Dienstag, 8. Dezember 2020

The 2020 Expierience : Level 2 : Vermischtes

 



 
Persönlichkeit des Jahres:
Hunter Hunt-Hendrix
Sich als Person des öffentlichen Lebens vor aller Welt als Transfrau zu outen, stelle ich mir in jeder Hinsicht als eine Sache vor, die viel Charakter und Mut einfordert. Diesen Schritt als eine Metalmusikerin zu gehen, macht vieles daran noch schwieriger und besonders schwierig wird es, wenn man obendrein noch die Chefin von Liturgy ist, einer Band, die seit Beginn ihrer Existenz Zielscheibe konservativer Szenepolizist*innen und sonstigen Trotteln ist. Dass Hunter Hunt-Hendrix' Outing in diesem Frühjahr für einige davon ein gefundendes Fressen war kann ich mir vorstellen, extrem viel Respekt also dafür, dass die Künstlerin nichtsdestotrotz den Mumm gehabt hat, diesen Schritt ganz offiziell zu gehen. Es gibt im Metal Stand 2020 noch immer wenige queere Identifikationsfiguren, ganz besonders Transmenschen. Deshalb war das hier irgendwie wichtig und hat definitiv eine krasse Vorbildfunktion.
 
 

IDIOT DES JAHRES:
XAVIER NAIDOO
Unter den musikalischen Promis, die 2020 ein paar fragwürdige ideologische Statements machten, ist der Mannheimer bekanntermaßen nicht der einzige geblieben und in gewisser Weise steht er hier auch repräsentativ für einen Michi Wendler, einen Fler oder eine Nena. Trotzdem wiegt sein Beitrag in der ganzen Sache meiner Meinung nach besonders schwer, weil er a) schon seit Jahren diesen Film fährt und b) vielleicht auch für einige der eben genannten Künstler*innen Impulsgebend war, was kruden Verschwörungs-Blödsinn angeht. Zumindest hat er 2020 aber endgültig dafür gesorgt, dass über ihn in näherer Zukunft wohl kaum noch im Bezug auf seine Musik gesprochen wird. Um es mit seinen eigenen Worten zu sagen:











 
ARBEITSTIERE DES JAHRES:
SO ZIEMLICH ALLE BEI GRISELDA RECORDS
Glaubt man der Wikipedia, gab es in diesem Jahr von der New Yorker Gang insgesamt acht Releases, ganze sechs davon waren Longplayer. Gleich zwei Drops gab es dabei jeweils von Westside Gunn und Conway the Machine, darüber hinaus ein spannendes Debüt von Neu-Signee Armani Caesar und den lang erwarteten Tana Tape 3-Nachfolger Burden of Proof von Benny the Butcher. Zusammen mit noch weiteren Künstler*innen aus der Peripherie des Labels waren Griselda damit ominpräsent in der Hiphop-Landschaft von 2020 und kaum ein Monat verging ohne neues Material von ihnen. Und wo letzte Saison sicherlich die des Durchbruchs für das Format war, waren die letzten 12 Monate rückblickend wahrscheinlich trotzdem die wichtigsten. Wer weiß, vielleicht geht es ja sogar noch ein bisschen weiter in 2021.


POP-HIT DES JAHRES:
PHYSICAL von DUA LIPA
Dua Lipa - Physical
Mit Break My Heart, Don't Start Now und diesem Schätzchen hier hatte Dua Lipa dieses Jahr gleich mehrere sehr gute Single-Braten in der Röhre, die sich kommerziell alle auszahlten und sie 2020 neben the Weeknd zur einzigen dauerhaften Königin der Charts machten. Physical ist dabei in meinen Augen ihr Meisterstück, das nicht nur musikalisch langsam Vergleiche mit Madonna und Lady Gaga provoziert. Tanzbar, rockröhrig und cool wie sonstwas nimmt sie hier mitten in der aktuellen Pop-Landschaft platz und weißt glaubhaft nach, dass sie spätestens jetzt keine unbescholtene Newcomerin mehr ist, sondern eine Künstlerin, die bei den großen Jungs mitspielt.




RAP-BANGER DES JAHRES:
ONKELZ POSTER von FINCH ASOZIAL feat. TAREK K.I.Z.
Finch Asozial &  Tarek K.I.Z - Onkelz PosterDieser Song hat mich 2020 überzeugt, dass jemand wie Finch Asozial im Deutschrap durchaus funktionieren kann. Indem er die Ballermann-Texte hier mal weglässt und sich mit Tarek einen kompetenten Sparringpartner sucht, zeigt er, dass er durchaus eine einigermaßen sozialkritische Message tragen kann und musikalisch ist die Kombination aus asozialer Rap-Pose und scooterigem Hardstyle sogar ein klein bisschen visionär. Banger-Potenzial hat Onkelz Poster dabei mehr als reichlich, strukturell besteht es ja quasi nur aus Hooks und textlich nur aus gut zitierbaren Parolen. Ein bisschen klemmt, dass das Konzept komplett von Plattenbau O.S.T. von Zugezogen Maskulin abgekupfert ist, aber wenn man mich fragt, existieren beide Songs auf der gleichen Wellenlänge.


COVERSONG DES JAHRES:
JOLENE von LINGUA IGNOTA
(ORIGINAL VON DOLLY PARTON)
Lingua Ignota - Jolene Kristin Hayter aka Lingua Ignota hat in diesem Jahr einige Cover-Singles veröffentlicht und dabei definitiv ein gewisses Talent gezeigt, ihre eigene, finstere Doom-Ästhetik in alte Popsongs einzuflößen. Dabei ist sie bei weitem nicht die erste, die sich mit Erfolg an einer Interpretation des Dolly Parton-Klassikers Jolene versucht. Ihre Version ist nach meinem Kenntnisstand jedoch die bisher krasseste. Von wenig mehr als einem Piano begleitet streckt Hayter das Stück über sechs Minuten und begeistert dabei vor allem durch ihre wie immer bärbeißige und leidende Performance, die mit jeder Silbe in tausend Facetten aufgeht, als würde sie Shakespeare rezitieren. Ein Song, der eher ins Theater gehört als in die Popmusik.


 
ENTTäUSCHUNG DES JAHRES:
HOUSE OF ZEF von DIE ANTWOORD
Die Antwoord - House of ZefHouse of Zef ist nicht das schlechteste Album des Jahres, es gibt darauf sogar ein paar ganz okaye Songs. Nur ist es unglaublich frustrierend, welche Position es im Katalog von Die Antwoord einnimmt. Als angekündigtes letztes Album des Duos aus Kapstadt hätte es der starke Schlusspunkt einer bis dahin quasi makellosen Reihe von Longplayern sein können, nur wirken die beiden hier plötzlich wie verwandelt. Songs schmeißen sich an Trap-Trends aus den USA, die Produktion ist ziemlich nervig, Ninjas Texte sind unfassbar Hohl und Hits gibt es eigentlich keine. Es ist ein schlampig gemachtes, halbfertiges Album am Ende einer der traumhaftesten und originellsten Pop-Karrieren der letzten Dekade. Und das ist irgendwie ziemlich traurig.


POSITIVE üBERRASCHUNG DES JAHRES:
SOLA GRATIA von NEAL MORSE
Neal Morse - Sola Gratia Drei Sachen, bei denen ich in meiner Rockmusik skeptisch bin: suggestiv christliche Lyrics, Opernkonzepte und vernudeltes Prog-Gehabe. Dass es in dieser Saison ein Album gab, dass all diese Dinge vereinte und das ich trotzdem ziemlich genial finde, verwirrt mich immer noch ein bisschen. Und ich habe Sola Gratia inzwischen oft genug gehört um zu wissen, dass dieser Eindruck nachhaltig ist. Neal Morse macht hier aber auch alles richtig: Eine starke, gut erzählte Story, die eine tatsächliche Sinnsuche als inneren Monolog darstellt und eine musikalische Ausarbeitung, die die konservative Seite des Progrock von ihrer Schokoladenseite präsentiert. Auf den ersten Blick ein leichtes Ziel für Spott, auf den zweiten ein echtes Highlight.


ALBUM BEI DEM ICH DEN HASS NICHT VERSTEHE
MAKING A DOOR LESS OPEN
von
CAR SEAT HEADREST
Car Seat Headrest - Making a Door Less OpenIch kann irgendwie verstehen, wie man als Fan der bisherigen Platten von Will Toledo von diesem Album verwirrt war. Nach den antisozialen Emorock-Platten, die ihn zuletzt berühmt machten, ist diese LP mit ihrem bratzigen Electronica, teils albernen Songwriting und trockenen Sound definitiv eine Herausforderung. Gleichzeitig lässt sich auch nicht von der Hand weisen, wie viel eingängiger, experimenteller und detaillierter Toledo hier schreibt und performt und dass Making A Door Less Open an vielen Stellen ein verdammter Jam ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich seine letzten Sachen nicht so mochte, aber für mich ist das hier ein Album mit exponentiellem Wachstum, das mich neugierig macht, wie es mit diesem Projekt weitergeht. Mehr als alle seine Vorgänger.


ALBUM, DESSEN HYPE ICH NICHT VERSTEHE:
LIANNE LAHAVAS von LIANNE LAHAVAS
Lianne La Havas - Lianne La HavasIch habe mir für Januar vorgenommen, dieses Album hier nochmal ausführlich zu besprechen und nochmal wirklich intensiver hinzuhören, weil allem Anschein nach alle dieses Ding dieses Jahr zu Tode feiern. Doch um ehrlich zu sein habe ich das auch diesen Sommer schon getan und war eher ernüchtert. Lianne LaHavas selbstbetiteltes Opus Magnum ist keinesfalls ein schlechtes Stück Musik, nur in meinen Augen auch überhaupt kein spannendes oder besonderes. Mehr als doof finde ich diesen loungigen Mischmasch aus Neosoul und Jazzpop beachtenswert unspektakulär, mit wenigen Dingen, die mich in irgendeiner Form zu einer näheren Beschäftigung damit animieren. Das sind zu hundert Prozent jene von euch (und das sind viele), die diese LP zu so einer Sache machen.


BEAT DES JAHRES:
GANGSTAS von POP SMOKE
(PRODuziert von swirv & CASHMONEY AP)
Pop Smoke - Shoot for the Stars, Aim for the MoonWenn ich im Rap für eine Sache im Hiphop immer zu haben ist, dann ist das ein gut gemachter Beat auf Piano-Basis und als selbsternannter Gourmet in dieser Sache behaupte ich einfach mal, dass die besten davon schon immer Dr. Dre gemacht hat. Der hat Gangstas zwar nicht produziert, ich würde mich aber dennoch wundern, wenn er für diesen Beat von Swirv und CashMoney AP nicht zumindest eine wesentliche Inspiration war. Vieles hier erinnert mich an den leider völlig vergessenen Dre-Banger Kush von 2010 und versprüht jene unbestechlich düstere Thug-Attitüde, die Pop Smoke mit seiner knallharten Drill-Performance optimal abrundet. Vielleicht ein kleines bisschen Hiphop-Geschichte in einem ziemlich genialen Track.



LINE DES JAHRES:

"Warum sollte ich Musik für junge Leute machen?
Die wissen nicht einmal wer Gorki war, solche Lappen"
-Panik Panzer in Warum sollte ich


COMEBACK DES JAHRES:
FIONA APPLE
Dass ich selbst nicht der größte Fan von Fiona Apples Comeback-LP Fetch the Bolt Cutters bin, habe ich in diesem Format ausreichend dokumentiert, ganz unabhängig von persönlichen Einschätzungen muss ich aber einfach anerkennen, wie die Künstlerin 2020 durchgerockt hat. Besagte Platte ging dieses Jahr nicht nur in der Presse durch die Decke, sondern holte auch ein bisschen die Erfolgsfans wieder ab, die sich zuletzt in den Neunzigern für sie interessiert hatten. Und das mit einer musikalischen Ausrichtung, in der Apple sich experimentell und grantig wie selten gibt. Als dann letzte Woche auch noch die diesjährigen Grammy-Nominierungen ihr Album in diversen Kategorien anführten, war die Sensation perfekt. Was 2020 in der Karriere dieser Frau passiert ist, holt sie nicht nur zurück, sondern hebt sie fast schon auf ein neues Level von künstlerischer Bedeutsamkeit, das sehr exklusiv ist. Merken werden wir das spätestens, wenn in zehn Jahren oder so ihre nächste Platte rauskommt.


ARCHIVRELEASE DES JAHRES:
DRY - DEMOS von PJ HARVEY
PJ Harvey - Dry - DemosUm ein Haar hätte ich hier das großartige Homegrown von Neil Young angeführt, doch werden wir darüber noch an anderer Stelle sprechen. An dieser Stelle möchte ich lieber nochmal kurz sagen, wie klasse es ist, dass diese Demotakes des ersten PJ Harvey-Albums endlich offiziell draußen sind. Erstens: Durch diese Veröffentlichung muss ich nicht mehr das miese MP3-Bootleg hören, das ich bereits seit Jahren besitze, weil das hier (zweitens:) in meinen Augen die eindeutig bessere Version von Dry und eines der besten Rockalben der Geschichte ist. Die mit mehr roher Energie, mit mehr Message, mehr Klarheit und mehr inspirativen Faktoren. Wäre mein Album des Jahres, wenn ich es nicht sowieso schon so lange kennen und lieben würde.



LIVEALBUM DES JAHRES:
CHUNKY SHRAPNEL von KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD
King Gizzard and the Lizard Wizard - Chunky ShrapnelChunky Shrapnel ist nicht das eine Livealbum, das King Gizzard mal eben so veröffentlichen, es ist quasi ein Best Of aus insgesamt sechs anderen Liveplatten, die von ihnen in diesem Jahr erschienen sind plus einigem Zusatzmaterial. Statt also ein Konzert von ihnen aufzunehmen und zur offiziellen Showkonserve zu erklären, haben die Australier mehr oder weniger ihre ganze Tour mitgeschnitten und nur das beste Material auf diese LP gepackt. Was zusätzlich noch genial ist, weil Chunky Shrapnel trotzdem so klingt, als wäre es an einem Abend durchgängig aufgenommen wurden. Vielleicht keine Empfehlung für Freund*innen von rohem Sound und ungefilterter Performance, aber hey, für die gibt es ja noch sechs weitere Platten, die genau das machen. So was nennt man guten Service.
 


BESTER SOUNDTRACK:
VESPERTINE von THIS WILL DESTOY YOU
This Will Destroy You - VespertineVespertine ist kein Soundtrack für einen Film, ein Spiel oder eine Ausstellung, sondern für ein Gebäude, was auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen weird ist, in seiner Ausführung aber total viel Sinn ergibt. In sieben Songs bearbeiten This Will Destroy You hier die architektonische Ästhetik von sieben Bereichen des kalifornischen Restaurants gleichen Namens, wobei ein Ambient-Album entsteht, das dieser stilistischen Zuschreibung ganz besonders gerecht wird. In dem Sinne, dass tatsächlich die Atmosphäre eines Ortes eingefangen wird und etwas visuelles einmal komplett auditiv umgesetzt wird. Und allein das fasziniert mich an dieser LP total, ganz abgesehen davon, dass sie auch musikalisch super ist.
 
 
 
KONZEPTALBUM DES JAHRES:
MICROPHONES IN 2020 von THE MICROPHONES
The Microphones - Microphones in 2020 Mit seinen beiden Konzeptalben über den Verlust geliebter Menschen, Trauer und Verarbeitung hat Phil Elverum schon in den letzten Jahren einige echt beeindruckende Platten veröffentlicht, mit Microphones in 2020 tut er es ein weiteres Mal. Die Pfade der Verzweiflung verlässt er diesmal, bringt symbolisch sein altes Neunziger-Projekt the Microphones zurück und erzählt auf einem vierzigminütigen Meisterwerk dessen Geschichte. Wie eine gute Dokumentation beleuchtet das Album dabei die minutiösen Details seiner damaligen Arbeit, blickt aber auch tief in das Innenleben des Künstlers und funktioniert teilweise wie ein Audiokommentar seiner alten Tapes und Songs. Und das beste: Man muss kein Superfan sein, um ihn dafür zu feiern.


SCHLIMMSTER SONG DES JAHRES:
ABOUT A GIRL VON PUDDLE OF MUDD
...just see for yourself

 

 
 
SCHLIMMSTES ALBUM DES JAHRES:
HELL von DIE äRZTE
Die Ärzte - HellEs gab dieses Jahr einige schlimme Sachen auf Albumformat und ich habe die grauenvollen Platten, die von Apache207 und Giant Rooks kamen, keineswegs vergessen. Doch ist Hell nicht nur ein Album, das mich ob seiner schieren Dämlichkeit nach wie vor sprachlos macht, sondern dass in der Zeit seit seinem Release sogar noch schlimmer geworden ist. Absolut nichts hieran ist in irgendeiner Form witzig, die Songs handeln praktisch von überhaupt nichts, musikalisch ist ebenfalls wenig los und im großen und ganzen wirken die Ärzte hier zum ersten Mal so, als hätten sie den Kontakt zu sich selbst und der Welt verloren. Wo manche dachten, dass diese Band unfehlbar ist, sieht man hier, wie tief sie wahrhaftig in die scheiße greifen können. 


DEBÜT DES JAHRES:
MODUS VIVENDI von 070 SHAKE
070 Shake - Modus VivendiEs war im Januar diesen Jahres recht erstaunlich, mal wieder ein kommerzielles Debütalbum einer jungen Künstlerin zu erleben, von der es vorher nicht schon zig Mixtapes auf Soundcloud oder Bandcamp gab und bei der so ein Erstling tatsächlich ein frischer erster Eindruck ist. Das prominente Backing von Kanye West und einige echt starke Singles in der Promophase machten Modus Vivendi zusätzlich zu einem echten Aha-Moment. Und dass sich die ganze Spannung dann auch bestätigte und die besagte Platte echt der Hammer war, war schlussendlich die ultimative Bestätigung. ebenso wie der Faktor, dass dieses Konzept an so vielen Stellen trotzdem noch wachsen kann. Eine Sache, die mir mit Debüts nicht allzu oft passiert.


NEWCOMERIN DES JAHRES:
ARMANI CAESAR

Talentiere Freund*innen haben die Jungs von Griselda in den letzten Jahren viele gesammelt, trotzdem war Armani Caesar eine der wenigen, die von ihnen auch offiziell gesignt wurde, wobei ich eine Frauenquote nicht unbedingt als einzige Motivation vermute. Viel eher ist die junge New Yorkerin eine Künstlerin, die dem aufgestachelten Sound des Labels perfekt entspricht, teilweise echt gefährlich klingt und ihre renommierten Kollegen dann und wenn gerne mal an die Wand performt. Ihr Style funktioniert dabei gleichermaßen gut auf den finsteren Gangsterrap-Brettern der Jungs wie auf ihren eigenen, etwas zugänglicheren Songs. Dabei ist sie zwar durchaus auch noch etwas rough unterwegs, aber das ist okay, solange die Energie stimmt. Der Feinschliff kommt dann in näherer Zukunft.


BESTE GITARRENPlatte:
OMENS von ELDER
Elder - OmensIst in diesem Fall nicht gleichbedeutend mit bester Rockplatte, sondern eher als die LP gemeint, auf der das Instrument Gitarre dieses Jahr am besten zur Geltung kam. Und sowohl performativ als auch in der Produktion muss ich dabei einfach an die neue von Elder denken. Herrliche Riffs, kolossale Breaks, elaborierte Solo-Nudeleien, genau die richtigen Effekte und ein Soundkonzept, das diese kompositorischen Entscheidungen in jedem Moment strahlen lässt. Omens ist unglaublich dynamisch, kreativ und und fett, und das im Wesentlichen durch den Einsatz dieses einen Instruments, das hier einen ganz besonders prominenten Platz eingeräumt bekommt. Definitiv eine Liebeserklärung an das kreative Gitarrenspiel an sich und an den gekonnten Einsatz von selbigem.


PRODUZENT DES JAHRES:
A.G. COOK
2020 war nicht nur das Jahr, in dem A.G. Cook seine ersten beiden offiziellen Alben veröffentlichte und diverse andere produzierte, sondern auch das Jahr, in dem der von ihm geprägte Sound so richtig laufen lernte. Der große Bohei um das Thema Hyperpop in dieser Saison wurde kaum besprochen, ohne auf seine prägende Vorarbeit zu verweisen und nicht selten war auch er wieder direkt an den wichtigen Projekten der Bewegung beteiligt. How I'm Feeling Now von Charli XCX produzierte er komplett und auch am Remix-Album von 100 Gecs war er wesentlich beteiligt. Durch seine Quasi-Kollaboration mit Jónsi für dessen LP Shiver zeigte sich außerdem, dass Cook keineswegs vor neuen Herausforderungen zurückschreckt, die auch mal weniger seinem Naturell entsprechen. Mit der Konsequenz, dass der Brite Stand 2020 jemand ist, der auch außerhalb seiner Nische immer mehr an Boden gewinnt und längst auch andere Künstler*innen anlockt. Wohin es von hier geht, ist also wahnsinnig interessant.


BESTE PRODUKTION EINES ALBUMS:
VISIONS OF BODIES BEING BURNED von CLIPPING
PRODUKTION von STEVE KAPLAN & RASHAD BECKER
clipping. - Visions of Bodies Being BurnedVisions of Bodies Being Burned ist kein Album, das durch seine gute Produktion einfach besser wird, in meinen Augen ist es eines, das durch selbige steht und fällt. Erst durch die detaillierte, behutsame Soundarbeit von Steve Kaplan und Rashad Becker kommen die eingespielten Field Recordings, subtilen Beats, instrumentalen Schattenspiele und klanglichen Jumpscares richtig zur Geltung, die diese LP zu so einem Erlebnis machen. Der lauernde Gruselfaktor, der hier überall zu finden ist, existiert zu mindestens achtzig Prozent durch diese Leistung und ist der Faktor, der aus einem schlauen Horrorcore-Album ein fast cineastisches Schauerkabinett macht, bei dem man sich schon mal nach allen Seiten umdreht, weil nicht weiß, ob dieses komische Geräusch jetzt von der Musik kam oder nicht.


BESTE TEXTE AUF EINEM ALBUM:
MICROPHONES IN 2020 von THE MICROPHONES
The Microphones - Microphones in 2020





äh ja, siehe oben








EP DES JAHRES:
MITTENDRIN von LUCIO101

Mit 10 Songs in 17 Minuten ist dieses kurze Tape des Berliner Rappers schon ziemlich happig und hat inhaltlich schon fast die Eier eines richtigen Debüts. Was mich vor allem daran begeistert ist, wie pragmatisch und ohne Prahlerei Lucio hier übers Drogengeschäft rappt und wie viel Persönlichkeit und echte Attitüde diese Platte dadurch mitbekommt. Ich bin überzeugt, dass sein lyrischer Ansatz einer ist, den man selbst im Gangsterrap (zumindest im deutschsprachigen) eher selten hört und schreibe diesem Jungen deshalb viel Potenzial zu. Vor allem möchte ich ihn das nächste mal aber auf Großformat flexen hören, denn für solche Kleinigkeiten ist er lange zu talentiert.


BESTER POSSE CUT:
SANIFAIR MILLIONäR von BLOND
Drangsal, Leoniden, Miriam Davoudvandi, Testo, Grim104, Fibel, Shelter Boy, The Toten Crackhuren Im Kofferraum, Von Wegen Lisbeth, Mia Morgan, Kummer, Swutscher, Children, Fatoni, Steiner & Madlaina, Rikas, Lance Butters. Acht Minuten Einundzwanzig Sekunden. Ein Song über Autobahnraststätten. Any questions?



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