Dienstag, 22. Dezember 2020

Zweite Wahl

 


[ folkloristisch | indiepoppig | bescheiden ]

Spätestens auf den inzwischen weitreichend veröffentlichten Album-Bestenlisten des Jahres 2020 singen es die Vögel von den Dächern: Mit Folklore hat Taylor Swift in diesem Sommer auch für die Indiekids dieser Welt eine absolute Lieblingsplatte gemacht und sich als Künstlerin für viele Leute in der Nerd-Sparte nicht nur rehabilitiert, sondern ist erstmals als wirklich ernstzunehmendes Thema in Erscheinung getreten. Wenn das Gespräch auf ihre Person kommt, spricht seit gut einem halben Jahr anscheinend kaum noch jemand über das lästige private Drama oder ihre angeblich divenhaften Allüren, sondern darüber, was für eine fähige Songwriterin sie ist und wie nachhaltig der Effekt ist, den dieses Album auf ihre Karriere wohl haben wird. Und obwohl ich bereits vor Folklore längst zu denen gehörte, die Swift vordergründig als kreative Persönlichkeit schätzten und von besagtem Rebranding im ersten Moment nicht so begeistert war, hat sich mein Eindruck der neuen Indie-Taylor in der Zwischenzeit doch noch sehr gewandelt. Mit etwas Abstand zu ihren vorherigen Platten habe ich die intelligenten, emotional greifenden Narrative von Folklore in den Wochen und Monaten nach meiner ersten Besprechung extrem schätzen gelernt und Stand jetzt würde ich durchaus sagen, dass die LP für mich sowas wie der Grower der Saison ist. Was mich natürlich sehr gespannt machte, als Swift vor kurzem noch einen zweiten Indiepop-Exkurs in die Welt setzte. Zwar kam mit der Veröffentlichung von Evermore auch das eindeutige Statement der Künstlerin, dass diese Art von Songs nicht ihrer langfristige Zukunft sein würden, mehr als ein kleiner Flirt zwischendurch ist das Albumdoppel innerhalb eines Jahres nun aber definitiv. Zumal auch diese neue Platte nochmal auf eine stattliche Länge von 60 Minuten kommt und neben Aaron Dessner und Justin Vernon auch den Rest von the National sowie die Haim-Schwestern als KollaborateurInnen dazuholt. Die erste Fragen sind dabei unausweichlich die danach, wie Evermore in dieser Phase jetzt einzuordnen ist. Ist es ein zu Folklore gleichberechtiger zweiter Longplayer oder doch eher die Resterampe der ersten Platte? Denkt es das Konzept vom Sommer weiter? Sind die Stücke hier während der ersten Sessions entstanden oder danach? Und wie schon beim Vorgänger werden von offizieller Seite nicht all diese Fragen beantwortet. Für mich persönlich macht sich aber auf jeden Fall das Gefühl breit, dass vieles hier ein bisschen zweite Wahl ist. Ob das nun daran liegt, dass Evermore als Sequel sehr schnell nachproduziert wurde oder dass es eigentlich die B-Ware von Folklore ist, sei jetzt mal dahingestellt. Was zählt ist in meinen Augen nämlich, dass so gut wie alles an diesem Album die schwächere Version des Vorgängers ist. Ästhetisch gibt es dabei äußerst wenige Veränderungen und es ist durchaus berechtigt, beide Platten als stilistische Geschwister zu bezeichnen. Auch diese 15 neuen Songs verlassen sich auf ein sehr zurückhaltendes Songwriting, dass eher Platz für Texte lässt und die hochwertige Produktion hinter einer sehr rudimentären, seichten Instrumentierung versteckt. Wo auf das auf dem ersten Album aber deshalb funktionierte, weil die Texte und Melodieverläufe wirklich klasse waren, sind sie hier oft etwas blass und unspektakulär geraten. Unter den Story-Tracks hier ist kein einziger, der mich lyrisch so packt wie auf Folklore und manche wie No Body, No Crime sind sogar ganz schön albern. Auch schweben viele der Stücke hier eher vor sich hin, als wirklich einen klanglichen Charakter aufzubauen und wo Swift im Sommer darin brillierte, diesen minimalistischen Songs echte Ohrwürmer abzuluchsen, scheinen viele davon diesmal sehr eindimensional. Spätestens Sachen wie der dämliche Kochgeschirr-Beat in Closure oder die noch immer sehr awkwarden Features von Bon Iver und the National machen das hier dann mitunter auch zu einer etwas seltsamen Erfahrung. Es ist dabei durchaus möglich, dass sich mein Eindruck noch zum besseren entwickelt, denn auch mit Folklore habe ich bekanntlich Zeit gebraucht, doch halte ich das für eher unwahrscheinlich. Wo ich bei Teil Eins schon im Sommer vom grundsätzlichen Songwriting überzeugt war und ich nur die großkotzige Ausarbeitung vermisste, fehlen mir hier effektiv die guten Ideen, die die Stücke an sich spannend machen. Und ohne die habe ich noch nichtmal einen Anlass, nochmal zu dieser LP zurückzukehren. Was ja auch total okay so wäre, wenn Evermore als das vermarktet wurden wäre, was es ist: Eine musikalische Nachbereitung, die nochmal Konzepte von Folklore aufgreift und/oder aus den Session-Resten der Platte das beste zu machen versucht. Nur als vollwertiges Album kommt das hier definitiv zu kurz und zeigt, dass eine rudimentärere Version von Taylor Swift funktionieren kann, aber auch das bei ihr nicht husch husch geht. Am Ende ist sie eben trotzdem eine Pop-Künstlerin der großen Gesten, die kein garagiges Akustik-Album aus dem Ärmel schüttelt. Auch nicht dann, wenn sie das vielleicht gerne würde.


Hat was von
Sufjan Stevens
Michigan

Haim
Women in Music Pt. III

Persönliche Höhepunkte
Willow | Champagne Problems

Nicht mein Fall
No Body, No Crime | Dorothea | Coney Island | Ivy | Marjorie | Closure | Evermore

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen