Sonntag, 13. Dezember 2020

the 2020 Expierience : Level 3 : Die Trostpreise (Honorable Mentions)

 


Gute Platten gibt es jedes Jahr viele und jedes Jahr ist es für mich eine Herausforderung, die letztliche Liste mit meinen Lieblingsalben auf knackige 30 Einträge zu reduzieren. 2020 war es aber mal wieder besonders schwer. Von den über 250 Besprechungen, die ich in den letzten 12 Monaten geschrieben habe, sind ganze 83 als Favoriten markiert, das heißt eine ganze Menge. Während der letzten Wochen habe ich demzufolge auch ernsthaft überlegt, die Albumliste auf vierzig, fünfzig oder eine beliebige Zahl aufzustocken, mit der ich mehr Empfehlungen hätte aussprechen können. Letztlich habe ich mit mit den bewährten 30 aber doch wieder am wohlsten gefühlt. Was nun jedoch auch zur Folge hat, dass diese Liste ein bisschen gewachsen ist. Fast 20 Platten, die 2020 erschienen sind, möchte ich euch hier nochmal gesondert und ohne irgendeine bestimmte Reihenfolge ans Herz legen, weil sie trotz des Snubs auch mir weiterhin am Herz liegen. Vielleicht ist ja ein persönlicher Darling von euch dabei.


KHRUANGBIN
MORDECHAI
Khruangbin - MordechaiDiese Platte steht hier vor allem deshalb als erstes, weil es mir bei ihr besonders weh tat, sie aus meiner Liste zu verbannen. Mehr als das eigentliche musikalische Erlebnis von Mordechai habe ich dabei in dieser Saison den emotionalen Wert dieses Album geschätzt, das häufig in den wenigen Momenten lief, in denen es möglich war, mit guten Menschen in einem Raum zu sein. Was auch seiner größten künstlerischen Qualität gerecht wird, eine einzigartige Atmosphäre zu erzeugen und genau die richtige Art von Klangtapete zu sein. Dass es letztlich hier steht und nicht in den besten 30, hat aber irgendwie den gleichen Grund. Es ist wahnsinnig schön zum nebenbei dudeln, viel mehr aber auch nicht. Zumindest, wenn man es auf seine rein musikalischen Attribute reduziert. Grüße an Alle 💓


HAVOK
V
Havok - VDie Ausfallquote im Bereich Thrash- und Deathmetal war bei mir 2020 besonders groß und bei vielen Platten lag das auch daran, dass sie mich nach der anfänglichen Euphorie schnell verloren. Die neue Havok möchte ich an dieser Stelle aber trotzdem noch einmal explizit hervorheben. Zum einen, weil ich sie immer noch genauso cool und knackig finde wie im Frühjahr, zum anderen weil ich sie einfach sehr empfehlen kann. Das hier ist ganz im üblichen Havok-Stil Revival-Thrash der edelsten Sorte mit jeder Menge Bums, Kreativität und akribischer Sound-Archäologie dahinter. Und wenn man Metal irgendwie gut findet, ist es in meinen Augen auch sehr einfach, dieses Album gut zu finden. 
 


A$AP FERG
FLOOR SEATS II
A$AP Ferg - Floor Seats IIDas schönste an Floor Seats II ist für mich persönlich, A$ap Ferg hier endlich wieder so richtig im Modus zu hören. Es ist zwar nur eine halbe Stunde Musik und eher ziemlich lose-mixtapig angeordnet, doch die Performance des Rappers lässt keine zwei Interpretationen zu. War seinen letzten Tapes noch die anstrengende Rehabilitierung anzuhören, die er nach seiner verkackten zweiten LP dringend brauchte, ist das hier das Album, in dem er mit voller Power zurück ist. Jeder Track hier ist ein absoluter Kracher, Fergs Flow ist fuchsteufelswild, die Ad-Libs sind die besten des ganzen Jahres und ganz nebenbei tauchen hier auch noch Leute wie Marilyn Manson und P Diddy auf, die man nie im Leben auf so einer Platte vermutet hätte. Es ist absolut crazy und ich bin hier für jede Sekunde davon.


HHY & THE KAMPALA UNIT
LITHIUM BLAST
HHY & The Kampala Unit - Lithium Blast Im Sinne eines kulturellen Austauschs verschiedener Musiker*innen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt ist das hier definitiv ein sehr erfolgreiches Projekt. Die Kombination aus jammigem Jazz, archaischer Perkussion, bratzigem elektronischem Noise und dem Sound der hippen Techno-Crowd Kampalas bastelt dieses seltsame Konglomerat auf Lithium Blast ein ebenso urtümliches wie postmodernes Experimental-Monster, das mich nachhaltig fasziniert hat. Klingt ein bisschen wie Arca und die frühen Death Grips ohne MC Ride mit ein bisschen snobistischem Jazz-Hintergrund, in jedem Fall aber düster, unberechenbar und andersweltlich. Sicher kein Album, das einfach zu genießen ist, aber wahrscheinlich auch keines, das das unbedingt will.


BILL CALLAHAN
GOLD RECORD
Bill Callahan - Gold Record
Als eingewöhnter Skeptiker von Bill Callahans Musik wäre es mir eine Freude gewesen, eines seiner Alben in den Top 30 zu haben, doch alleine die Tatsache, dass ich eines so sehr mag wie dieses hier erfreut mich irgendwie. Sein verkorkster, erzählerischer Songwriter-Folk trifft einmal alle paar Jubeljahre genau die richtigen Töne und dass es hier auf Mal einer ganzen LP der Fall ist, zeigt, dass er zu großen musikalischen Momenten fähig ist und jede Menge Skills hat. Und so sehr ich hier auch weiterhin schmunzeln muss und mir ob mancher Zeile an den Kopf greife, gelingt es mir hier doch, ihn unterm Strich sehr ernst zu nehmen und ihm eine große kompositorische Reife abzukaufen. Was ich sehr genieße, denn wer weiß, wann es das nächste Mal der Fall sein wird.


MARILYN MANSON
WE ARE CHAOS
Marilyn Manson - We Are ChaosNoch ein Künstler, dem gegenüber ich lange skeptisch war und der mich 2020 angenehm überrascht hat. Auf We Are Chaos findet Marilyn Manson, der große Schockrocker der Neunziger und ewige Horrorclown des Rockzirkus, doch tatsächlich ein musikalisches Format, das nach dem Beginn eines würdevollen Alterswerks anmutet. Noch immer verwurzelt im grotesken Industrial-Rock seiner Hochzeit wendet diese neue LP den Blick weiter in Richtung Classic Rock und Goth und geht damit auf eine Ästhetik zu, die weniger clownesk und angsty ist als vielmehr ernsthaft düster und kontemplativ. Was am Ende vielleicht doch der größte Schock der Platte ist, denn von allen Größen seiner Ära hätte ich nie gedacht, dass ausgerechnet seine Musik mal in Würde altern könnte.


DARK MORPH
DARK MORPH II
Dark Morph - Dark Morph IIDass Dark Morph II nicht auf der Liste mit den besten 30 landet, hat für mich weniger damit zu tun, dass ich diese LP nicht gut genug fand, sondern damit, inwiefern sie überhaupt als ein Musikalbum in dem Sinne zu definieren ist. Jónsis und Carl Michael von Hausswolffs experimentelle Field Recordings pazifischer Ozeanlebewesen waren mir dieses Jahr ein willkommener Backdrop in allen möglichen Situationen und ich schätze die Arbeit und Produktion dieser Platte sehr hoch, doch muss ich am Ende auch einsehen, dass das hier eher eine Art Soundcollage ist, die künstlerisch einen völlig anderen Anspruch hat als Musik. Und klar, irgendwie kriegt man immer alles zurechtdefiniert, aber von meiner Seite aus muss das nicht unbedingt sein. Toll finde ich die LP so oder so.


WESTSIDE GUNN
WHO MADE THE SUNSHINE
Westside Gunn - Who Made the SunshineGriselda-Snub Nummer 1: Westside Gunns Who Made the Sunshine war diesen Herbst eines der Paradebeispiele für den besten musikalischen Lauf und die beste Saison von Griselda Records überhaupt. Roughe Beats, aufpolierter New Yorker Style, eine energische und hungrige Performance sowie einen Haufen krass prominenter Gäste, die sich die Klinke in die Hand geben. Diese LP ist ein Standardrezept, das sich schon seit einigen Jahren ziemlich bewährt hat, aber bestmöglich ausgeführt. In meinen Augen ist es sogar die beste Platte, die Westside Gunn bis heute gemacht hat. Leider aber auch eine, die sich nach den ein, zwei Monaten nicht mehr ganz so fresh anfühlt wie ursprünglich und die ich noch sehr mag, aber in der ich keine wirkliche Besonderheit mehr sehe.


CONWAY THE MACHINE
FROM KING TO A GOD
Conway the Machine - From King to a GODGriselda-Snub Nummer 2 und das Album, um das es mir wirklich ein bisschen weh tut. Denn schaut man auf die Bedeutung von From King to A God für die Karriere von Conway, ist es nicht weniger als ein Powermove. Mit seinem kommerziellen Debüt schafft es der New Yorker, tatsächlich ein großes Statement in die Welt des Hiphop zu setzen und in Sachen Prestige, Großkotzigkeit und tatsächlich auch Qualität den nächsten Schritt zu gehen. Das hier ist definitiv kein hochwertiges, aber nischiges Mixtape mehr, hiermit greift Conway nach den Sternen. Trotzdem und obwohl ich vieles daran klasse finde, steht er dabei nach wie vor eher auf den Schultern der Riesen als selbst einer zu sein und das beste, was dieser LP passiert sind die Vergleiche, die damit gemacht werden können.


KVELERTAK
SPLID
Kvelertak - SplidBereits vor sieben Jahren hatte ich diese Band an ihrem künstlerischen Abgrund vermutet, doch wie sich Kvelertak seitdem daraus freigekämpft haben und eine der kreativsten und progressivsten Hardcorepunk-Gruppen ganz Europas geworden sind, ist beachtlich. Splid ist nun mehr als alles der Triumph dieser Entwicklung als ihr bis dato verspieltestes, weitläufigstes und eingängigstes Album, das es trotzdem schafft, die räudigen Schweinerock-Wurzeln von vor zehn Jahren mitzunehmen. Mir persönlich hat in der Karriere der Norweger noch kein Album so Spaß gemacht wie dieses und dass ich ob der Kreativleistung dieser Band mal so von den Socken wäre, hätte ich nie gedacht. Ein Partyalbum, das sich Kvelertak sehr verdient haben.
 

HAYLEY WILLIAMS
PETALS FOR ARMOR
Hayley Williams - Petals for Armor Als Feuertaufe für Hayley Williams' Karriere kann man Petals for Armor durchaus bezeichnen, denn nach dem farbenfrohen Comeback, das sie vor drei Jahren mit Paramore hatte, ist das hier nun die LP, die sie als eine versierte Albumkünstlerin zementiert. Thematisch handeln viele Songs von Neuanfängen und vor allem vom Abstreifen der elenden Vergangenheit, Depressionen und Unsicherheiten. Denn als eines von vielen Alben, die sich auch diese Saison wieder mit mentaler Gesundheit beschäftigten, ist dass hier eines, das tatsächlich aus der Perspektive eines überwundenen Leidens geschrieben wurde und viel Hoffnung auf neues in sich trägt. Musikalisch habe ich die bei so einem Einstand auf jeden Fall auch.



NEAL MORSE
SOLA GRATIA
Neal Morse - Sola GratiaFür mich persönlich noch immer das Album in diesem Jahr, das mich am meisten an mir und meinem Musikgeschmack zweifeln lässt: Als jemand, der weder ausufernden Prog noch christliche Rockmusik noch Musicals je mochte bin ich ausgerechnet hin und weg von einer LP, die all diese Dinge miteinander vereint. Dass es aber funktioniert, spricht Bände über die künstlerische Vision von Neal Morse, der es schafft, das alles sehr ansprechend zu verpacken. Ein Storykonzept als innerer Monolog, eine musikalische Ausarbeitung, die Pathos und Attitüde gut ausbalanciert und ein Songwriting, weder zu sehr auf Technik noch zu sehr auf Musiktheater setzt. Ein Album als überraschendes Exempel, wie man viele Dinge richtig anpackt.


BATHS
POP MUSIC / FALSE B-SIDES II
Baths - Pop Music / False B-Sides IIWill Wiesenfeld ist einer dieser Künstler, bei dem selbst die Outtakes und B-Seiten mitunter so vollumfänglich und clever gelten wie bei anderen Leuten nicht mal die offiziellen Alben und Pop Music / False B-Sides II ein weiteres dieser Beispiele. Was im Vergleich zu dessen erster Ausgabe hier aber zusätzlich interessant ist, ist die Anatomie seines neuen, Pop-orientierten Soundkonzepts, das ich auf Romaplasm von 2017 so mochte. Auf diesen Songs erkennt man oft die Brückenschläge zwischen dieser Ästhetik und der eher frickelig-elektronischen, die seine Alben davor hatten, wird sich also ein bisschen des Prozesses bewusst, der in der Zwischenzeit wohl stattgefunden hat. Für Menschen, die solche Spezifika nicht interessieren trotzdem noch ein großartiges Indietronica-Album.


CHRIS STAPLETON
STARTING OVER
Chris Stapleton - Starting OverFür mich war 2020 ein Jahr, in dem Countrymusik plötzlich sehr viel stattfand und in ein, zwei Fällen wird sich das wohl auch in den Top 30 niederschlagen. Und obwohl Chris Stapletons neues Album unter diesen letztendlich nicht ist, wollte ich an dieser Stelle trotzdem nochmal darauf hinweisen, wie stark ich diese LP finde. 53 Minuten kraftmeiernder Nashville-Rock und -Blues von einem der fähigsten Charaktere, die in der Szene momentan unterwegs sind und eine Platte, die mit genausoviel Chart-Gloria daherkommt wie mit robustem, pastoralem Folklore-Spirit. Als Country-positiver Musikfan kann man hier wenig falsch machen und selbst für skeptische Geister könnte das hier Musik sein, die unter Umständen funktioniert. Ausprobieren lohnt sich auf jeden Fall.


NOTHING
THE GREAT DISMAL
Nothing - The Great DismalEs ist keine große Sache mit diesem Album und weder ist the Great Dismal visionär noch ist es anders. Doch ich schätze dieses Album sehr dafür, dass es mich dieses Jahr an Shoegaze glauben ließ. Breitbeinig stellt es sich über die Kluft zwischen Indie-Gewissen und Rockstar-Geste, holt sich die fettesten Boxen und die teuersten Effektpedale und zieht los, um der Welt zu zeigen, wie der sakrale Lärm bei ihnen immer noch zieht. Es ist dabei nicht verkehrt, dass ihre Ansatzpunkte die großen Klassiker sind und ihr gesamter Ansatz an dieses Projekt ein bisschen nostalgisch, denn sie machen es wenigstens richtig. Und zeigen darüber hinaus mal wieder, dass sie eine der Bands sind, mit denen man in der Szene echt rechnen kann.



WILL BUTLER
GENERATIONS
Will Butler - GenerationsIch würde ja eigentlich sagen, dass Will Butler sowas wie die Wildcard von Arcade Fire ist, das würde allerdings nicht den Punkt treffen. Denn das, was ich an einem Album wie Generations so schön finde ist, wie herrlich ungekünstelt und, nun ja, normal es ist. Das hier ist eine LP, die nicht von denen gemocht wird, die avantgardistische Neoklassik-Soundtracks und Platten mit Movements statt Hits brauchen, sondern von denen, die einen guten Popsong mögen, zu dem man auch ruhig mal tanzen kann. Die Bezüge hier sind die von Arcade Fire zu ihrer besten Zeit, das Songwriting ist knallig und rockröhrig und der Typ dahinter muss keine pretenziösen Texte wälzen, damit ich ihm zuhöre. Eine LP, die ich von seiner Band oder irgendeinem ihrer Mitglieder lange nicht gehört habe.


SUFJAN STEVENS
THE ASCENSION
Sufjan Stevens - The AscensionThe Ascension gut zu finden war 2020 ein kleines bisschen ein Hot Take, verzichtete die Platte doch zu großen Teilen auf die Parameter, die Sufjan Stevens sonst so großartig machen. Trotzdem muss ich ernsthaft überlegen, wann ich das letzte Mal eines seiner Alben so cool fand. Statt mit intimen Lyrics, zurückhaltendem Indiefolk und niedlicher Tragik beeindruckt der Songwriter hier mit sinfonischem Electronica, vielfältigen Klangfarben und einer Gesamtästhetik, die eher an Thom Yorke oder Baths erinnert. Und streng genommen ist das für ihn noch nicht mal Neuland. Ich für meinen Teil finde, dass Sufjan dieser LP so souverän klingt wie lange nicht mehr und ein Album vorlegt, dass mich wirklich in seiner Gesamtheit überzeugt. Wird vielleicht so schnell nicht wieder passieren.


HAIM
WOMEN IN MUSIC Pt. III
Haim - Women in Music Pt. IIIGemessen daran, wie sehr ich Haim verachtete, als sie 2013 auf der musikalischen Bildfläche erschienen, ist es erstaunlich, sie nun hier stehen zu haben. In meinen Augen ist die Überzeugungskraft von Women in Music Pt. III aber nur konsequent. Über die letzten drei bis fünf Jahre ist das Trio kontinuierlich besser geworden und hat mich mit jedem Mal etwas mehr für sich gewonnen. LP Nummer war 2020 der endgültige Schitt von der polierten Indiepop-Girlgroup zum Konglomerat dreier gereifter Komponistinnen, die unglaublich viele spannende Ideen und Einflüsse zusammenwerfen und ein durchweg faszinierendes Ergebnis erhalten. Und das ist irgendwie Pop, aber unter dem Eindruck so vieler anderer Entwicklungen. Weshalb es sich am Ende nicht nur gut, sondern tatsächlich groß anfühlt.



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