Samstag, 15. August 2020

Sin City 2

 Imperial Triumphant - Alphaville

[ apokalyptisch | finster | avantgardistisch ]

Wenn ich mit der Gemengelage des Avantgarde-Metal in den letzten acht Jahren eine Erfahrung gemacht habe, dann die, dass der Grat zwischen wesensverändernden Meisterwerken und kakophonischem Humbug oft sehr klein sein kann. Würde man sich die Statistik der von mir jeweils am besten und schlechtesten bewerteten Alben anschauen, wären auf beiden Seiten des Extrems Platten aus dieser Gattung, teilweise vielleicht sogar von ein und derselben Band, zu finden. Für jede grandiose LP wie Aesthethica von Liturgy gibt es in dieser Welt eine Platte wie Weeping Choir von Full of Hell, für jedes Mestaryn Kynsi ein the Wake. Klanglich sind die Unterschiede dabei mitunter marginal und dass jemand die einzig wahre Formel gefunden hat, nur noch großartige Platten zu machen, kann man so gut wie nie garantieren. Imperial Triumphant aus New York sind dafür gerade ein ziemlich gutes Beispiel, denn bei ihnen konnte man jüngst sehr deutlich feststellen, wie ein kompositorischer Ansatz, der mehr oder weniger deckungsgleich ist, auf zwei unterschiedlichen Platten recht verschieden ausfällt. Zwar nicht komplett an verschiedenen Enden des Spektrums, aber doch beachtlich weit auseinder, daran gemessen, wie ähnlich sich die beiden Projekte klanglich sind. Die Objekte der Betrachtung sind dabei ihr letztes Album Vile Luxury von 2018 sowie dieses hier, das vorletzten Freitag erschien. Das erstere von beiden war dabei jenes, das für diese Band eine Art stilistischen Durchbruch darstellte, indem es den chaotischen Black-/Death Metal der New Yorker mit Einflüssen aus Jazz versetzte und zahlreiche Anspielungen auf die expressionistische Musik der Zwanzigerjahre mitführte. Das ganze formte dann insgesamt ein sehr stimmiges stilistisches Konzept über Urbanisierung und Entmenschlichung, das sehr gut in die gebotene klangliche Ästhetik passte und vor allem dadurch zu einer meiner Lieblingsplatten jener Saison wurde. Und weil das dort so gut funktionierte, dachten sich Imperial Triumphant berechtigterweise, dass dieses Konzept auf einem Nachfolger ausbaufähig ist und ruhig noch eine Aufwärmung mehr vertragen könnte. Was ich erstmal für eine tolle Idee hielt, denn auch wenn die konzeptuellen Andockpunkte zu Zwölftonmusik, Fritz Lang und F. Scott Fitzgerald auf dem Vorgänger da waren, waren sie doch sehr vorsichtig formuliert und hätten durchaus noch ein bisschen mehr Rampenlicht vertragen können. Vile Luxury fungierte sozusagen als sehr erfolgreicher Testballon, der jetzt ruhig etwas dreister in die Farbe gehen konnte. Nur habe ich bei Alphaville zwei Jahre später leider den Eindruck, dass die Band plötzlich nicht mehr weiß, was sie damit anfangen soll. Zumindest wirkt alles hier irgendwie sehr lose und uninspiriert. Was am Vorgänger so toll war, war ja die Arbeitsweise der Platte, die die eigentümlichen Fremdeinflüsse sehr engmaschig in den wüsten Experimental-Metal der Gruppe einfließen lies und selten klare Motive voneinander trennte. Was nun, wo sie es doch tun, irgendwie ein bisschen billig wirkt. Elemente wie der Barbershop-Satzgesang in Atomic Age oder die Orgel am Ende von Rotted Futures wirken diesmal eher so, als wären sie nachträglich angefügt wurden, um den Songs den entsprechenden Twenties-Flavour post scriptum zu verpassen. Und was die eigentlichen Songs angeht, so sind diese in vielen Momenten auch wesentlich stumpfer als auf Vile Luxury, was irgendwie den Eindruck von klanglicher Trennkost macht. Das heißt, die spannenden Impulse werden zwar ausgebaut, aber nicht in die eigentliche Musik integriert und sind nur angehängtes Schmuckwerk. Es gibt Stücke wie Transmission to Mercury oder Teile von Atomic Age, in denen die Verschmelzung beider Welten zeitweise nochmal sehr cool funktioniert, aber diese bestimmen für mich nicht so sehr das Album wie die vielen sehr stumpfen Elemente, in denen ein eher langweiliges Post-irgendwas zusammengedroschen wird. Ich will nicht unfair sein, Imperial Triumphant sind auch ohne zusätzliche Deko eine talentierte Band und spielen guten tiefschwarzen Death Metal, doch hat dieser auch nicht so viele Alleinstellungsmerkmanel. Obendrein offenbaren sich an manchen Stellen dann auch so einige ernsthafte Schwächen. So ist zum Beispiel die Gesangsperformance von Zachary Ilya Ezrin deutlich schwächer als noch vor zwei Jahren und mit dem Fehlen von Starproduzent Colin Marston im Studio (Er übernimmt diesmal nur die Postproduktion) kommt auch die tolle Dichte abhanden, die die letzte LP so herrlich apokalyptsich machte. Nimmt man dann noch hinzu, dass die ganze Zwanzigerjahre-Sache hier wesentlich weniger konzeptuell angegangen wird und vor allem der Überraschungseffekt fehlt, ist Alphaville zwar irgendwie ganz okay, aber doch ein deutlicher Rückschritt im Vergleich zum Vorgänger. Eine Platte, die dessen Konzept weniger erweitert als es ein bisschen auslutscht und die Frage aufkommen lässt, ob das mit dem Stilclash jetzt doch so eine tolle Idee war. Wenn man mich fragt ist sie das noch, nur braucht es ein anderes Mischverhältnis dabei. Und vor allem sollte man es lassen, wenn man selber keinen Bock mehr darauf hat, statt auf Krampf noch ein paar Saxofone aufzunehmen. Denn die retten dann auch nichts mehr.

Hat was von
Oranssi Pazuzu
Mestaryn Kynsi

Artificial Brain
Labyrinth Constellation

Persönliche Höhepunkte
City Swine | Atomic Age | Transmission to Mercury | Alphaville

Nicht mein Fall
Rotted Futures

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