Donnerstag, 10. Dezember 2020

Sternstunden der Gemütlichkeit

K+D - 1995 


[ atmosphärisch | loungig | vintage ]

Wenn man mich fragt, finde ich es immer noch furchtbar schade, dass von allen stilistischen Bewegungen der Neunziger ausgerechnet Triphop und Downtempo nach wie vor die sind, zu denen es in der letzten Dekade kein vollumfängliches Revival gegeben hat. Und ein bisschen verwundert es mich tatsächlich auch. In einer Zeit, in der junge Leute wie verrückt auf Sachen wie LoFi-Hiphop, britischen Rap und relaxten Electronica abfahren, ist es seltsam, wie gerade dieser recht prominente Bereich der damaligen Electronica-Kultur ein ziemlich blinder Fleck bleibt, wobei auch die prominenten Revival-Comebacks einiger alter Bands nicht besonders viel helfen. Und mit Kruder und Dorfmeister, dem in der Bubble legendären Lounge-Duo aus Wien, kehrt gerade ein weiterer hochkarätiger Act aus dem Schattenreich der Neunziger zurück. Zwar ist 1995 wie der Name schon vermuten lässt lediglich ein Archivrelease mit altem Material und damit kein wirkliches Comeback, doch ehrlich gesagt ist das fast noch krasser. Denn abgesehen vom gigantischen Genre-Referenzwerk the K&D Sessions von 1998 (über 2 Stunden geht das Ding) ist ihr Katalog aus der damaligen Hochzeit eher schmal gesät und umfasst im wesentlichen Remixes und kleinere EPs. Hier nochmal über eine Stunde ungehörte neue Musik aus ihrer stilprägenden Phase zu hören, ist also ein sehr besonderer Anlass und mehr als bloß ein gekonnter Throwback. Es ist ein verspäteter Blick in die sagenumwobene Kunstschmiede des Genres, in der einige der hochwertigsten Klangtapeten geschaffen wurden, die die Popmusik der letzten 30 Jahre kennt und der sich definitiv lohnt. Denn mit fast allem, was die beiden Österreicher hier machen, klingen sie unglaublich filigran und on point. Klar ist 1995 ein Album, dem man die 25 Jahre stilistischen Abstand anhört und es fühlt sich definitiv nach Vergangenheit an, doch mindert das in keinster Weise die Qualität der Stücke an sich. Denn obwohl das hier im Prinzip Restbestände sind, die das Duo höchstwahrscheinlich als zweite Wahl einstufte, merkt man das in keinem Moment. Wäre das damals ein vollwertiges Album gewesen, es wäre wahrscheinlich eines ihrer besten. Die Parameter, die es stark machen, sind altbekannte: Die shuffliuge Perkussion, die sanften Breaks ab und zu, das bunte aber dennoch zurückhaltenden Sampling, die unterschwelligen Synth-Flächen und der groovig-loungige Sound, der gefühlt näher an Jazz und Bossa Nova ist als an elektronischer Musik. Und auf so gut wie allen der 14 Tracks ist das auch die wesentliche Marschrichtung, die selten gebrochen wird. One Break gönnt sich in seinen 13 Minuten ein paar ausgedehnte ambiente Passagen sowie ein bisschen Drum & Bass, Don Gil Dub spielt ein bisschen mit brasilianischer Popmusik und King Size mit Reggae, aber sonst hält sich alles sehr im Rahmen. Und weil Kruder und Dorfmeister damit sehr kreativ umgehen, wird die Sache in diesen 66 Minuten auch nie langweilig. Klar ist das hier primär eine LP zum nebenbei dudeln lassen, die nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, doch haben viele Songs, die Fähigkeit, mit meiner Aufmerksamkeit zu spielen. Oft setzt sich die Komposition in den Hintergrund ab und wird zur klassischen Klangtapete, an ausgewählten Stellen kommt aber dann doch wieder ein spannendes Sample, ein kleines Solo oder ein cleverer Break, der mich ins Geschehen zurückholt und mich zum aktiven Zuhören animiert. Und das ist so ziemlich das coolste, was ein Album wie dieses leisten kann. Nicht, dass ich das von diesen beiden Musikern nicht irgendwie erwartet hätte, doch ist es trotzdem cool, die Bestätigung hier zu kriegen. Noch dazu auf einer Sammlung von Songs, die vermutlich nicht als Album strukturiert ist. Mein persönlicher Downtempo-Revivalismus ist mit 1995 auf jeden Fall hinreichend zufriedengestellt und vielleicht auch ein bisschen neugierig geworden. Denn wo das hier so plötzlich herkommt gibt es doch bestimmt noch mehr, oder?


Hat was von
Tosca
Opera

Thievery Corporation
the Mirror Conspiracy

Persönliche Höhepunkte
Love Hope Change | Swallowed by the Moon | King Size | Morning | White Widow | One Break

Nicht mein Fall
Ambiente

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