Montag, 14. Dezember 2020

Fluidum Transcendentia Hendrix

Liturgy - Origin of the Alimonies 

 
[ sinfonisch | maximalistisch | euphorisch ]

Bereits als ich vor fünf Jahren Liturgys the Ark Work zu meinem damaligen Album der Saison machte, war es ein großer Teil des Appeals dieser Band, dass sie stilistisch eigentlich nicht mehr zu greifen war. Aus dem Projekt, das mich Anfang der vergangenen Dekade mit seinen unkonventionellen Ansätzen an Black Metal fasziniert hatte, war binnen weniger Jahre ein künstlerisches Outlet geworden, das jeglichen Genre-Begriff überflüssig machte. Metal machten Liturgy Stand 2015 ebensosehr wie glitchigen IDM, Neoklassik, Noise, Postrock und bisweilen sogar Hiphop oder Chiptune, damit musste man erstmal klarkommen. Allerdings nicht als Mashup verschiedener Stile, sondern als gänzlich originären klanglichen Entwurf, der im wesentlichen der verqueren Gedankenwelt von Frontfrau Hunter Hunt-Hendrix entsprang. Und je mehr sich Liturgy seitdem von einer Band weg hin zu deren Quasi-Soloprojekt entwickelten, desto mehr wuchs dieser ästhetische Entwurf. In den Folgejahren gab es von der New Yorkerin unter verschiedenen Namen ein Trap-Mixtape, ein avantgardistisches Electronica-Projekt und diverse schriftliche Pamphlete und Manifeste. Wenn eine neue LP unter dem Banner von Liturgy erscheint, kann man allerdings noch immer davon ausgehen, dass hier das beste von allem zusammenkommt und zu einem stilistischen Schmelztiegel wird, der Faszination garantiert. Auch auf Origin of the Alimonies ist das grundsätzlich mal wieder der Fall und schon in seiner Struktur gibt es mal wieder viele aberwitzige Kopfgeburten, die es sich zu sezieren lohnt. So ist das knapp vierzigminütige Album als eine Art Oper konzipiert, deren diffuse Handlung sich in drei Akte und eine Ouvertüre aufteilt und für die sich tatsächlich ein komplettes Orchester ins Studio geholt wurde. Worum genau es darin geht, habe ich bisher in keinster Weise verstanden, doch bestimmt gibt es irgendwo ein ausführliches Begleitschreiben, in der die Künstlerin jede kompositorische Entscheidung methodisch einordnet und erklärt, was Transrechte jetzt mit Richard Wagner zu tun haben oder so ähnlich. Viel spannender ist aber wie immer, was das musikalische Resultat dieser Struktur ist und wie Hendrix all ihre Einflüsse klanglich verschachtelt. Wobei es müßig zu sagen ist, dass sie nach wie vor ein Händchen dafür hat. Wie schon the Ark Work vor fünf Jahren oder H.A.Q.Q. letzten Herbst beeindruckt auch diese LP vor allem dadurch, wie smooth hier grundverschiedene kompositorische Elemente ineinander greifen. Auf einem Liturgy-Album kann eine unscheinbare Achtbit-Melodie völlig nahtlos in einen orchestralen Ausbruch übergehen, der auf halbem Weg von einem Blast-, Verzeihung...BURSTbeat abgelöst wird oder ein Screamo-Part perfekt in eine avantgardistische Jazz-Improvisatio passen. Wobei Teile dieser stilistischen Clashes wie die digitalen Glitches im orchestralen Gewirr oder komisch akzentuierte Achtelnoten-Polyrhythmien mittlerweile fast Markenzeichen des hendrix'schen Songwritings geworden sind. Und ziemlich beeindruckend und pompös ist Origin of the Alimonies damit auf jeden Fall. Gerade als langjähriger Fan des Projekts stolpere ich hier aber auch über den ein oder anderen Schwachpunkt, der vor allem damit zu tun hat, dass es auffällig viele Ähnlichkeiten zu ihrem besten Album the Ark Work gibt. Ich sage das ganz bewusst so, denn in vielen Momenten ist die neue Platte eben ein ganzes bisschen schwächer als ihr Vorvorgänger. Die klanglichen Paarungen sind nicht ganz so kreativ, die Produktion ist trotz der deutlich breiteren Instrumentierung weniger monumental, Hendrix als Sängerin taucht fast überhaupt nicht mehr auf und mit gerade Mal 37 Minuten ist die neue LP auch irgendwie ein bisschen knapp geraten. Was mich außerdem frustriert ist, dass ausgerechnet Apparition of the Eternal Church, das viertelstündige Kernstück des Albums, der mit Abstand schwächste und unnötig nudeligste Song der Platte geworden ist. Zwar ist Origin of the Alimonies trotzdem voller genialer, aberwitziger Ideen und der Einbezug von orchestralen Elementen fühlt sich an wie das große Puzzleteil, das Liturgy bis hierhin noch gefehlt hat, doch hinkt es als Gesamtwerk ein bisschen dem restlichen Katalog der New Yorkerin hinterher. Was aber auch halb so wild ist, denn sind wir mal ehrlich, ich bin bezüglich dieser Frau inzwischen nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Die unglaubliche Arbeit, mit der dieses Projekt in den Zwotausendzehnern vorlegte, ist selbst von der Meisterin ihrer eigenen stilistischen Wirrwars nur noch schwer zu toppen und mit the Ark Work hat sie definitiv eines meiner persönlichen GOAT-Alben gemacht. Allein dass Liturgy mit dermaßen experimenteller Musik so lange dieses Niveau gehalten haben, grenzt also an ein kleines Wunder und wenn sie hier mal eine Platte machen, die "nur" ziemlich gut ist, heißt das für mich trotzdem noch, dass ich sie beeindruckend, außergewöhnlich und wahnsinnig kreativ finde. Und dass der Weg, den diese Künstlerin geht, nach wie vor der richtige ist. Denn jede Menge Potenzial haben die Liturgy von 2020 definitiv noch immer.


Hat was von
Miles Davis
Sketches of Spain

Godspeed You! Black Emperor
Luciferian Towers

Persönliche Höhepunkte
OIOION's Birth | Lonely OIOION | the Fall of SIHEYMN | SIHEYMN's Lament

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen