Montag, 17. August 2020

Zu schön für DIY

 
 
[ politisch | sarkastisch | rabiat ]
 
 Das Münsteraner Indielabel This Charming Man Records ist für mich persönlich seit Jahren ein absolutes Lieblingslabel, bei dem ich nicht müde werde, es für sein fantastisches Roster zu hofieren, gerade was junge Künstler*innen angeht. Denn obwohl es unter den Rock-Verlagen so ein bisschen das Schalke 04 ist, das alle guten Bands verlassen, sobald sie einen schickeren Vertrag bekommen, zeichnet es sich eben genau dadurch aus: Es erneuert sich ständig. Über die letzten Dekade erlebten hier großartige Acts wie Messer, die Nerven, Fjørt, Karies, Krank oder Nothing ihre prägenden Jahre und ständig tun es wieder neue Bands. Wobei TCM sich vor allem auch dadurch auszeichnet, dass es die Leute wirklich von der Straße holt. Als die Nerven hier 2012 einstiegen, waren sie wenig mehr als eine rumpelige Gurkentruppe mit mächtig Potenzial, die sich erst im Laufe ihrer Zeit bei ebendieser Marke zu einem europäischen Postpunk-Schwergewicht entwickelten und dann wiederum ihre Proberaum-Kolleg*innen auf das Label holten. Eine Geschichte von echter Untergrund-Leidenschaft, an deren Ende unter anderem gerade Pogendroblem aus Bergisch Gladbach stehen, eine Band, die mich sehr an die frühen Nerven erinnert. Auch sie klingen eigentlich nicht nach Leuten, die nach einem Plattenvertrag streben, sind sie doch ganz offensichtlich ein sehr urpunkiges DIY-Konglomerat, das schon vom Namen her eher auf eine AJZ-Party passt als in die Musikindustrie. Gleichzeitig sind sie - wie die Nerven damals auch - eigentlich viel zu schlau dafür. Gerade ihre Texte sind keine grobschlächtigen Monchi-Gorkow-Parolen gegen offensichtliche Feindbilder, sondern bieten originelle Draufsichten auf soziale Gemengelagen, die Bourdieu und Foucault im Hinterkopf haben. Nicht im Sinne elitärer PoWi-Traktate, sondern vor allem im Sinne von Kritik an der Szene an sich. Die Zielscheiben von Ich-Wir, das als Doppel-EP-Label-Debüt vier neue Songs mit Rereleases ihrer 2016 veröffentlichten EP Raus verbindet, sind primär studentische Großstadt-Bohèmes, junger Konservatismus, Landflucht und linkes Bubble-Verhalten, Songs übers Saufen gehen aber auch immer. Was natürlich dafür sorgt, dass Pogendroblem angenehm authentisch sind. Als sachsenanhaltinisches Überzeugungs-Landei und erimitierter Ehrendorfpunk sprechen mir Stücke wie Dippen im Nachtbus, Utopie: Studierendenstadt oder wg-gesucht tief aus der Seele und Sachen wie CDU oder Wir haben ein politisches Tiefenverständnis und einen Sarkasmus, der absolut bemerkenswert ist. Noch dazu haben Pogendroblem in den besten Momenten das Zeug dazu, echte Hymnen zu schreiben. Gerade Kotzen oder CDU könnten musikalisch auch aus den besten Zeiten von Slime sein und haben ein Punk-Verständnis, das erfrischend unmittelbar ist. Und dass sowas dann auch einem "richtigen" Label wie TCM stattfindet, statt ausschließlich auf Bandcamp, ist dadurch dann doch wieder cool. Zwar sitzt der kommerzielle Kontext bei dieser Gruppe noch sehr ungemütlich und tut das berechtigterweise, doch wäre es eben schade, wenn so eine Formation gänzlich in der Local Scene versauern würde. Denn Pogendroblem sind bei aller Rüpel-Attitüde zu schön, um nicht etwas größer zu werden. Und wer weiß, vielleicht ist das hier ja mal wieder der Anfang von etwas großem.



Hat was von
Hater Skater
Neue Deutsche Hemmschwelle

Die Nerven
Asoziale Medien

Persönliche Höhepunkte
Foucault im Großraumbüro | Wir | wg-gesucht | CDU | Kotzen | Den öffentlichen Nahverkehr durch Drücken der Stop-Taste sabotieren | Schales Bier | Utopie: Studierenstadt

Nicht mein Fall
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