Samstag, 19. Dezember 2020

The River Flows in You

青葉市子 [Ichiko Aoba] - アダンの風 (Windswept Adan)  


[ behutsam | pittoresk | ätherisch | winterlich ]
 
 Es gibt so gut wie jedes Jahr Mitte Dezember nochmal dieses eine Album, das für die Musiknerds dieser Welt ein bisschen alle Konzepte umschmeißt. Das in die Saison, die eigentlich schon so halb beendet ist, nochmal einen fetten Brocken an qualitativ hochwertiger klanglicher Arbeit faustet und das viele kurz vor Endspurt nochmal dazu bewegt, die Ende November festgesteckten Topsters-Listen einmal mehr umzusortieren. Und ich spreche definitiv aus Erfahrung, wenn ich sage, dass diese Platten in den meisten Fällen nochmal richtig Chaos stiften können, egal wie gut sie sind. Wenige aber in dem Ausmaß wie vor zwei Wochen diese neue LP von Ichiko Aoba, die im Zuge ihrer späten Veröffentlichung am zweiten Dezember viele meiner Mitstreiter*innen nochmal richtig kalt erwischte. Mit kurzer Schockverzögerung hagelte es letzte Woche ganz plötzlich Rekordbewertungen für das Album der japanischen Songwriterin und auf Rateyourmusic, der Heimstatt für exotische Wildcards wie Aoba, erreichte Adan No Kaze kurz vor Ladenschluss noch das User-Ranking als bestes Album von 2020 (das sie inzwischen aber wieder an die Microphones abgegeben hat). Dabei kommt der plötzliche Hype um die Künstlerin für mich tatsächlich äußerst überraschend, zumindest in diesen Ausmaßen. Denn bisher war Ichiko Aoba eher das Steckenpferd einer ganz besonderen Gruppierung von Nerds, die lieber unter sich blieben. Die neun Alben, die die Japanerin seit 2010 veröffentlicht hat, sind besonders bei der jüngeren Crowd auf RYM und Last.fm äußerst beliebt und schon seit ein paar Jahren wird sie in bestimmten Kreisen dieser Plattformen mächtig hofiert. Wie viele Lieblingsacts der Bubble war aber auch sie eher eine Künstlerin, die diese User untereinander streuten und von der wenig nach außen drang. Dass es jetzt ausgerechnet diese LP ist, die den Sprung schafft, ist also ziemlich random. Allerdings auch nicht wirklich unlogisch, wenn man sich vor Augen führt, wie toll Aoba hier ein weiteres Mal musiziert. Adan No Kaze markiert dabei einen vorsichtigen Übergang von sanftem Indiefolk hin zu ätherischem, fast formlosen New Age-Ambient, der genauso schwebend und pastellig klingt wie das pittoreske Covermotiv aussieht. Die 14 Songs hier sind schüchterne, getragene und berührungsarme Klangflächen, die auf den ersten Blick nicht viel hergeben, doch in denen man im Laufe dieser LP immer mehr aufgeht und die gerade durch die Elemente bewegend sind, die sie auslassen. Die Instrumente sind dabei mal synthetisch, mal akustisch und mal archaisch, legen sich aber immer ziemlich in den Hintergrund, sodass Aobas Gesang die ästhetische Hauptarbeit verrichtet. Immer wieder gibt es dazwischen eine präsentere Melodie, ein paar exotische Bezüge oder stimmige Field Recordings von fließendem Wasser oder Vogelzwitschern, die die leichte Atmosphärik angenehm unterstützen. Über seine gesamten 50 Minuten verdichtet das Album all diese Faktoren dabei ein bisschen und wird von einem kleinen klanglichen Rinnsal im Opener Prologue immer mehr zu einem größeren, umfassenderen musikalischen Gebilde, welches im abschließenden アダンの島の誕生祭 fast schon orchestral ausklingt. Und ich muss zugeben, auch ich finde vieles daran ziemlich faszinierend. Gerade die Art und Weise, wie das Album über seine Spieldauer wächst und was für Klänge Ichiko Aoba hier findet, spricht eindeutig dafür. Ich bin mir auch absolut sicher, dass sich im letzten Drittel der LP einige der besten Songs des gesamten Jahres befinden. So komplett vom Hocker wie der Rest des Internets bin ich allerdings doch nicht ganz. Adan No Kaze ist durch die Bank ein gutes Stück Musik, das ich sehr empfehlen kann, meistens aber nicht so, dass es mich total aufregt. Gerade die sehr ambiente erste Hälfte der Platte plätschert eher ein bisschen vor sich hin und hat wenig was mich stört, aber auch wenige deutliche Highlights. Vieles hier erinnert mich an die frühen Alben von Sigur Rós, nur eben ohne die erdrutschigen Drones und massiven Soundwände, die für die entsprechende Dynamik sorgen. Würde Aoba auf dem ganzen Ding so klingen wie in den genialen letzten drei Stücken, wäre mir das hier wahrscheinlich safe mindestens zehn Punkte wert. Doch es bleibt eben viel davor, das nur so okay ist. Wozu mich Adan No Kaze allerdings definitiv motiviert hat ist, auch mal die früheren Sachen dieser Künstlerin auszuprobieren, in denen sie anscheinend mehr in diese folkig-romantische Richtung geht. Und natürlich bin ich neugierig, wie es mit dieser Frau in Zukunft weitergeht. Für 2020 kann ich mich dem Hype aber zumindest noch nicht ganz anschließen, auch wenn ich sehr gerne würde. Denn das so ein Album von einer solchen Künstlerin diese Aufmerksamkeit bekommt, freut mich ganz einfach objektiv.


Hat was von
Sigur Rós
Takk...

Tiny Isles
the Long Seasoned Sleep

Persönliche Höhepunkte
Prologue | Pilgrimage | Parfum d'Etoiles | Chi No Kaze /  血の風 | Hagupit | Dawn in the Adan | Ohayashi | アダンの島の誕生祭

Nicht mein Fall
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