Sonntag, 19. August 2018

Voll korall!




















Eine der klügsten Karrierentscheidungen von Animal Collective in den letzten Jahren war es ganz gewiss, dass sie solche Ökos geworden sind und seit kurzem immer wieder Platten aufnehmen, die im weitesten Sinne irgendwie den Planeten retten sollen. Das ist einerseits für den Planeten gut, der nicht oft genug unterstützt werden kann, aber auch der Band selbst scheint es zu helfen. Denn seitdem sich die Musiker aus Baltimore von den Naturräumen, die sie zu schützen versuchen, auch die Inspiration für ihre Songs holen, ist künstlerisch wieder was los bei ihnen. Schon 2017 begeisterte die Delegation aus Avey Tare und Geologist mit dem komplett im Amazones zurechtgejammten Meeting of the Waters, das völlig neue Maßstäbe für das Konzept Live-Album setzte und damit der kreativen Dürrephase der letzten Jahre Einhalt gebot. Und mit Tangerine Reef geht es jetzt glücklicherweise in eine ähnlich experimentelle Richtung weiter. Nach ihren ersten audiovisuellen Versuchen mit dem Film Oddsac, der 2010 veröffentlicht wurde, ist dies hier eine weitere LP mit Bewegtbildbegleitung, die gemeinsam mit dem Künstlerduo Coral Morphologic entstand. Animal Collective spielen dabei den Soundtrack zu dokumentarischen Filmaufnahmen von Korallen, was durchaus passender ist, als es erstmal klingt. Denn abgesehen davon, dass das psychedelische Potenzial dieser Meerestiere schon lange unterschätzt ist, hat das Projekt natürlich auch ein Anliegen. Es zeigt beeindruckendes Material eines Ökosystems, das durch Schiffahrt, Übersäuerung und Tourismus immer mehr bedroht wird und hier eine Art künstlerische Hommage erlebt. Wobei Animal Collective für ihren Teil den impressiven Score dafür liefern. Tangerine Reef ist ihr Versuch einer Ambient-Platte, die die visuelle Komponente des Projekts lediglich unterstützt, platzt dabei aber selbstverständlich immer ein bisschen aus den Nähten. Für ungefähr einen halben Song bekommt es die Band durchschnittlich hin, sich auf ozeanisches Gewaber und atmosphärische Klangtapete zu beschränken, danach friemelt oder ploppt oder klimpert immer irgendetwas auf. Es ist nach wie vor ein sehr getragenes Album, für dessen Umsetzung lediglich die vielleicht hibbeligsten Musiker der letzten zwanzig Jahre zuständig sind. In meinen Augen ist das aber eine der großen Stärken dieser Platte: Klar wäre es ein leichtes gewesen, hier so ein ätherisches Ambient-Soundtrack-Ding hinzustellen, das allenfalls als Begleitmaterial zu den Filmaufnahmen funktioniert. Was Animal Collective aber tun, ist dem Projekt auch musikalisch Charakter zu geben, der trotz allem nicht ablenkt, sondern eher noch zur Atmosphäre beiträgt. Wie gesagt: Korallen sind auch einfach verdammt psychedelische Viecher. Doch nicht nur für das Gesamtergebnis des Films springt hier unterm Strich das Maximum raus, auch die Band selbst hat sich damit einen großen Gefallen getan. Denn nach den lahmen letzten Platten wie Painted With und der völlig überflüssigen Solo-Kackerei drumherum ist Tangerine Reef nach Meeting of the Waters das zweite deutliche Statement der Gruppe in Richtung Experimentalmusik. Obwohl ich keines der beiden Projekte als wirklich vollwertigen Longplayer anerkennen würde und gerade dieses hier auch alles andere als ein Meisterwerk ist, zeigen sie doch sehr klar, wohin die Reise bei diesen Musikern gerade geht. Und das verspricht vor allem eines zu werden: Spannend. Gerade jetzt erleben wir Animal Collective wieder als eine Formation, die sich mit jeder neuen Aufgabe vor eine Herausforderung stellt, ihre Grenzen sucht und dabei im Optimalfall sogar die Grenzen der Popmusik aufspürt. Wenn man mich fragt, waren sie darin auch schon immer besser als darin, tighte Songs zu schreiben und Hooks mit Melodien zu bauen. Sie sind die Band, die psychedelische Musik im 21. Jahrhundert ihren Namen wieder verdienen lässt. Und gerade machen sie das so gut wie selten zuvor.






Persönliche Highlights: Buffalo Tomato / Inspector Gadget / Airpipe (To A New Transition) / Jake & Me / Hip Sponge / Lundsten Coral / Best of Times (Worst of All)

Nicht mein Fall: -

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