Mittwoch, 15. August 2018

Zu spät




















Es gab vielleicht mal einen Zeitpunkt, da hätte Ben Khan eine dieser großen Newcomer-Sensationen werden können, von denen die Leute von der Presse immer so viel schreiben. Zwischen 2014 und 2015, als der Brite seine ersten Gehversuche als Musiker direkt mit ein paar sehr gelungenen EPs bestritt, witterten es die ersten schon. Da hatte jemand mal wirklich Talent. Man spürte es zu diesem Zeitpunkt: Sobald der Junge ein Debüt veröffentlichen würde, würden sich die Kritiken überschlagen. Nur dass er genau das danach immer nicht gemacht hat. Khan war stattdessen in Indien, holte sich Inspiration, machte so dies und jenes und hatte Zwischendurch auch mal gar keinen Bock auf neues Material. Und an dieser Stelle kommt plötzlich die sehr undankbare Seite des Musikjournalismus zum Vorschein, der dann doch nicht ewig auf diese kommende Platte warten wollte und den jungen Songwriter schlichtweg vergaß. Drei Jahre später ist das Debüt nun fertig, aber keine Sau interessiert das ganze. Ben Khan lässt sich schlecht vermarkten, er ist mittlerweile etwas untrendy geworden und außerdem hat Twin Shadow vor ein paar Monaten schon ein Album gemacht, das ziemlich ähnlich klingt. Sorry Bruder, dumm gelaufen. Was diesen Leuten allerdings entgeht, ist eines der mit Sicherheit schicksten Indiepop-Alben dieses Sommers, das definitiv noch einiges an Potenzial in diesem Typen zeigt. Sicher, Ben Khan ist stilistisch nicht wirklich an vorderster Front, was Innovation angeht, fast hätte ich für das, was er hier spielt, sogar den Uralt-Begriff des Indietronic strapaziert, aber Songs kann er dafür schreiben. Zwischen verfrickeltem Elektro, Retro-R'n'B, neuem R'n'B und einem kleinen bisschen Folk (aus Europa und aus dem mittleren Osten) schafft er hier eine sehr edle und erlauchte Ästhetik, die noch vor ein paar Jahren bei Berliner Clubbesitzern für feuchte Höschen gesorgt hätte. Seine Tracks sind psychedelisch, aber auf eine charmant-zurückhaltende Art, sie zitieren Peter Gabriel, Springsteen und Gerry Rafferty, aber ironisch-verwegen und mit modernem Filter: Ben Khan klingt, als hätten die Veranstalter*innen des Melt!-Festivals heimlich eine künstliche Intelligenz programmiert, die das Repertoire des gesamten Line-Ups seit 2010 gelernt hat, nur um selbiges ab nächstem Jahr langsam aber sicher komplett zu ersetzen. Ein bisschen Porches, ein bisschen James Blake, ein bisschen Jamie XX, ein bisschen Moderat. Und obwohl das jetzt gehässig klingt, finde ich das eigentlich ganz cool. Mein Gott, musikalisch ist das vielleicht nicht mehr ganz up to date und ein bisschen abgeschaut, aber ich bin eben auch keiner von diesen Pressefuzzis, für die nur dieses Kriterium zählt. Denn gute, verschrobene Popsongs sind das hier allemal. Mit Stücken wie 2000 Angels, Do It Right oder Ruby sind sogar echte kleine Meisterwerke dabei, die unbedingt gewürdigt gehören. Ein großer Newcomer wird Ben Khan damit nicht mehr, aber ganz ehrlich, wer will sowas überhaupt sein. Ich finde es eher sehr mutig und abgebrüht, dass er sich mit seinem Debüt Zeit gelassen hat und damit zwar seinen Entdeckungs-Bonus verspielt hat, dafür mit dem Ergebnis aber wahrscheinlich auch zufrieden ist und hier ein ernsthaft gutes Album vorweisen kann. Und so hören diese Musik jetzt wenigstens auch nur diejenigen, die sie auch wirklich ehrlich mögen und nicht nur die, die denken, es wäre cool. So kann man die Hipster natürlich auch austricksen.






Persönliche Highlights: 2000 Angels / Do It Right / Ruby / Merchant Prince / Warriors Rose

Nicht mein Fall: -

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