Montag, 21. Dezember 2020

Die große Ehrenrunde

The Avalanches - We Will Always Love You  


[ samplebasiert | fließend | verträumt ]

Wenn man die Sache mal aus der Perspektive meiner ganz subjektiven musikalischen Erfahrungen betrachtet, dann war 2016 das Jahr, in der die Karriere der Avalanches erst so richtig anfing. Oder zumindest das Jar, in dem es für mich richtig interessant wurde. Ich weiß, dass es aus irgendeiner grauen Vorzeit mal den vielgelobten Klassiker Since I Left You gibt, den ich an sich auch sehr gerne mag, doch war es erst das Comeback der beiden Australier vor vier Jahren, bei dem ich wirklich eine Beziehung zu diesem Duo und ihrer Musik entwickelte und mich in ihre kuschelige Sample-Psychedelik verliebte. Wer Beweise dafür will, findet auf diesem Format sicher mehr als genügend, denn seit das zweite Avalanches-Album Wildflower im Juli 2016 erschien, habe ich keine Gelegenheit ausgelassen, es hier über den grünen Klee zu loben und es in Spitzenpositionen irgendwelcher Listen aufzuführen. In den fünf Jahren, die es die LP jetzt gibt, ist sie mir ans Herz gewachsen wie nur wenige Platten der letzten Dekade und allen, die sie eventuell noch nicht kennen, werde ich sie auch in Zukunft immer wieder ans Herz legen. Für diesen Post wollte ich davon aber für einen kurzen Moment mal Abstand nehmen, denn seit einigen Wochen gibt es tatsächlich einen Nachfolger von Wildflower, über den ich natürlich auch sehr gerne schreiben wollte. Wobei mich vielleicht noch immer am meisten wundert, wie plötzlich dieser am Ende doch da war. Sicher, in der normalen Musikwelt sind viereinhalb Jahre kein Pappenstiel und ausführliche Promo für diese LP gab es seit Beginn dieser Saison, doch nachdem zwischen den letzten beiden Alben fast zwei Jahrzehnte Wartezeit lagen und Andeutungen auf neues Material damals über mehrere Jahre hinweg erschienen, ging das hier für Avalanches-Verhältnisse doch sehr flott. Vor allem wenn man sich ansieht, wie umfangreich und monumental die neue Platte geworden ist. Nicht nur packen die Australier hier stattliche 25 Tracks auf knapp 72 Minuten, vor allem die dazugehörige Gästeliste ist beeindruckend. Nachdem schon Wildflower das Konzept hochkarätiger Features ziemlich erfolgreich ausprobierte, geht We Will Always Love You mit Namen wie Cornelius, Rivers Cuomo von Weezer, Karen O, Kurt Vile, Tricky, Denzel Curry, Mick Jones von the Clash, Perry Farrell von Jane's Addiction, Vashti Bunyan, Leon Bridges, MGMT, Johnny Marr von den Smiths, Jamie xx, Neneh Cherry und Blood Orange komplett all in. Allein von der Struktur ihrer Alben her provozieren die Avalanches dadurch immer mehr Vergleiche mit Projekten wie Gorillaz oder den kuratierten Think Tank-Platten eines Kanye West, musikalisch haben sie allerdings noch immer eine starke eigene Indentität, die sich hier ebenfalls weiterhin festigt. Ihr Ding sind nach wie vor jene dichten, psychedelischen Flickenteppiche aus abertausenden handverlesenen Samples, die zwar zunehmend durch live eingespielte Instrumente ergänzt werden, aber an ihrer Ästhetik wenig verändert haben. Rein klanglich ist We Will Always Love You seinem Vorgänger in vielen Belangen sehr ähnlich, wenn auch durchweg etwas entspannter und verträumter. Wo Wildflower ein knallbunter Trip aus fließenden Formen und Farben war, ist die Palette hier etwas blasser und die Stimmung nicht ganz so feierlich. Es gibt zwar ein paar tanzbare Songs wie Wherever You Go oder Overcome, dominierend sind aber eher atmosphärischen, kuscheligen Parts, die dem Album einen proaktiven, aber doch eher entspannten Flow verpassen. Erneut gibt es dabei auch die angenehm grobkörnigen Transistorradio-Effekte in der Produktion, die eine sehr schnuffelige Patina erzeugen sowie die generell sehr lose Strukturierung, die einzelne Songs in den Hintergrund rückt und die gesamte LP wie einen kohärenten Mix erscheinen lässt. Als Fan von Wildflower kann ich mich hier also über viele auffällige Parallelen freuen. Und wo dieser Umstand in meinem Fall durchaus auch bedeutet, dass We Will Always Love You wenig Möglichkeiten hat, besser als sein Vorgänger zu sein oder mit neuen Ideen zu überraschen, heißt es definitiv auch, dass ich die neue Platte sehr mag. Vieles hier wirkt ein bisschen so, als hätte man das Grundkonzept des letzten Albums genommen und damit nochmal eine großzügige Ehrenrunde gedreht, inklusive wesentlich mehr Spielzeit und einer Legion prominenter Gäste. Für diejenigen, die Wildflower nicht so sehr mochten, kann das in diesem Dimensionen womöglich ermüdend sein und die vielen Künstler*innen, die hieran beteiligt sind, sorgen für ein Gesamtergebnis, dass eben nicht ganz so fokussiert und knackig ist wie dort. Dass die Avalanches hier kein weiteres Meisterwerk aufnehmen, bedeutet aber nicht, dass sie nicht trotzdem richtig gute Arbeit machen. Und Spaß macht das meiste auf dieser LP allemal. Auf jeden Fall bleiben sie für mich hier weiterhin ein Projekt, von dem ich absolut begeistert bin und das mich neugierig auf jedes weitere Stück Musik macht. Und jetzt, wo sie anscheinend auch etwas flotter in ihrer Arbeit geworden sind, ist der Faktor der Vorfreude das erste Mal ein wirklich realer für diese Band. Auch wenn Wildflower natürlich das Album bleiben wird, mit dem ich bis auf weiteres alle nerven werde.


Hat was von
Air
Moon Safari

Manitoba
Up in Flames

Persönliche Höhepunkte
Ghost Story | We Will Always Love You | Interstellar Love | Ghost Story Pt. 2 | Carrier Waves | Oh the Sunn! | We Go On | Until Daylight Comes | Wherever You Go | Overcome | Gold Sky | Dial D for Devotion | Running Red Lights | Born to Lose | Weightless

Nicht mein Fall
Take Care of Your Dreaming

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