Dienstag, 25. August 2020

Dunkler Phoenix

 Crack Ignaz - Sturm und Drang

 
[ nachdenklich | introvertiert | emo ]

Wäre Crack Ignaz ein Fußballer geworden, würde man Stand 2020 wahrscheinlich davon reden, dass seine Karriere ein ziemlicher Flop gewesen ist. Vor sieben Jahren als junges Talent entdeckt, der eine innovative Technik und einen individuellen Stil aufzeigte und der eigentlich nur ein bisschen Fokus und Routine gebraucht hätte, um einer der besten zu werden. Aber nach ein paar guten Jahren in kleinen Clubs scheiterte er an der großen Bühne, verlor seine spielerische Einzigartigkeit, es kam schlechtes Management hinzu und in der Zeit, die eigentlich als seine beste Phase prognostiziert war, saß er fast nur auf der Ersatzbank. Die Analogie ist an dieser Stelle natürlich ein bisschen bei den Haaren herbeigezogen, aber grundlegend doch passend: Wenn ich mich daran erinnere, was für eine riesengroße Hoffnung der junge Rapper aus Salzburg zu Beginn der letzten Dekade war, ist es absolut erstaunlich, wie wenig von ihm und seiner Musik seitdem Hängen geblieben ist. Über die Gründe dafür lässt sich viel spekulieren und wahrscheinlich lässt sich keiner als Hauptursache ausmachen, Fakt ist jedoch: Der Ertrag ist durchwachsen. Sturm & Drang ist gerade sein erstes richtiges Album seit vier Jahren (je nach Zählweise auch nach zwei) und es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte man in dieser Zeit das wesentliche Kapitel seiner Karriere übersprungen. Nach den großartigen Durchbruchs-Platten Geld Leben (mit Wandl) und Aurora (mit LGoony) von 2016 springt Ignaz hier mehr oder weniger direkt zur ausgelaugten Katerplatte nach dem nie wirklich stattgefundenen Hype und eher komischen Projekten wie Marmeladé, New Level und dem tatsächlich sehr unterschätzten Bullies in Pullis 2 von 2018. Es gab Zeiten, da fragte man sich, ob Iggy Crack als Künstler überhaupt noch existierte und in denen selbst seine Social Media-Accounts über Monate eingeschlafen waren. Und so lange, wie die Stille andauerte, so schnell und unverhofft kam diese neue Platte. Zumindest seine Unberechenbarkeit hat der Rapper also behalten. Darüber hinaus ist das hier aber in so gut wie jeder Hinsicht eine Neuorientierung, in gewisser Weise vielleicht auch das Ende der Neuorientierungen in Crack Ignaz' Laufbahn. Denn vorwärts bewegt sich der Österreicher mit so ziemlich allem, was nach Aurora kam. Sowohl Geld Leben als auch Marmeladé waren ästhetische Befreiungsschläge aus dem Cloudrap-Klischee der frühen 2010er und als solche bisweilen ziemlich chaotische. Es war sehr oft klar, was dieser Künstler abstreifen wollte, aber weniger, wohin er sich bewegte. Und dass er eine Richtung einschlug, bedeutete keinesfalls, dass er nicht wieder umkehren konnte. Das war spannend und kreativ, aber auch verwirrend. Sturm & Drang fühlt sich wie das erste Album seit Geld Leben an, auf dem eine Sache relativ konsequent durchgezogen wird. Wobei das lose übergeordnete Thema der LP so etwas ist wie das düstere Reboot des Charakters Crack Ignaz. Über die gesamte Tracklist hinweg gibt es hier mehr oder weniger deutliche Hints bezüglich innerer Krisen und mentaler Ausgelaugtheit, die auch ein bisschen die Spekulation befeuern, warum diese Platte so lange gedauert hat, die aber vor allem stilistisch etwas verursachen. Beats, Sprache und Performance von Iggy sind die gleichen wie früher, nur die meiste Zeit über in wesentlich melancholischer und es ist tatsächlich nicht übertrieben, das hier als ein Emotrap-Release durchgehen zu lassen. Ist es gut? Ja, aber mit großen Abstrichen. Um an den musikalischen Kern dieser LP zu gelangen, muss man sich zunächst durch die drei eröffnenden Songs BMO, Neontränen und Bipolar kämpfen, die zu den miesesten gehören, die der Österreicher je geschrieben hat. Hat man diese hinter sich, wird es exponentiell besser. Mit Herzschmerzgang, Ähä, Firn und Sportschützenverein 5020 (ich hab mir diese Titel nicht ausgedacht) folgt ein Block von Tracks, die sehr an Iggys frühe Platten erinnern und auch ziemlich positiv und cool sind, bevor die Platte nochmals ins melancholische dippt, diesmal aber mit viel besseren Ergebnissen. Mein persönliches Highlight ist dabei Flaschenpost, ein Song über Einsamkeit, der irgendwie den emotionalen Spirit eines Neunziger-Hits von Max Herre oder Samy Deluxe in sich trägt und nicht nur viel Schwere mitbringt, sondern erstmals auch echte Größe. Ein weiterer Höhepunkt ist Ave Manie, bei dem der Rapper einmal mehr sein heimliches Talent für surreale, alptraumhafte Lyrik auspackt und die beiden abschließenden Slowjams Bist du echt und Zufällig sind zumindest gute Versionen dessen, was im Bereich Deutschrap gerade unter dem Emo-Etikett stattfindet. Insgesamt ist Sturm & Drang damit nicht nur ein Album, mit dem Crack Ignaz stilistisch etwas angekommener scheint, sondern auch grundsätzlich ein ziemlich hoffnungsvolles. Klar hat es offensichtliche Schwächen und wenn ich meine Erwartungen von 2015 ansetzen würde, wäre es wohl nicht so zufriedenstellend wie nach den vielen Enttäuschungen der Zwischenzeit, aber mit allem, was seitdem passiert ist, ist es auf jeden Fall ein Grund aufzuatmen. Die wackelige Bahn, auf der sich der Rapper zuletzt befand, scheint hier wieder einigermaßen gefestigt und von hier aus ist ein Anfang gemacht, von dem her seine Karriere vielleicht wieder Fahrt aufnimmt. Zumindest hoffe ich das für ihn, denn ein verdammt talentierter und einzigartiger Künstler ist der Typ nach wie vor.



Hat was von
Mac Miller
Swimming

JuiceWRLD
Goodbye & Good Riddance

Persönliche Höhepunkte
Herzschmerzgang | Ähä | Hackl Hart | Ave Manie | Firn | Flaschenpost

Nicht mein Fall
BMO | Neontränen | Bipolar

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