Samstag, 5. Dezember 2020

Retrograd

Молчат дома [Molchat doma] - Monument (Монумент) 


[ achtziger | synthpoppig | düster | sowjetisch ]

Es ist eine dieser schönen Außenseiter-Geschichten der letzten fünf Jahre, die in meinen Augen gut dafür herhalten, wie das musikalische Nutzungsverhalten junger User*innen insbesondere auf Youtube ein gewisses emanzipatorisches Potenzial hat. Wie sonst kann man es sich erklären, dass eine Band aus dem entlegenen Weißrussland, die noch dazu in ihrer Landessprache singt, plötzlich ein Indie-Phänomen von internationaler Geltung wird, das in bestimmten Kreisen gar einen kleinen Hype erfährt. Sicher, zum neuerlichen Ruhm von Molchat Doma haben auch das generelle Postpunk-Revival, etwas spezifischer die aktuelle Renaissance der postsowjetischen New Wave-Szene sowie der stets überraschende Youtube-Algorithmus ihren Teil beigetragen. Am Ende steht aber die Sensation: Über 13 Millionen Aufrufe für das 2019 veröffentlichte zweite Album Этажи, eine gefühlte Vorreiterrolle in der diffus betitelten musikalischen Abteilung Doomerwave (aka das, was die coolen Kids jetzt zu Coldwave sagt) und eine sehr plötzliche Aufmerksamkeit für die junge Gruppe aus Minsk. Die bisherigen Folgen: Ein exklusiver Deal beim Nobel-Indieformat Sacred Bones, ein schniekes Rerelease-Paket für Этажи in diesem Frühjahr und eine neue LP, für die sich auf einmal jede Menge Leute interessieren und hinter der erstmals ordentlich Promo steckt. Wobei hier auch vom ersten Moment klar war, was diese Platte für ein zilegruppenorientiertes Produkt werden würde. Als vor einigen Monaten das Artwork für Монумент veröffentlicht wurde, fand ich es schon ein bisschen befremdlich, wie sehr darin der Faktor des verklärten Sowjetkitsch-Aspekts bemüht wird und wenn man das fertige Album nun hört, erhärtet sich dieser Verdacht nur noch: Molchat Doma machen 2020 im wesentlichen Fanservice. Die neun neuen Stücke dieser LP gefallen sich ein weiteres Mal in einer sehr archäologischen, schummrigen Retro-Ästhetik, die mit akribischer Genauigkeit den Sound der sowjetischen Postpunk-Welle aus den frühen Neunzigern reproduziert und in der Produktion auf maximal pappige Hörkassetten-Produktion setzt, um das entsprechende Feeling zu erzeugen. Im Vergleich zum Vorgänger sind sie dabei vielleicht etwas synthetischer Unterwegs und erinnern zwischendurch auch mal an die Eurythmics oder Yazoo, das grundlegende Rezept ändert sich aber kaum. Und das allein ist auch nicht mein Problem mit diesem Album. Für eine gut gemachte Retro-Platte kann ich mich immer begeistern und gerade was Postpunk und New Wave angeht, habe ich diesbezüglich eine hinreichend dokumentierte Schwäche. Was mich an Монумент wirklich stört ist, dass es mehr Show als Substanz bietet und ein bisschen etwas von ausgemachter Pflichterfüllung hat. Vor allem in den Deep Cuts der LP wird das häufig spürbar. Wo Molchat Doma für den Anfang noch ein paar schmissige Nummern wie Утонуть oder Дискотека in petto haben, die auch mal poppiger sein dürfen, wird es spätestens zu Beginn des Mittelteils etwas dünn im Songwriting. Die Melodien sind dröge, die Performances einstudiert, die Instrumentierung lahm und es wird sich auf gemeinsame Nenner des Postpunk-Einmaleins verlassen. Zwar stimmt auf den etwas mehr als 40 Minuten durchgängig der dämmerig-kalte Vibe, für den die Doomerwave-Fraktion sehr wahrscheinlich gekommen ist, ich würde mir jedoch manchmal wünschen, dass Монумент dann und wann ein bisschen  mehr bietet. Denn so wie dieses Album ist, geht der Appeal von Molchat Doma nicht über den einer besseren Revival-Band hinaus und der exotische Faktor und Sowjet-Bezug reicht eben auch nicht, um bessere Songs zu schreiben. Ich habe keineswegs den Anspruch, hier eine völlig originelle, neuwertige Musik zu hören, das wäre dem Stil dieser Formation völlig abgängig. Doch zumindest etwas mehr Liebe zum Detail wäre manchmal schön. Nach allem, was diese drei Musiker über sich selbst erzählen, sind sie leidenschaftliche Fans jenes bestimmten Sounds und vor allem ihrer heimatlichen Szene, was ja für sich super spannend ist. Daraus ein Album zu entwickeln, dass nach Joy Division und Depeche Mode klingt, ist allerdings etwas verkürzt und wird auch dem Erbe der Szene nicht gerecht, die sie angeblich so feiern. Auch wenn ich ihnen trotzdem absolut jeden Cent gönne, den sie damit jetzt mehr machen als im DIY-Format. Denn so lange wird der Hype sicherlich nicht mehr vorhalten.


Hat was von
Depeche Mode
Speak & Spell

Joy Division
Closer

Persönliche Höhepunkte
Утонуть | Обречен | Дискотека | Удалил твой номер

Nicht mein Fall
Не смешно | Ленинградский блюз

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