Samstag, 12. Dezember 2020

Ich geh heut nicht mehr tanzen

AnnenMayKantereit - 12  

 

[ politisch | deutschpoppig | oberflächlich ]

Unter Vertreter*innen der Indiepresse und bei Twitter ist es in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem Sport geworden, sich über die Musik und die Attitüde, vor allem aber über die Fangemeinde von Annenmaykantereit lustig zu machen. Ihr Ruf als die Band für Lehramtsstudent*innen und privilegierte junge Leute, die in ihren WG-Zimmern Monsteratöpfe, Lichterketten und eines dieser Plakate mit abkratzbarer Weltkarte haben, eilt ihnen mittlerweile weit voraus. Vor allem der Vorwurf, ihre Musik sei spießig und unpolitisch wird dabei immer wieder aufgegriffen, was ich für meinen Teil immer ein bisschen bescheuert fand. Klar sind Annenmaykantereit nicht unbedingt die coolste Angelegenheit der Welt, sie scheinen eine gewisse Zielgruppe ganz besonders anzusprechen und schreiben halt lieber über Streit mit ihren Mitbewohnern als über Racial Profiling, doch habe ich nie eingesehen, wo genau das ein Problem sein soll. Niemand muss in meinen Augen Statements setzen, nur weil man besonders erfolgreich ist und dass Annenmaykantereit mit ihrer Musik die Menschen ansprechen, die sie ansprechen, liegt auch daran, dass ihre Songs sehr gut in deren Lebensrealität passen. Ich selbst war in meinem ersten Unisemester, als vor vier Jahren Alles nix konkretes erschien, und ob ich das nun will oder nicht, dieses Album war zu dieser Zeit einfach so omnipräsent, dass es zwischendurch wahrscheinlich irgendwann mal meine Generation geprägt hat. Und dass ich mich in den Jahren danach ein wenig von dieser Band entfernt habe, liegt tatsächlich eher an den Momenten wie Weiße Wand vom letzten Album, in denen sie versuchten, diese Art von Songs nicht mehr zu schreiben und dann und wann mal gesellschaftskritisch oder tagespolitisch zu sein. Ganz einfach, weil sich diese Art von Narrativen bei ihnen wesentlich krampfiger anfühlten als welche über Freundschaft, Beziehungen oder die eigenen Unsicherheiten. Was auch der Hauptgrund ist, warum ich 12 als mit Abstand schwächstes Album der Kölner empfinde. Denn hier ist der Anspruch, eine Botschaft zu senden tatsächlich erstmals der dominierende Faktor. Mehr oder weniger die komplette LP dreht sich inhaltlich um den Aufhänger Corona und beschreibt jene kollektive Psyche, die inzwischen bekannter Konsens sein dürfte. Isolation, Endzeitstimmung, das Beobachten gesellschaftlicher Reaktionen, Stillstand. Auch Verweise zu anderen Geschehnissen der jüngeren Vergangenheit wie Hanau, Moria, Klimawandel oder Jeff Bezos werden angesprochen und bilden einen musikalischen Faden, der irgendwie ein Zeitdokument sein möchte. Und an sich ist das ja überhaupt nicht verkehrt. Von der Herangehensweise her erinnert mich vieles hier an mein Lieblingsalbum des letzten Jahres, A Book of Traps & Lessons von Kae Tempest, das ähnliche Verbindungen zwischen politischen Phänomenen und dem entsprechenden Gemütszustand einer Gesellschaft zog. Nur sind Annenmaykantereit bei weitem nicht so versiert darin, diese Dinge zu behandeln. Viele der angesprochenen 'Botschaften' sind nicht mehr als grob geschnittene Allgemeinplätze, die kaum tiefer gehen als bis zur bloßen Feststellung eines Sachverhalts. Dass Kneipen und Theater geschlossen haben, brauche ich nicht von Henning May zu hören, dafür reicht mir Karen Miosga. Und wo eine künstlerischer Auseinandersetzung mit so einem Thema im Optimalfall einen neuen Zugang zu diesen Sachverhalten schafft, ist es hier oft einfach nur die Reproduktion selbiger. Selbst in einem Song wie Aufgeregt, in dem die Isolation anhand von lyrischen Figuren etwas poetisiert wird, wirkt alles ziemlich steif, unpersönlich und awkward. Die besten Stellen hier sind nach wie vor die, in denen May tatsächlich über sein eigenes Erfahren schreibt und individuelle Einblicke zu vielen dieser Probleme findet. Wenige davon sind so gut wie auf dem Debüt, aber es zeigt, dass gefühlsbetontes, autobiografisches Songwriting noch immer die große Stärke dieses Typen ist. Leider gibt es davon hier nur noch sehr wenig. Und auch strukturell gesehen ist diese LP oftmals ziemlich seltsam. Der Großteil der Stücke hier gehen gerade Mal um die zwei Minuten, was wenig Platz bietet, die jeweiligen Gedanken wirklich auszuführen, die dann häufig nur kurz angerissen werden. Die größten Statements des Albums werden sogar in die nicht mal einminütigen Interludes gepackt, wo sie komplett versiegen. Auch musikalisch haben diese knappen Track-Vignetten Konsequenzen, denn obwohl 12 kompositorisch und aufnahmetechnisch das bisher interessanteste Annenmaykantereit-Album sein dürfte, kommen Dinge wie die kreative Instrumentierung, der leichte Hiphop-Einschlag oder die tolle Arbeit mit Studio- und Raumklang kaum zur Geltung. Viel eher wirkt die Platte durch die vielen verschiedenen Ansätze, die innerhalb von Minuten wechseln, noch chaotischer und unordentlicher. So wird ein Album, das als ziemlich durchdachtes Konzeptwerk entworfen wurde zum unfokussierten Flickenteppich. Durch mehrmaliges akribisches Hören habe ich inzwischen ein bisschen die Ideen schätzen gelernt, die ich hinter dieser LP vermute und die tatsächlich ganz schön ambitioniert sind. Leider hapert die Umsetzung selbiger an vielen Stellen gewaltig und wird auch nach einigen Malen nicht besser. Zum ersten Mal habe ich auf 12 tatsächlich den Eindruck, dass Annenmaykantereit sich verhoben haben. Wobei ich auch sagen muss, dass es mich nicht überrascht hat. Tendenzen der hier aufgezählten Probleme waren bei ihnen in den letzten Jahren schon spürbar und haben sich hier auf unangenehme Weise weiterentwickelt. Was mich irgendwie schon zu dem Urteil bringt, dass sie als spießige Erstsemesterband zwar uncooler, aber das weitaus bessere Abbild eines Lebensgefühls waren. Vielleicht spricht da aber auch nur die persönliche Vergangenheit aus mir.


Hat was von
Wanda
Niente

Faber
I Fucking Love My Life

Persönliche Höhepunkte
Vergangenheit | Spätsommerregen

Nicht mein Fall
Gegenwart | Gegenwartsbewältigung | Zukunft | Aufgeregt

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