Sonntag, 30. August 2020

Nerdig By Nature

 Jacob Collier - Djesse Vol. 3

 
[ exzentrisch | hibbelig | bunt ]
 
Es passiert mir heutzutage relativ selten, dass ich von jemandem noch mit ernsthafter Verwunderung den Satz "Wie, du kennst [Künstler*in XY] nicht?!" entgegnet bekomme, was primär vielleicht ein Indikator dafür ist, dass ich die Nutzung meiner Gehirkapazität vielleicht anders priorisieren sollte. Aber wenn es wirklich mal passiert, macht es mich vor allem dann stutzig. Noch dazu bei einem Typen wie Jacob Collier, der sich in weiten Kreisen ja tatsächlich eines ordentlichen Renomées erfreut und von dem ich bis vor etwa drei Wochen nicht einmal den Namen kannte. Einen Umstand, der aber auch damit recht gut zu erklären ist, dass die Fans des Londoners größtenteils in jener praktisch orientierten Musiknerd-Bubble zu finden ist, derer ich nicht Teil bin. Sprich Leute, die nicht nur viel über Musik reden, sondern diese auch spielen und verstehen. Vor allem der Jazz-Fraktion hat es Collier anscheinend angetan, und nach allem, was ich bis jetzt herausgefunden habe, hat das wohl damit zu tun, wie geschickt er kompositorische Finesse und Komplexität in einem Songwriting versteckt, das an und für sich eher gefällig und bisweilen sogar catchy ist. Im Klartext ist er also einer dieser Leute wie Andrew Huang, Thom Yorke oder John Coltrane, die Musiktheorie-Nerds mögen, weil sie Songs schreiben, die der Plebs geil findet, ohne ihren technischen Anspruch zu verstehen. Eine Haltung, die ich von der Sache her hochgradig kritisch finde und die mir Collier von der Sache her schon ein bisschen unsympathisch macht. Wobei ich im gleichen Atemzug sagen muss, dass ich seine eigentliche Musik - oder zumindest das, was ich in Vorbereitung auf diese LP gehört habe - ziemlich gut fand und die Leute, die dem Burschen auf Youtube in den Arsch kriechen, ein bisschen verstehen kann. Mit Ausnahme von einer Sache: Der Behauptung, sein Songwriting wäre orginell. Meinem Eindruck nach ist eher das Gegenteil der Fall und der Brite ist im wesentlichen die Summe seiner vielen Einflüsse. Dauerhaft sind das vor allem Justin Vernon und das Roster von Brainfeeder Records, im Kleinen alles von Geshwin bis Genesis. Weshalb ich bis dato vor allem davon fasziniert bin, wie dieser Typ verschiedene Einflüsse zusammenbringt. Allein wenn man sich die bisher zwei Teile seiner Djesse-Saga anhört, ist das Crossover-Potenzial extrem ergiebig. Wo die erste LP von 2018, eine Kollaboration mit dem Metropol Orkest, sehr getragen und orchstral die Klangräume von Folk und Kammerpop erforschte, war Teil Zwei ein Jahr später eine totale Kakophonie aller möglichen Stile, die Collier zu einem knallbunten Flickenteppich verband. Und obwohl dieses dritte Kapitel nun eher wieder davon absieht, zu krass in die Kontraste zu gehen, ist es doch erneut eine beachtliche Verfädelungsleistung. Ein Faktor, der sich am deutlichsten an der Gästeliste zeigt, auf der Daniel Caesar und Kimbra genauso Platz finden wie T-Pain und Ty Dolla $ign. Ebenfalls ganz gut daran abzulesen ist die stilistische Ausrichtung dieser Platte, die primär in Richtung Neosoul, R'n'B, Gospel und Funk tendiert. Wobei ich wieder als erstes feststellen muss, wo ich das alles schonmal gehört habe: Die letzten Brainfeeder-Platten ploppen dabei ebenso auf wie frühes Zeug von Janelle Monàe, ein bisschen Stevie Wonder und die R'n'B-infizierten Phasen von Bon Iver und Dave Longstreth. Schlimm ist das nicht, denn gute Musiker*innen sind das alle. Und wie Collier hier als verbindendes Element agiert, ist ebenso faszinierend wie seine krasse Leistung als Sänger (Minus seines ziemlich peinlichen Rap-Versuchs in Count the People). Die Features sind cool miteinander verwoben, die Sound verliert durch seine Hochglanz-Politur nicht an Soul und der hibbelige Bassfunk von In My Bones funktioniert nicht weniger gut als der andächtige Gospel-Vibe von He Won't Hold You. Klar ist der Ansatz an die ganze Sache mitunter ein bisschen...nun ja...weiß, aber niemals Charlie Puth-schlimm. Und ferner nicht das Problem der Platte. Das liegt, wenn man das überhaupt so benennen will, im sehr technisierten Songwriting, das am Ende eben kein Pop ist, so sehr es auch möchte. Gerade im Mittelteil fällt mir auf, wie null eigängig die meisten dieser Stücke sind und wenn es Ausnahmen gibt, hat das meistens mit den Gästen darauf zu tun. Daniel Caesar und Rapsody machen ihre jeweiligen Tracks sogar fast komplett zu ihren eigenen und sind dort Highlights, wo der Hauptakteur musikalisch patzt. Und wenn die richtige Melodik fehlt, dann hilft leider auch die beste Technik nichts. Es muss dazu gesagt werden, dass Djesse Vol. 3 darunter nicht so schlimm leidet wie ein Steven Wilson oder diese ganzen unsäglichen Youtubestars, aber es ist definitiv ein Faktor. Und es führt dazu, dass ich diesen Typen am Ende eben nicht so sehr genießen kann wie einen Justin Vernon, einen Stephen Burner oder einen Thom Yorke. Weil er hinter allem kaschierten Nerdtum eben doch ein Techniker ist, der es um der Technik willen macht. Vor allem, wenn er sich hier einer Sache wie Soul vornimmt, bei der Emotionalität immer vor Professionalität kommt. Und bis diese Aura von ihm abfällt, braucht es vielleicht einfach noch ein bisschen.



Hat was von
Bon Iver
22, A Million

Janelle Monàe
the Archandroid

Persönliche Höhepunkte
Count the People | In My Bones | Time Alone With You | He Won't Hold You

Nicht mein Fall
-

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