anderen Trap-Moment wie in Tattoo oder Akustikgitarre wie in Romcom nicht auslässt. Die dabei entstehenden Hooks sind textlich zwar ab und zu etwas wacklig, aber kompositorisch absolut erste Sahne und schaffen es sogar, einige dieser verklausulierten Lyrics doch noch zu Hits werden zu lassen. Das wirklich coole dabei ist, dass sich die vokalistischen Anteile dabei keinesfalls in "Mine singt die Hook und Fatoni rappt alle Strophen" teilt. Des öfteren spielen die beiden KünstlerInnen mit der Anordnung ihrer Parts und im Closer Erdbeeren ohne Grenzen funktioniert es sogar genau andersrum. All diese kleinen, schönen, kreativen Momente machen Alle Liebe nachträglich vielleicht nicht zu einer der besten, aber zu einer der interessantesten Pop-Platten dieses Jahres, die mal wirklich etwas anderes ist als das, was man von diesen beiden sonst gewöhnt ist. Mine und Fatoni lehnen sich hier weit aus dem Fenster, weswegen ihre Fans dieses Album vielleicht nicht unbedingt mögen werden. Aber im Endeffekt lohnt es sich doch ziemlich und mein anfänglicher Groll auf diese LP ist inzwischen einem ziemlich umfassenden Wohlwollen gewichen. Wäre ja auch sinnwidrig, eine Musik über die Liebe zu hassen.





Persönliche Highlights: Romcom / Aua / Mehr / Alle Liebe nachträglich / Fundament / Tattoo / Traummann / Erdbeeren ohne Grenzen

Nicht mein Fall: Schminke

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen