Montag, 6. August 2018

Der weise Iggy




















Es war auf den ersten Blick ein ziemlich seltsames Ereignis, als Underworld vor ein paar Monaten einen gewissen Song namens Bells & Circles veröffentlichten, der eigentlich zunächst aussah wie ein Teaser zu ihrem neuen Album namens Teatime Dub Encounters. Ein dick aufgetragener, hypnotischer Techno-Beat, wie man ihn von den Briten so oder so ähnlich schon seit den Neunzigern kennt und der an und für sich schon eine gute erste Single ausgemacht hätte. Was das ganze jedoch sensationell werden ließ, war die Tatsache, dass niemand geringeres als the legend himself Iggy Pop sich hier für den Vokalpart verantwortlich zeigte. An sich ist das mittlerweile auch keine Riesenüberraschung mehr, denn in den letzten Jahren fühlte sich der Stooges-Sänger immer wieder mal zu elektronischer Musik hingezogen, es war eher die Ausführung, die das hier für mich so großartig machte. Erstmals hörte man Iggy hier nämlich nicht unbedingt singen, sondern viel mehr eine Art Spoken-Word-Performance aufführen. Und die ist in meinen Augen bereits jetzt eine siner besten Arbeiten überhaupt. Ganz nonchalant plaudert der Punkrock-Veteran hier aus dem Nähkästchen und erzählt darin von seiner Variante der "good old times", die für ihn augenscheinlich im wesentlichen deshalb so gut waren, weil man damals im Flugzeug noch rauchen durfte. Und was jetzt erstmal ziemlich bescheuert klingt, hat sich für mich in den letzten Wochen und Monaten zu einem echten Favoriten entwickelt. Die gute Nachricht dabei war, dass bereits kurz danach klar wurde, dass auch die restlichen Stücke auf Teatime Dub Encounters mit Features von Iggy versehen sein würden und das Mini-Album nun den Status einer vollwertigen Kollaboration hatte. Im Klartext bedeutete das, dass potenziell noch mehr Songs wie Bells & Circles in der Pipeline waren, was die Platte für mich von da an zu einem der wichtigsten Releases des Sommers machte. Von hier an übernahmen dann die schlechten Nachrichten. Denn ganz so einfach stellte sich die Sache dann doch nicht da. Auch wenn der erste Eindruck noch so gut ist, eine Zusammenarbeit zweier so unterschiedlicher und vielschichtiger Acts ist kreativ gesehen kein Pappenstiel und es war von Anfang an davon auszugehen, dass diese LP sich weit in experimentelles Territorium hinaus wagen würde. So ist am Ende freilich nicht jeder Song hier so ein Volltreffer wie die Leadsingle. Get Your Shirt beispielsweise zeigt, wie unglaublich cringy und peinlich die Symbiose aus Iggy Pop und Techno auch sein kann und war am Anfang in meinen Augen einer der furchtbarsten Songs des Jahres. Und obwohl ich das mittlerweile etwas milder sehe, ist diese Arbeit noch immer weit davon entfernt, ein guter Track zu sein. Auch in Trapped, welches ebenfalls eine eher traditionelle Gesangsstruktur verfolgt, bekleckert sich Iggy nicht gerade mit Ruhm. Die wirklich faszinierenden Songs auf diesem Album sind am Ende tatsächlich jene, auf denen er als bloßer Erzähler auftritt. Und hier ist man dann nicht selten auch wirklich baff und beeindruckt von den Dingen, die da referiert werden, denn es gibt tatsächlich niemanden, der dafür besser geeignet werden. Zum einen hören wir hier einen Typen, der in seinem Leben jede Menge erlebt hat und deshalb nicht nur einiges krasses zu berichten hat, sondern er ist auch jemand, der in diesem Zusammenhang eine gehörige Portion Weisheit mitbringt. Er ist hier wie der Zen-Meister des Rock-Zirkus, der auf den ersten Blick scheinbar nur übers Koksen, Vögeln und Randalieren quatscht, in der Hinterhand aber bedeutungsvolle Botschaften über Freundschaft, Ehrlichkeit und Freiheit zu vermitteln hat. Gerade ein Stück wie I'll See Big ist dafür exemplarisch. Und obwohl der Sänger sich auf dieser Platte auch einige derbe stilistische Schnitzer erlaubt, bin ich deshalb im großen und ganzen nicht enttäuscht von seiner Performance hier. Denn sie zeigt mir eine vollkommen neue Dimension des Künstlers Iggy Pop auf, von der ich unglaublich gerne mehr hören will. Ganz zu schweigen davon, dass die Instrumentals von Underworld dazu konstant sehr gut sind. Insgesamt ist das hier also schon irgendwie ein gelungenes Album, auch wenn ich vermuten würde, dass es damit sicherlich nicht allen so geht. Teatime Dub Encounters ist eine dieser Platten wie Lulu von Lou Reed und Metallica oder Bish Bosch von Scott Walker, die man entweder liebt oder hasst. Und beides ist in meinen Augen absolut gerechtfertigt. In diesem Fall kann ich mich freuen, ausnahmsweise mal auf der Lieben-Seite zu stehen.






Persönliche Highlights: Bells & Circles / I'll See Big

Nicht mein Fall: Get Your Shirt

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