Dienstag, 4. August 2020

You Need to Calm Down

 
 
[ bescheiden | gediegen | versöhnlich ]

Ich habe in den letzten Jahren sicherlich keinen Hehl daraus gemacht, dass die "böse" Version von Taylor Swift für mich die wesentlich interessante war. Nicht im Wesentlichen auf einer Ebene von dämlichem Gossip und Beef-Gehabe, das ja mit der Person immer einherging, sondern vordergründig auf einer musikalischen und inhaltlichen. Um ehrlich zu sein hat mich die ganze Kontext-Nummer mit Kim, Kanye, den berühmten Exfreunden und den miesen Manieren gegenüber den eigenen Fans, auf der diese Künstlerin ja mehr oder weniger das Material für ihre letzten drei Alben aufgebaut hat, nie wirklich interessiert, lediglich der resultierende Faktor, dass Swift dadurch sehr viel interessantere Songs schrieb, war ganz cool. Und für mich wäre es vollkommen okay gewesen, wenn sie in dieser Konsequenz irgendwann einfach den Phil Collins gemacht hätte und vollständig zur Göttin des Plastikpop aszendiert wäre. So wie es im Moment aber aussieht, geht es seit letzter Saison nun doch erstmal zurück zu ihren Wurzeln und zum unschuldigen Country-Songwriterinnentum. Schon Lover vom letzten September schaltete nach dem aufbrausenden Reputation, dem Höhepunkt der antagonistischen Taylor, erstmal zwei Gänge zurück und präsentierte eine Ästhetik, die zwar noch kommerziell und flott war, aber nicht mehr ansatzweise so auf krawall gebürstet. Und obwohl ich das insgesamt etwas schade fand, war das Ergebnis darauf doch besser als erwartet. Vor allem setzte es aber die bestmöglichen Voraussetungen für die Sängerin, um jetzt mit einem Projekt wie Folklore um die Ecke zu kommen, das den Kreis der künstlerischen Metamorphose von Taylor Swift mehr oder weniger schließt. Dabei finde ich es in erster Instanz wichtig zu bemerken, wie wenig überraschend dieser Move in meinen Augen kommt. Klar macht die Platte von der Aufmachung her einen auf Mixtape-artiges Quarantäne-Spontan-Ding, anhand des Aufbaus hier zweifle ich aber doch sehr an dessen Authentizität. Allein die Spieldauer von über einer Stunde lässt darauf schließen, dass an dieser LP länger als ein paar Monate gearbeitet wurde und auch der Fakt, dass neben Haus- und Hofproduzent Jack Antonoff hier niemand geringeres als National-Gitarrist Aaron Dessner am Soundpult saß, wirkt sehr durchgeplant. Wenn man mich also fragt, dann ist dieses Album eines, das für Taylor Swift sehr wichtig war und das entsprechend aufgebaut wurde, höchstwahrscheinlich ganz bewusst als stilles Release ohne Label-Backing und Promo-Trara. Was auch irgendwie erfrischend ist, denn eine dämliche Shitpost-Schlacht weniger tut der Diskussion um diese Frau auf jeden Fall gut, zumal einige Songs hier sicherlich genügt hätten, um eine affige Kontroverse zu provozieren. Auf diese Weise fällt es mir stattdessen positiv auf, dass sich die Debatte um Folklore ausnahmsweise mal hauptsächlich um die Musik dreht. Wobei ich im Gegensatz zum generellen Tenor leider ein bisschen finde, dass dieser neue Sanftmut Taylor Swift weniger gut steht als die giftige Attitüde ihrer letzten Alben, zumindest musikalisch. Passend zu den eher versöhnlichen und selbstkritischen Beichtstuhl-Vibes, die diese LP mitunter hat, wird hier ein Sound aufgezogen, der ziemlich minimalistisch und unbescholten ist, was stilistisch irgendwie passend ist, aber auch ein bisschen langweilig. Folklore hat in meinen Augen dadurch ein ähnliches Problem wie das letzte Album von Lana del Rey. Es ist irgendwie indie um des Indieseins Willen, hat aber kein wirkliches Konzept dahinter. Das Songwriting dieser Platte ist in allem sehr behutsam und minimalistisch, ähnlich der Art und Weise eines Sufjan Stevens oder Bon Iver (der hier auch ein Feature hat), nur eben nicht mit deren Charisma, was einige Momente hier doch sehr monoton und dröge macht. Ein Aaron Dessner, der zuletzt schon bei the National immer einschläfernder wirkte, hilft da auch nicht mehr wirklich viel. Wäre es nicht um die wenigen verbliebenen Pop-Ausflüchte und Country-Eskapaden von Swift selbst, diese LP wäre durchweg ziemlich öde. Und natürlich um ihre Texte, denn diese sind in vielen Stücken tatsächlich der Faktor, der dieses Album zu etwas besonderem macht. Dass Taylor Swift gute Lyrics hat, ist ja an sich nichts neues und selbst in ihrer peinlichen Frühphase waren die schon ein echter Hingucker. Trotzdem würde ich sagen, dass Folklore diesbezüglich ihre bisher beste Arbeit ist und sie sich hier ein bisschen selbst übertrifft. Wobei die besten Songs hier die inhaltliche Fusion aus dem romantischen Country-Material von früher und dem knalligen Pop-Songwriting der letzten Jahre ist. Wenn man Swift hier hört, wirkt sie das erste Mal wie eine erwachsene Songwriterin, die über das Leben in einer gewissen Komplexität schreibt und sehr viel weniger Schwarz und Weiß sieht, was man schon an den Themen hier merkt. So handelt The 1 von der gescheiterten Beziehung, die vielleicht eine weitere Chance verdient gehabt hätte, Illicit Affairs von toxischen Seitensprüngen, Betty von einer späten Versöhnung und August und Invisible String von der Schönheit der Naivität. Songs wie diese sind das erste Mal, dass ich Taylor Swift nicht nur als gute Songwriterin erlebe, sondern von ihren Texten einigermaßen berührt bin. Und an dieser Stelle ist Folklore wirklich ein gewaltiger Schritt vorwärts, was am Ende des Tages irgendwie ein seltsames Resultat ist, von dem ich ein bisschen verwundert bin. Als Gesamtwerk ist das hier wahrscheinlich eher nicht so mein Fall und gerade die aufgezwungene Alternativ-Attitüde ist der Sache in den meisten Fällen eher abträglich. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es hier viele tolle Tracks gibt, die ich sehr positiv in Erinnerung bleiben werden. Und irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass Taylor Swift hier geerdet klingt und wahnsinnig authentisch ist, was auch total super ist. Deshalb überwiegt letztendlich doch sehr meine Sympathie für diese Platte und ich empfinde es als keinen Verlust, dass diese Künstlerin solche Musik einer Karriere als kontroverse Popdiva vorzieht. Klar fand ich diese Alben besser, aber das war eben eine Phase. Und mit dieser LP beginnt hoffentlich eine neue, die mindestens genauso interessant wird.



Hat was von
Carly Rae Jepsen
Dedicated

Lana del Rey
Norman Fucking Rockwell

Persönliche Höhepunkte
The 1 | the Last Great American Dynasty | August | This is Me Trying | Illicit Affairs | Invisible String | Mad Woman | Betty

Nicht mein Fall
Cardigan | Exile


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