Samstag, 29. August 2020

Das Anti-Debüt

A. G. Cook - 7G

 
[ digitalistisch | ausschweifend | skizziert ]

Hätte es A.G. Cook seinem Publikum immer einfach gemacht, dann wäre er heute nicht dort, wo er ist. Seit Jahren schon ist er hinter den Kulissen seines 2013 gegründeten Labels PC Music der wesentliche Drahtzieher von so ziemlich allem, was in den letzten Jahren wahlweise als Glitch Pop, Bubblegum Bass oder Post-Internet langsam nach oben gespült wurde und damit mit großer Wahrscheinlichkeit einer der einflussreichsten Musiker der vergangenen Dekade. Nicht nur hat er mit PC Music einen innovativen und spannenden Stil und eine Ästhetik begründet, er war auch Stammproduzent für alles, was Charli XCX in den letzten fünf Jahren gemacht hat, wesentlich an Arbeiten von Sophie, Hannah Diamond und diversen anderen beteiligt und tauchte letzten Monat sogar auf dem Remix-Album von 100 Gecs auf. Wenn es um Veröffentlichungen dieser musikalischen Machart geht, ist A.G. Cook stand 2020 also nicht nur ein Pionier, sondern auch nach wie vor wesentlicher Kollaborateur, der wie es scheint bei allem seine Finger im Spiel haben muss. Dass er selbst eher öffentlichkeitsscheu ist, gehört dabei zum Teil des Marketings. Sein Release-Katalog umfasst abgesehen von vielen Singles aktuell nicht mehr als eine EP von 2013 sowie ein längeres Projekt von 2017, die beide nicht wirklich als Album durchgehen. Und wenn man streng ist, dann ist auch 7G das nicht wirklich. Viel eher eine verhuschte Werkschau der flüchtigen Ideen und klanglichen Vignetten. Nachdem die Marke A.G. Cook bisher immer eine der kleinen Brötchen war, haut der Londoner uns hier trotzdem mit einem Mal sehr plötzlich seine ganze Schaffenskraft um die Ohren. 49 Songs in knapp drei Stunden, unterteilt in sieben einzelne Kapitel mit je sieben Stücken. Das ist kein Album, das ist ein Evangelium. Und eine Sache, der ich mich auch auf besondere Weise nähern wollte. Denn nicht nur ist das hier ein großes und komplexes Werk, das viele Stile und Einflüsse zusammenbringt, es ist - zumindest formell - auch das erste wichtige Solo-Statement dieses Künstlers, der immerhin gerade die Popmusik von morgen prägt. Also will ich dieser Sache mit dem gebührenden Umfang begegnen, Stück für Stück. Was im Klartext bedeutet, das das hier nicht eine Besprechung wird, sondern sieben. Oh boy.

 

1. Auf die Fresse

Zu Beginn fällt Cook gleich mal mit der Tür ins Haus. Der Opener A-Z beginnt mit einem fiesen, verglitchten, tierisch laut gemixten Breakbeat-Jumpscare, der direkt Stress provoziert. Schon in den ersten Sekunden dieser Werkschau fühlt man sich unwillkommen in einer monochromen, digitalen Parallelwelt, an der absolut nichts human oder organisch ist. Und obwohl diese Ästhetik mehr oder weniger nur ein Schockeffekt ist, der sich nach ein paar Minuten wieder auflöst, erzielt es doch die richtige Wirkung: Man muss bereit sein für diese LP, und eine erwärmende, menschelnde Erfahrung ist das ganze im Regelfall nicht. Selbst wenn im zweiten Song Acid Angel zerschnipselte Gesangssamples hinzukommen oder Nu Crush ernsthaft in Richtung Melodie tendiert, sind das eher Fassaden von klanglicher Organik, wie Deepfakes oder Chatbots: Sie fühlen sich menschlich an, aber irgendwas daran ist einfach falsch. Soviel zur wesentlichen Ästhetik. Der erste Teil von 7G ist dann auch gleich derjenige, der diesen Faktor an Cooks Musik am meisten stresst und am weingsten nach Gemütlichkeit sucht. Wo auf späteren Teilen noch eher der Melodie-Zauberer Cook hervortritt, ist dieser Einstieg doch erstmal verhältnismäßig experimentell und leider auch etwas wüst. Wer nach stilistischem Fokus sucht, wird hier definitiv erstmal von einem sehr richtungslosen Anti-Konzept über beide Ohren gehauen, das sehr an seine Arbeit mit Sophie oder den 100 Gecs erinnert, die mir ja persönlich eher nicht so zusagt. Für sich mag ich die meisten der Songs hier, doch funktionieren sie absolut nicht zusammen. Ein Problem, das dieses Album in meinen Augen nicht zum letzten Mal hat.

Persönliche Höhepunkte
A-Z | Acid Angel | H2O | Gemstone Break | Silver

Nicht mein Fall:
Drum Solo
 
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2. Anyway, Here's Wonderwall

Im zweiten Teil von 7G hört man auf diesem Album - und soweit ich weiß in Cooks gesamter Laufbahn - zum ersten Mal großzügig den Einsatz von Gitarren - und zwar von echten. Scheint so, als hätte der Brite sich jüngst ein paar Techniken des Emo-Revivals und generell der Ästhetiken von Rockmusik abgeschaut. Und das nicht nur dieses eine Mal: Being Harsh ist eine Akustikballade, die fast ein bisschen an Soccer Mommy erinnert, später gibt es noch eine Coverversion des Blur-Klassikers Beetlebum, einen live performten Song und in Undying sogar einige Elemente von Garagenrock. Es ist offensichtlich, dass Cook Teil Zwei dieser LP dafür nutzt, um gewisse Rock-Energien, die in den vergangegen Jahren nie eine Rolle spielten, entwickelt und bündelt. Und obwohl die Ergebnisse bestenfalls skizzenhaft sind, entstehen hier doch einige der coolsten Songs der gesamten Platte, die in den besten Momenten klingen wie Demos der Sachen, die Kids See Ghosts oder Bilderbuch in den letzten Jahren kultiviert haben. Was allerdings nicht bedeutet, dass hier nicht trotzdem noch eindeutig die Handschrift von Cook zu hören ist und ein paar klampfige Takes der digitalistischen Ausrichtung keinen unmittelbaren Abbruch tun. Es mag ob meiner generellen Präferenzen vorhersehbar sein, doch dieses Kapitel bringt nach dem chaotischen ersten Teil erstmals etwas Richtung in das ganze Ding und ist, obleich immer noch etwas skizzenhaft, auch kompositorisch einer der besseren Teilbereiche von 7G.

Persönliche Höhepunkte
Gold Leaf | Being Harsh | Undying | Drink Blood | Lil Song | Superstar

Nicht mein Fall
Beetlebum
 
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3. Untoter Avicii

Nachdem das letzte Kapitel durchweg ziemlich soft war, kommt auf Mad Max der nächste Jumpscare, der erst nach Scott Walker klingt, sich dann aber eher in Richtung Goth-EDM auflöst. Generell funktioniert Teil Drei als ein sehr clubbiges, moströses Gebilde, das permanent zwischen Harsh Noise und David Guetta hin und her pendelt, aber darin zeitweise auch eine ziemlich coole Ästhetiken findet. Soft Landing verortet sich als abtrünniges Element zwischendurch eher im ätherischen Grimes-Territorium und DJ Every Night ist mehr oder weniger ein Remix des gleichnamigen ersten Megahits von Hannah Diamond, aber generell kann man schon sagen, dass dieser Teil sehr nach einer bestimmten Art und Weise funktioniert. Zusätzlich dazu schafft es Cook hier auch endlich, so etwas wie Übergänge zwischen den einzelnen Titeln herzustellen und Melodien zu erschaffen, die wirklich nach Songs statt nach Skizzen klingen. Rein durch diese kompositorische Kraft schafft es Kapitel Drei mit Abstand, mich auf Anhieb mehr zu überzeugen als die ersten beiden und ist auf der gesamten LP vielleicht sogar mein Lieblingsabschnitt.
 
Persönliche Höhepunkte
Mad Max | Illuminated Biker Gang | Soft Landing | Overheim | DJ Every Night | Car Keys

Nicht mein Fall:
-
 
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4. Ein Klavier, ein Klavier!

Wenn Teil vier dieser Platte mit einer Sache ganz gut zu beschreiben ist, dann vielleicht als digitalistische Version eines Vanessa Carlton-Songs. Überall klimpernde Keyboard-Flächen und billige Casio-Soundscapes, die irgendwie das schon immer krude Pop-Verständnis von A.G. Cook und der Anfangsjahre von PC Music zusammenfassen. Catchy sind die meisten Tracks dabei nicht, eher wieder ziemlich skizzenhaft und flüchtig. Was aber nicht so schlimm ist, weil diesmal wenigstens die postmoderne Ambiance richtig gut funktioniert. Soll heißen, dass diese Stücke ziemlich atmosphärisch sind. In Windows geht die Sache am Ende wieder in Richtung Glitch, Polyphloisbosterois hat einen Hardtech-Beat und Waldhammer probiert sich sogar an ein paar klassischen Barock-Motiven, doch Ausreißer gibt es hier relativ wenige. Allerdings auch nicht so viele auffälige Stücke wie in den beiden vorherigen Kapiteln. Nicht unbedingt schlimm, aber auch nichts, mit dem der Brite sich selbst übertrifft.
 
Persönliche Höhepunkte
Waldhammer | Polyphloisboisterous | Anything Could Happen

Nicht mein Fall:
-
 
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5. Melancholie & Wahnsinn

Behind Glass und Oohu starten dieses Kapitel mit zwei unterkühlten Chiptune-Vignetten, die sehr an 8-Bit-Soundtracks erinnern, danach gibt es in ähnlicher Manier unter anderem ein Cover von Taylor Swifts the Best Day, bevor der becherne Industrial-Jam Triptych Demon die ganze Sache kurz in Richtung Hysterie manövriert. Cooks Bearbeitung von Charli XCXs Official danach ist in Ordnung, aber lange nicht so gut wie das Original und die beiden letzten Songs fügen einem sehr verwaschenen Gesamteindruck doch recht wenig hinzu. Wie schon beim ersten Teil mag ich hier einzelne Sachen, generell finde ich hier aber keine konsequente Ästhetik wieder, was mich irgendwie stört. Insgesamt kein schlechter Part, aber an sich doch ein sehr unspektakulärer.
 
Persönliche Höhepunkte
Behind Glass | Oohu | Tryptich Demon | Crimson

Nicht mein Fall:
the Best Day | Official
 
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6. ASMR

Im sechsten und vorletzten Teil der Odyssee von 7G steht die Stimme im Mittelpunkt, wobei damit im seltensten Fall klassischer Gesang gemeint ist. Ähnlich wie im ersten Teil gibt es diesen zwar - auch eindeutig aus menschlicher Quelle - allerdings fast immer total verglitcht und zerschnippelt. Auf Seite der Coverversionen müssen diesmal die Strokes dran glauben, das Ergebnis ist immerhin okay. No Yeah entflieht kurz komplett in den Definitionsbereich von ASMR, während Green Beauty sich im ein immer wieder gelooptes und verpitchtes Vokalsample spiralt. Von allen Parts dieses Albums ist Teil Sechs definitiv derjenige, der seine Experimentalität am ernstesten nimmt und kompositorisch an die Substanz will. Obwohl ich das vom Prinzip her cool finde, ist es zu wenig Hingabe mit zu kleinem Effekt. Rein ergebnistechnisch ist dieses Kapitel nicht mehr als theoretisch gut und hat erneut das Problem, ziemlich zerfasert und unstet zu sein. Zusammen mit Teil Eins wahrscheinlich mein unliebster Abschnitt von 7G.
 
Persönliche Höhepunkte
Could It Be | Green Beauty | Hold On

Nicht mein Fall
No Yeah | 2021
 
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7. Fremde Federn

Wenn bei diesem letzten Teil eines auf den ersten Blick auffällt, dann die Tatsache, dass hier vier von sieben Tracks Coverversionen sind, und teilweise ziemlich hochkarätige: Today von den Smashing Pumpkins, Crimson & Clover von Tommy James und den Shondells, Chandelier von Sia und Idyll von Life Sim. Das Spektrum reicht dabei von durchaus gelungen bis zu ziemlich grauenvoll. Die drei Originale, die Cook am Ende noch einstreut, wirken dazwischen eher langweilig und tragen nicht wirklich viel zum Eindruck bei. Vor allem liegt das aber daran, dass sie sich als flüchtige Skizzen nicht nur gegen echte Songs durchsetzen müssen, sondern zum Teil gegen ziemlich originelle Takes zu klassischem Material. Der Ausstieg ist dabei mindestens genauso random wie der Einstieg des ersten Kapitels und provoziert nicht gerade die Vermutung, dass hier etwas größeres, konzeptuelles das Ziel war. Es ist nicht schlecht, aber auch absolut nicht besonders. Und am Ende ist man tatsächlich auh froh, dass es vorbei ist.
 
Persönliche Höhepunkte
Today | Show Me What

Nicht mein Fall
Chandelier | Crimson & Clover
 
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Fazit

Um auf die wichtigste Frage zuerst einzugehen: Nein, 7G ist kein Album, das man komplett durchhören muss und ich bezweifle, dass es als solches angedacht ist. Wie eingangs schon angedeutet, funktioniert diese Musiksammlung eher als eine Art Werkschau von A.G. Cook, die eine umfangreiche Palette dessen präsentiert, womit der Brite so arbeitet. Und das rechtfertigt zwar die Länge dieser LP und dass sie so lose zusammengeschustert ist, ist aber in keinster Weise eine Aufforderung dazu, das hier als Gesamtwerk zu sehen. Ehrlich gesagt ist das sogar überhaupt nicht möglich. 7G ist eine Anhäufung von großen Mengen an sehr skizzenhaftem Material mit bestenfalls rudimentärem Songwriting und nur wenig ästhetischem Zusammenhang. Die besten Momente darin zeigen, dass A.G. Cook ein ziemlich guter Musiker ist, aber Hits macht er doch lieber für andere. Ganz zu schweigen von klassischen Albumformaten, denn obwohl das hier ganz formell ein Debütalbum sein könnte, ist es doch viel mehr eine Verweigerung davor. Was als solches bedeutet, dass es kontingent ist. Wer hier den großen LP-Einstand des Briten gesucht hat, wird sicherlich sehr enttäuscht sein, eine Blamage bedeutet das aber keineswegs. Es zeigt nämlich sehr effektiv, wie dieser Typ arbeitet und das kann mitunter schon faszinierend sein. Nichts an dieser Platte selbst ist wichtig und wahrscheinlich wird man sie sehr schnell wieder vergessen haben, doch was wichtig ist, ist der Mann dahinter. Denn der zeigt uns hier die Hintergründe der zukünftigen Klassiker, die er gerade für andere macht. Und dabei wird es fürs erste wohl auch bleiben. Wenn das Solodebüt des A.G. Cook also eines unterstreicht, dann dass A.G. Cook ein Magier der zweiten Reihe bleibt, der sich nicht ins Rampenlicht spielt. Selbst mit einem Drei-Stunden-Album nicht.



 
Hat was von
PC Music
PC Music Volume 1

100 Gecs
1000 Gecs & the Tree of Clues

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