Donnerstag, 20. August 2020

Now Only and There is No End

 The Microphones - Microphones in 2020

[ retrospektiv | nostalgisch | emotional ]

Nachdem ich die erste Hälfte des letzten Textes eher flüchtig nochmal gelesen hatte, ging ich in die Küche. Eigentlich, um mir noch einen Tee zu machen, aber ich holte mir dann nur ein Glas Wasser und ging wieder zurück. Die Müdigkeit, die den ganzen Tag irgendwie auf mir gelegen hatte, löste sich langsam und schwerfällig von mir, das passiert meistens am späten Nachmittag, ich kann aber nie so richtig absehen, wann genau. Ich machte mir jetzt doch Tee. Während der Wasserkocher kochte (er macht dabei immer furchtbaren Lärm, ich finde das richtig schlimm), beschloss ich, die Arbeit für heute nicht mehr anzusehen und stattdessen die Platte für den neuen Post zu hören. Ich wusste, ganz oben auf der Liste stand immer noch Beyoncé, aber da musste ich noch einen Termin mit den anderen machen. Einer von meinen Nachbarn hatte einen Disney Plus-Zugang und wir hatten beschlossen, den Film gemeinsam zu schauen. Also kam für heute erstmal das nächste in Frage: Microphones in 2020 von den Microphones. Phil Elverum. Ein Typ, den ich jetzt inzwischen auch schon eine Weile verfolgte. Seine letzten beiden Platten fand ich alle richtig genial, beide waren für mich Höhepunkte der letzten Dekade. Die Art und Weise, wie er dort über seine verstorbene Frau sang, erst auf A Crow Looked at Me Tod und Trauer ins Zentrum stellte um ihr dann auf dem Nachfolger Now Only ein lyrisches Denkmal zu setzen, war eindrücklich und machte mich stellenweise sogar echt fertig. Trotzdem hätte ich bis hierhin nicht gesangt, dass ich ein Fan von ihm wäre oder so. Noch dazu von einem Projekt wie the Microphones, das so lange vor meiner Zeit aktiv war und das ich kaum kannte, obwohl es für viele Elverums Lieblings-Phase ist. Ich hatte vor Jahren mal It Was Hot, We Stayed in the Water gehört und mochte es auch irgendwie, vor allem lyrisch. Ehrlich gesagt konnte ich mich aber kaum an konkrete Sachen erinnern. Ich denke, ich war einfach neugierig, warum er dieses Pseudonym jetzt nach 17 Jahren zurückbrachte und irgendwie gespannt, ob ich es mögen würde. Ich goß den Tee auf, ließ in viel zu kurz ziehen, fitzte die Kopfhörer hinter dem Laptop hervor und wollte loshören. Kein Album da beim Streaminganbieter. Nicht schlimm, kommt vor. Dann also Bandcamp. Nur ein Song, ganz kurz war ich verwundert. Aber es gibt auch keine Tracklist, die irgendwo angegeben ist. Ich finde das volle Album auf Youtube als offizielle Version, auch hier keine Tracklist, dafür ein Video. Ich starte es. Jemand legt Fotos übereinander, dazu Akustikgitarre. Fis-Dur, D-Dur-7, D. Eine Straße im Sonnenuntergang, ein Auto im Schnee, Rauhreif auf Bäumen, trüber Herbsthimmel. Siebeneinhalb Minuten geht das so. Am Anfang drehe ich noch am Aux-Eingang herum, vielleicht höre ich einfach einen der Kanäle nicht. Aber dann merke ich irgendwann, dass das Absicht ist und beginne, den Bildern zuzusehen. Das minimalistische Schauspiel zieht mich irgendwie in seinen Bann. Lange nichts, nur mehr Fotos. Nach 7 Minuten und 39 Sekunden, zwei Bilder des gleichen Hauses. Dazu das erste Mal Gesang: "the true state of all things / I keep on not dying / the sun keeps on rising". Endlich. Keine Sekunde dauert es, dass auf einmal so ein Gefühl da ist. Die Magie der Musik von Phil Elverum und vor allem die seiner Texte. "I remember my life as if it's just some dreams I don't trust". Es ist so, als hätte er nie aufgehört zu erzählen. Als wäre man vor zwei Jahren einfach aus einem Raum gegangen, den man nun wieder betritt. Der Mann auf dem Stuhl redet immer noch und stapelt dabei Fotos. Es geht jetzt nicht mehr um seine Frau, nicht um den Tod und nicht um die Beschreibung irgendwelcher Landschaften, es geht um ihn. Den Musiker Phil Elverum, den Microphones-Mann. Sieben prägende Jahre in knapp 45 Minuten. Nicht als Geschichte im Zeitraffer, sondern als Momentaufnahmen, nebeneinander. Wie Fotos, eines auf dem anderen im Video. Ein nostalgisch verzerrtes Bild von Erinnerung, nicht wahrhaftig, aber wild-romantisch. Ein langes Stück Musik, das nach 17 Jahren den letzten Strich unter das Konzept Microphones macht. Vor allem aber ein Mann, der erzählt. Von Nächten am Ozean, allein und ohne das jemand davon wusste. Von Studioarbeit in den frühen Morgenstunden. Von Touren, von Träumen, vom Berg Eerie, der hinter den Wolken auftaucht. Ich habe gelesen, dass es für diese LP wichtig ist, ein Fan der alten Sachen von Elverum zu sein, da diese Platte funktioniert wie der Audiokommentar zu einem Film und es ständig versteckte Referenzen zu Songs gibt oder erklärt wird, warum diese Musik ist, wie sie ist. Und es kann sein, dass das stimmt. Ich für meinen Teil bin trotzdem eingesaugt in die Vignetten, die der Songwriter hier erzählt, von seiner Nostalgie und wie er das musikalisch ausarbeitet. Wie plötzlich ein Drone im Song aufsteigt, als er von einem Sunn 0)))-Konzert erzählt, wie er am Anfang dieses lange Vakuum lässt, wie er tatsächlich wieder sehr klingt wie früher. Das weitaus schönste daran ist aber, wie dieses Album das Konzept Zeit verhandelt. Als Aneinanderreihung von Gegenwarten, die den See aus Erinnerung speisen. Momente, die vor langer Zeit passiert sind und jetzt dokumentiert werden, um zukünftig greifbar zu sein. Es ist alles wunderbar meta. Nach 44 Minuten und 44 Sekunden endet das Video. Das letzte Foto ist ein Abendhimmel. Ich habe das Video komplett geschaut, ohne wegklicken und ohne Pausen zwischendurch, das passiert mir selten. Und ich habe einen ziemlichen Kloß im Hals. Nicht vor Schmerz wie bei den letzten beiden Platten, sondern vor Schönheit. Und ich bin beeidnruckt davon, was dieser Musiker hier gerade musikalisch eingefangen hat. Ich entscheide mich, einen Spaziergang zu machen, es wird inzwischen langsam dunkel und mein Bildschirm beginnt den gesamten Raum auszuleuchten. Ich schließe den Laptop. Es wird auf jeden Fall nicht leicht, über dieses Album zu schreiben...


Hat was von
Sun Kil Moon
Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood

Flake Lorenz
Heute hat die Welt Geburtstag

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