Sonntag, 20. Dezember 2020

Voll verhext

DJ Sabrina the Teenage DJ - Charmed  


[ samplebasiert | postironisch | lang ]

Ich bin zum Glück noch jung genug, um mich ob Platten wie dieser nicht zu fragen, was zur Hölle das Internet mit uns allen gemacht hat, ich kann aber definitiv verstehen, wo bei einigen dieser Gedanke herkommen könnte. Ich selbst habe erst einige Zeit gebraucht, um das hier überhaupt als ein legitimes Album anzuerkennen, das über den Appeal eines sehr aufwändigen Memes hinaus spannend ist. Den Rest der Zeit seit der Veröffentlichung brachte ich damit zu, ernsthaft zu überlegen, ob ich es nun wirklich besprechen will. Aber anscheinend führt ja kein Weg daran vorbei. In der musikalischen Bubble, in der ich verkehre, ist Charmed nach jetzigem Stand eines der beliebtesten Alben des ganzen letzten Jahres und ich bin ein ums andere Mal erstaunt, wie ernsthaft grandios das hier viele Leute finden. Am meisten bin ich aber davon überrascht, wie viele sich überhaupt das ganze Ding zumuten, denn egal wie sehr man Musik toll findet, das hier in einem Rutsch durchzuhören, ist eine Herausforderung. Und keine, die ohne den Kontext der vielen guten User-Erfahrungen an sich viel verspricht, weshalb ich so baff bin, wie groß der Bohei um Charmed gerade ist. Die Freakshow fängt dabei bereits mit der digitalen Persönlichkeit DJ Sabrina an sich an. Diese ist, je nachdem wo man zuerst geschaut hat, entweder ein Instragram-Account oder Bandcamp-DJ*, bekannt geworden vor allem durch jene seltsamen Digitalkunst-Artworks, eine exklusive thematische Ausrichtung auf die Zwotausender-Fernsehserie Sabrina - Total verhext! und einem Hang zu extrem langen Plunderphonic-Mixtapes auf Bandcamp und Youtube, die es seit etwa 2017 gibt. Besagte Tapes zeichnen sich neben ihrer Länge durch eine sehr schnufflige, entspannte Variante von House-Schnipselei auf, die sich vor allem an obskuren Radiopop-Samples aus der Zeit um die Jahrtausendwende und natürlich Dialogfetzen aus der Sabrina-Serie zusammensetzt. So weit, so abgefahren. In dieser Art und Weise existieren seit etwa drei Jahren insgesamt fünf Alben von DJ Sabrina, keines davon ist unter 80 Minuten lang. Und was zeitliche Dimensionen angeht, geht Charmed mit einer Länge von drei Stunden und drei Minuten definitiv an eine Schmerzgrenze. Nicht unbedingt nur deshalb, weil es ganz einfach so unglaublich lang ist, sondern auch, weil es als ein großes Gesamtwerk funktioniert. Wann immer sich ein*e Künstler*in entscheidet, ein Album mit solchen Ausmaßen aufzunehmen, wird das Ergebnis meist in verschiedene Teile aufgesplittet, um das Publikum nicht komplett zu überfordern, hier allerdings ist das Gegenteil der Gall. Charmed ist in diesen drei Stunden ein klanglicher Komplex, der eher wenig dynamisch ist, einen kontinuierlichen Flow beibehält und bei dem die Songs häufig sogar ineinander übergehen. Mehr als ein Album klingt das ganze dabei nach einem DJ-Mix, nur dass dieser eben nicht den Fokus hat, tanzbar oder ätherisch zu sein, sondern etwas ganz anderes, nicht klar definiertes. Die oft sehr großzügig gesampleten Stücke mit ihren kleinen Sound- und Dialog-Fetzen zwischendrin klingen stets ein wenig wie ein Radio, das irgendwo nebenbei dudelt, ohne das man wirklich davon Notiz nimmt. Am ehesten fühle ich mich hier an die Klangkulisse eines großen Einkaufszentrums erinnert, in dem die Musik ständig ein kleines bisschen zu laut und penetrant ist. Allerdings nicht so gemütlich-dösig wie bei Mallsoft, sondern peppiger und schneller. Die LP mutet einem dabei nie zu viel zu und der Mix der Tracks ist insgesamt sehr zurückhaltend, doch es ist auch irgendwie immer was los. Und ob der Länge der Platte ist es auch durchaus bemerkenswert, wie wenig das ganze an Spannung verliert, je länger es geht. Zugegeben, ab der dritten Stunde kann Charmed beim kontinuierlichen Durchhören schon etwas zäh werden, doch braucht es immer nur eine interessante Idee, um mich wieder auf Kurs zu bringen und in den Vibe des Albums einzulullen. Es empfiehlt sich allerdings definitiv, die Platte eber nebenbei zu hören und sie funktioniert auch sehr gut auf eine Stop-and-Go-Weise. Ich habe die kompletten drei Stunden in den letzten Tagen einmal ununterbrochen durchgehört und einmal phasenweise, indem ich den Youtube-Stream immer dort wieder ansetzte, wo ich zuletzt aufgehört hatte. Beide Varianten machten irgendwie Spaß, die mit Unterbrechungen gab mir allerdings irgendwie das Gefühl, dem Wesen dieses Albums besser gerecht zu werden. Natürlich kann man ob so eines seltsamen Stückes Musik wie diesem hier lange philosophieren, inwiefern man das überhaupt noch Album nennen kann, ob es durch seine eher klangtapetige Attitüde irgendwie weniger wert ist als eine "normale" LP und was das böse Internet mit unserer schönen Popmusik gemacht hat. Ich persönlich sehe Charmed und im Prinzip auch DJ Sabrina im weiteren Sinne aber als Dinge, die genau diese Diskussionen gar nicht brauchen. Was wir hier hören ist ein strukturelles Konstrukt, das sehr dem entgegenkommt, wie im Jahr 2020 Musik konsumiert wird und wie wir sehen können wird es von den Leuten gemocht. Was dieses Album bedeutet und was es über unser Verhältnis zu Pop im Internet-Zeitalter aussagt, kann letztlich nur die Zeit zeigen. Wobei ich für meinen Teil erstmal genug Sabrina-Material für die nächsten paar Monate gehört habe.


Hat was von
the Avalanches
Wildflower

Hologram Plaza
Disconscious

Perönliche Höhepunkte
Next to Me | Charmed | 2 Long Looking Back 2 | I Want U 2 Know | New Years Resolution | Still Cool | How Did You Know? | Strayed Ocean | Alrighty, Then | Eeeeyyyy | Always Charmed | Charmed Life | End of An Era

Nicht mein Fall
Nyakuza Metro Cats | Right Now | My Baby, I Become Unhinged

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