Donnerstag, 17. Dezember 2020

Billy, Drake und Abel

The Smashing Pumpkins - CYR  


[ synthetisch | langatmig | unrockig ]

Es stellt sich in den letzten Jahren immer mehr als eine gute Maßnahme heraus, dass ich vor Jahren aufgehört habe, die künstlerischen Entscheidungen von William Patrick Corgan verstehen zu wollen. Denn wenn es in seiner Arbeit nach der ersten Reunion seiner Band irgendeine Logik geben sollte, so ist das sicherlich eine, die nur er selbst noch versteht und in der er sich regelmäßig widerspricht. Dinge wie sein Langzeitprojekt Teargarden By Kaleidoscope von Anfang der letzten Dekade begreife ich noch immer genauso wenig wie den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Oceania und Monuments to An Elegy einige Jahre später, und auch nach der zweiten Pumpkins-Reunion von 2018 ist mir noch immer vieles ein Mysterium. So erweckte es nach dem ersten Album der neuen alten Besetzung mit James Iha und Jimmy Chamberlin aus dem selben Jahr den Anschein, dass die neuen Platten eine Art Serie namens Shiny and Oh So Bright bilden sollten, deren erster Teil eben diese LP war. Und obwohl Cyr zwei Jahre später das Artwork-Konzept von Part Eins weiterführt und auch definitiv als der neue Longplayer der Smashing Pumpkins vermarktet wurde, ist es plötzlich nicht mehr Bestandteil der eben erst begonnenen Albumreihe. Verzeiht mir, aber das kann und will ich nicht vestehen. Muss ich auch nicht, denn viel zu besprechen gibt es hier auch ohne Einblicke in die corgansche Kanonik. Immerhin ist Cyr mit 72 Minuten und 20 Tracks das größte Pumpkins-Album seit den beiden Machina-Releases von Anfang der Zwotausender und zudem der direkte Nachfolger von No Past. No Future. No Sun., der LP, mit der sich die Pumpkins in meinen Augen zuletzt ein bisschen rehabilitieren konnten. Es war also durchaus nicht unrealistisch, hier einiges zu erwarten, vor allem in Verbindung mit der Tatsache, dass wieder große Teile der alten Mellon Collie-Besetung am Start sein würden. Was das angeht, muss ich aber direkt die Euphorie ersticken, denn ein rockiges Bombast-Album wie aus den Neunzigern ist Cyr ganz eindeutig nicht. Nicht mal mit dem dynamischen Vorgänger kann man das hier wirklich vergleichen. Viel eher machen die Pumpkins hier ein relativ melodisches Synthpop- und mitunter -rock-Projekt, das gar nicht so epochal sein möchte. Und obwohl die klanglichen Parameter dabei schon noch sehr der Tradition dieser Band entsprechen, sind einige Stilverwandtschaften überraschend exotisch. So erinnert das Konzept eines sehr langen Albums, das aber ohne viel Dynamik und klare Hits auskommt, am ehesten an die letzten Drake- oder BTS-Platten und die Sorte Synthpop, die vor allem in der ersten Hälfte von Cyr angeschnitten wird, unwillkürlich an die aktuelle LP von the Weeknd. Das heißt obwohl die Idee von Synthpop generell überhaupt nichts neues für diese Band ist, ist der Ansatz hier doch anders als auf einem Adore oder Oceania. Es ist vielleicht der erste halbwegs ernste Versuch der Pumpkins, mal nicht primär eine Rockplatte zu machen. Was sich neben Sound und Instrumentierung vor allem im Mixing und Mastering deutlich zeigt. Setzte man beim Vorgänger noch den Rock- und Metal-Veteranen Rick Rubin hinters Pult, der dem Album einen adäquaten Bretter-Sound schneiderte, übernimmt auf Cyr ein weiteres Mal Corgan selbst die Produktion, die wesentlich weicher und zurückhaltender klingt. Gitarrenmotive gehen weit in den Hintergrund, der Mix ist offener und klarer und die Marschrichtung geben die melodischen Keyboard-Motive und das gut akzentuierte Schlagzeug (beziehungsweise die gut akzentuierte Drummachine) vor. Und wo ich all das im ersten Moment schon etwas lahm und enttäuschend fand, kann ich mich inzwischen mehr und mehr für diese Ästhetik begeistern. Als ich mir erstmal die Erwartung abgewöhnt hatte, hier eine weitere tighte Rockplatte zu hören, begann alles langsam Sinn zu ergeben. Die softere Klanglandschaft, der Fokus auf Melodien, die synthetische Instrumentierung, die ausführliche Spielzeit: Billy Corgan macht hier ein Playlist-Projekt. Und keinen dieser sturen Rohrkrepierer wie Teargarden oder Machina, sondern eines, bei dem er sich die richtigen Tricks und Kniffe beim zeitgenössischen Pop abgeschaut hat. Perfekt ist Cyr dabei in keinster Weise, Corgans gewöhnungsbedürftige Stimme kann auf die immense Dauer durchaus anstrengend werden und auch konzetrationstechnisch hätte eine Stunde hier locker gereicht. Doch allein dass es funktioniert, ist schon ein kleines Heureka für mich. Ein Konzept wie dieses ist genau die Art von Longplayer, an dem sich die Pumpkins seit 25 Jahren durchweg verhoben haben, und hier funktioniert es letztlich doch. Zum ersten Mal seit Mellon Collie. Was nicht heißt, dass die beiden irgendwie ebenbürtig werden, bis dahin ist es weiß Gott noch weit hin. Aber sie halten die Balance. Auch dann, wenn sie mehr machen als nur reines Nostalgie-Gepushe wie auf der letzten LP. Was für mich definitiv ein Anlass ist, wieder vorsichtige Hoffnungen in dieser Band zu setzen. Und das ist ernsthaft das beste, was ich über diese Band in diesem Format jemals sagen konnte.


Hat was von
the Weeknd
After Hours

White Lies
Ritual

Persönliche Höhepunkte
the Colour of Love | Ramona | Anno Satana | Wyttch | Starrcraft | Purple Blood | Black Forest, Black Hills | the Hidden Sun | Tyger, Tyger

Nicht mein Fall
Wrath | Adrenalynne

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