Freitag, 18. Dezember 2020

Future Nostalgia auf Wish bestellt

Miley Cyrus - Plastic Hearts  


[ bratzig | rockröhrig | souverän ]

Das wichtigste, was ich über die künstlerische Persönlichkeit Miley Cyrus in den letzten fünf Jahren gelernt habe ist wahrscheinlich, dass es so etwas wie die eine, definitive künstlerische Persönlichkeit Miley Cyrus gar nicht gibt. Was nach ihren frühen Tagen als Sitcom-Star und ein paar eher zahmen ersten Gehversuchen als Musikerin für eine ausgedehnte Suche nach musikalischem Charakter gehalten wurde, war in Wahrheit die Dämmerung der Kalifornierin als veritables Pop-Chamäleon, das sich selbst alle paar Jahre einen neuen Anstrich verpasst. 2015 war das auf Dead Petz die edgy Kiffer-Prinzessin, zwei Jahre später auf Younger Now die traditionsbewusste Countryrock-Diva und letztes Jahr auf She is Coming das kontroverse feministische Sprachrohr. All diese Phänotypen von Cyrus waren dabei unterschiedlich erfolgreich und an allen davon hatte irgendjemand, häufig auch ich, irgendwas zu meckern. Worüber man sich allerdings weniger streiten kann ist, dass die Sängerin die jeweiligen Charakter meist ziemlich gut formte und fast immer ein stimmiges Gesamtpaket verkaufte. Und auch im Falle von Plastic Hearts muss ich als erstes feststellen, wie gut dieses hier wieder gelungen ist. Es mag etwas oberflächlich sein, aber wie Miley Cyrus dieses Album als Image verpackt, ist äußerst ansprechend. Wobei dieses hier im wesentlichen das eines rockröhrigen Achtziger-Neon-Pop-Klischees ist, irgendwo zwischen Hair Metal, New Wave, Synthpop und Trockeneis-Punk. Dabei beschränkt sich das ganze nicht nur auf eine der Epoche entsprechende neue Haarmode, sondern wird auch in der Produktion zu Ende gedacht. Mit Mark Ronson ist hier ein weiteres Mal ein Experte für Mainstream-kompatiblen Retropop an der Produktion beteiligt, außerdem werden als hochkarätige Gäste Joan Jett, Billy Idol und Stevie Nicks gelistet. Man kann also zumindest sagen, dass sich Mühe gegeben wurde. Leider ist Plastic Hearts kein Album, auf dem man das wirklich merkt. Und um ehrlich zu sein, ist die ganze Sache für mich ein bisschen kurios, denn auf den ersten Blick gibt es hier wenig, was ich wirklich super anstrengend finde. Der Großteil der zwölf Songs (ich zähle hier mal nur die Originaltracks und nicht die drei Bonustitel) ist prinzipiell angenehm geschrieben und keineswegs offensiv schlecht. Sicher, Billy Idols Feature in Night Crawling ist ziemlich awkward, Prisoner hätte deutlich länger sein können und Angels Like You drückt mir ein bisschen zu sehr auf die Kitsch-Tube, aber das sind alles keine Kapitalverbrechen. Plastic Hearts ist kein Album, das mich irgendwie aufregt, aber gerade das ist auch irgendwie das schlimme daran. Denn die Art, wie aggressiv diese LP unspektakulär, ahnbar und inszeniert ist, nervt mich auf eine Weise noch viel mehr. Es ist genau das, was ich ich erwartet habe, nur in allem ein bisschen ranzig und billig. Es ist die Freeway Cola unter den Retropop-Platten. Das gesamte Songwriting hier ist befriedigend gut gemacht, doch mehr als reine Pose findet man dahinter meistens nicht. Die Produktion leistet sich keine groben Schnitzer, traut sich aber auch nicht, in den Knallermomenten mal Akzente zu setzen. Mileys Gesangsperformance passt gut zu diesen Songs, nur hat sie an vielen Stellen nicht die Stimme und/oder die Motivation, das Maximum aus sich herauszuholen. Und so läuft dieses Album eben vor sich hin, stört mich in keinem Moment wirklich, ist aber auch konsequent so farblos und uninteressant, dass mich nichts daran bindet. Es ist einfach so schnell draußen wie es reingekommen ist. Für Miley Cyrus tatsächlich ein ziemlich neues Problem, war sie doch bei aller Polarisierung wenigstens immer eine Künstlerin, die ein Ausrufezeichen hinter ihre Musik setzen konnte, weshalb mich das hier etwas verwirrt. Es ist eine Sache, so eine Performance von einem lobotomisierten Justin Bieber oder einem Cloudrapper auf Autopilot zu hören, aber nicht von so einer Künstlerin, die anscheinend auch noch ein Leidenschaftsprojekt realisiert. Das hier klingt eher wieder wie die Miley Cyrus von den ersten zwei Alben, nur mit tieferer Stimme und dunklerer Schminke. Aber vor allem nach einer Rolle, und nicht nach einer tatsächlichen Persönlichkeit. Und das war ja eigentlich die Sache, von der sich diese Frau in den letzten zehn Jahren mit großer Mühe getrennt haben wollte.


Hat was von
Dua Lipa
Future Nostalgia

the Weeknd
After Hours

Persönliche Höhepunkte
WTF Do I Know | Night Crawling | High

Nicht mein Fall
Angels Like You | Bad Karma | Never Be Me

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