Montag, 7. Dezember 2020

I Talk With the Spirits

Aesop Rock - Spirit World Field Guide 


[ seltsam | komplex | esoterisch | ausführlich ]
 
 Eine der größten Herausforderungen, die ich bei der Auseinandersetzung mit englischen - oder in diesem Sinne generell jeder Art von fremdsprachigen - Rap-Platten noch immer vor mir sehe, ist der Faktor der Sprachbarriere, der sich auch nach Jahren, in denen ich fast nur englischsprachige Medien konsumiere immer noch nicht so richtig eliminieren lässt. Egal wie viele Genius-Tabs ich nebenbei offen habe, wie gut ich hinhöre, wie gut ich die Sprache an sich verstehe: Ein gewisser Fehler bleibt stets erhalten. Vor allem eben bei Rap, der sich ja traditionellerweise immer ein bisschen an Slang und Kunstsprache bedient und es mit somit extra schwer macht. Schön ist es deshalb immer, über die Platten von Aesop Rock zu sprechen, bei denen ich dieses Problem nicht so sehr habe. Der springende Punkt ist dabei nicht etwa, dass ich seine Texte so viel besser verstehen würde, im Gegenteil. Eher habe ich den Eindruck, dass man seinen Output auch dann nicht wirklich rafft, wenn man ebenfalls Englisch als Muttersprache spricht. Schon seit gut zwei Dekaden ist der MC aus Portland gleichermaßen gefeiert und berüchtigt für seine eloquent-kryptischen Lyrics, in denen er regelmäßig hochkomplexe menschliche Sachverhalte behandelt, wobei er diesen teilweise nicht mal selbst folgen kann. Platten wie Labor Days oder None Shall Pass, die er in den Zwotausendern veröffentlichte, gelten im Untergrund inzwischen als veritable Klassiker, obwohl trotzdem noch niemand so richtig begreift, worum es darin so richtig geht. Und nachdem sein letztes Soloalbum the Impossible Kid mit seinem etwas zugänglicheren, biografischen Konzept etwas Hoffnung auf leichtere Kost machte, ist Spirit World Field Guide nun der linke Haken, der diese wieder zunichte macht. Fragte man in den letzten Wochen das Internet, gilt diese LP sogar schon als eine der verwirrendsten und komplexesten Releases von Aesop, was sicher auch ein bisschen daran liegt, welchen Themen er sich darauf widmet. Mehr als auf allen seinen Alben zuvor geht der Rapper hier in eine tiefgreifend esoterische Richtung, die ganz im Sinne des Titels irgendeine diffuse Geisterwelt erforschen soll und in den Bereich des übernatürlichen eintritt. Und wo ich auf jeden Fall sagen muss, dass dieser Themenbereich wahnsinnig gut zu diesem Künstler passt, werde ich mich auch definitiv hüten, hier irgendwelche Versuche der Textinterpretation zu unternehmen. Denn nicht nur wäre das müßig, ich empfinde es auch gar nicht als notwenig. In meinen Augen existiert Spirit World Field Guide lyrisch auf einer ähnlichen Ebene wie Platten von Neutral Milk Hotel oder Negroman, die man inhaltlich nicht unbedingt verstehen muss, um ihre erzählerische Schönheit zu schätzen. Wobei diese an sich hier mal wieder ziemlich on point ist und Aesop mit seinen Wörtern und Sätzen kunstvolle abstrakte Skulpturen baut, die auch ohne das relative Verständnis einen großen künstlerischen Wert haben. Seine Performance als MC ist generell mal wieder ziemlich stark, ähnlich wie auf seinem letzten Album ist das größere Problem für mich die musikalische Ausarbeitung der Tracks. Aesop selbst fungiert hier erneut als federführender Produzent, wobei seine kantigen, klobigen Crossover-Beats inzwischen zur Gewohnheit geworden sind und mich zumindest nicht mehr so stören wie früher. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass seine neueren Platten musikalisch manchmal etwas zu deftig ausfallen, doch passt dieser Sound wenigstens zu seiner Performance und hat eine gewisse Individualität. Was auf Spirit World Field Guide aber langsam wirklich zum Problem wird, ist die zeitliche Dimensionierung. Aesop Rocks gesamte künstlerische Ästhetik ist nämlich erfahrungsgemäß keine, die leicht zu verdauen geht und indem er hier ganze 66 Minuten damit füllt, überfordert er mich hier zusehends. Klar ist seine seltsame lyrische Vision cool, aber über mehr als zehn Tracks reicht bei so viel um die Ecke Gedenke an vielen Stellen einfach meine Konzentration nicht. Und diese Platte hat gnaze 21 davon. Statt darauf vielleicht mal Platz für instrumentale Interludes oder wenigstens ein Feature für ein bisschen Abwechslung zu schaffen, ist alles hier von vorne bis hinten inhaltliches Traktat des Hauptakteurs, noch dazu in Verbindung mit durchweg aggressiv-progressiven Beats. Spätestens nach der Hälfte ist das Album also nur noch anstrengend, egal wie viel Geduld man mitbringt und jeder der letzten fünf Tracks fühlt sich an wie eine zusätzliche Stunde. Prinzipiell lässt die musikalische Qualität dabei nicht nach, nur ist es eben immer wieder völlig reizüberflutend auf allen Ebenen. Die Entscheidung, dieses Album sowohl musikalisch als auch textlich zu einem krassen Stamenent auf Überlänge zu machen, ist einfach ein Extrem zu viel, das man sich hätte sparen können. Auf vorherigen Platten hatte Aesop das auch irgendwie unter Kontrolle, doch hier will er plötzlich von allem ganz viel haben. Etwas, worunter die LP mehr leidet als sie sollte. Denn im Eigentlichen ist Spirit World Field Guide ein gutes Stück Musik, nur leider in einer völlig enervierenden Überdosis, die das, was man daran anfangs gut findet, schnell ruiniert. Und hier sind wir an einem Punkt, wo dieser Rapper in Zukunft aufpassen muss. Denn die Tendenz, überkomplexe Nerd-Epen zu machen, hat er schon lange, nur ging es bisher immer glimpflich aus. Wenn er diesen Weg allerdings weiter geht, ist er schnell in einem Territorium, wo es unaushaltbar und nervig wird. Ob dieses einen Missgeschicks will ich das aber fürs erste nicht prognostizieren. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich für so eine LP so schnell nochmal bereit bin.


Hat was von
El-P
Cancer 4 Cure

Billy Woods
Known Unknowns

Persönliche Höhepunkte
Hello From the Spirit World | the Gates | Pizza Alley | Attaboy | Marble Cake

Nicht mein Fall
Jumping Coffin

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