Freitag, 11. Dezember 2020

Jenseits von Nashville

Chris Stapleton - Starting Over 


[ pastoral | dadrockig | amerikanisch ]

Dass Country im Jahr 2020 wieder eine Ausprägung popmusikalischer Kreativität ist, die man durchaus als salonfähig bezeichnen kann, hat diverse Gründe. Und speziell eine Person zu benennen, die exklusiv dafür verantwortlich sein soll, wäre aus verschiedenen Perspektiven müßig. Wenn man mich fragt, dann ist Chris Stapleton aber definitiv einer derjenigen, die in diesem Zusammenhang unbedingt genannt werden sollten. Denn obwohl er die Parameter der Szene nicht grundlegend verändert hat oder es von der Sache her zugänglicher machte, ist er inzwischen relativ etabliert einer der Künstler*innen, die der Instutution des Nashville Sound in der jüngeren Vergangenheit wieder etwas Zucker gegeben haben. Bereits 2015 auf seinem Debüt Traveller, zu einer Zeit als Country noch im tiefsten Bad Taste-Territorium versunken war, galt er als jemand, den man als Musiksnob zumindest okay finden durfte, sogar in Europa. Und mit wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit, sowohl für seine Stilrichtung als auch für ihn selbst, ist Stapleton in den letzten Jahren so etwas wie ein Superstar der Szene geworden, der vor allem in seiner Heimat eine echt große Nummer ist. Dass der Export in die alte Welt etwas zögerlicher läuft, ist natürlich kein großes Wunder, Country ist bekanntermaßen nach wie vor ein sehr exklusiv amerikanisches Ding. Ab und zu mal hinzuhören und gewisse Impulse aufzunehmen, hat sich für mich aber gerade in den letzten Jahren öfters gelohnt und tut es auch im Fall von Starting Over wieder. Denn das hier ist eines dieser lehrbuchhaften Statements amerikanischer Rockmusik, die man entweder liebt oder hasst. Und in meinem Fall meine ich damit definitiv ersteres. Ich muss zugeben, dass ein Teil meiner Faszination für diese LP das exotische Klischee ist, dass Stapleton vier verströmt und das so schön zu begaffen ist. Wenn es allein darum ginge, könnte ich aber auch ganz viele andere Sachen hören. Was hier aber entscheidend dazukommt ist eine Sammlung von Tracks, die allesamt mit großer Sorgfalt geschrieben, aufgenommen und produziert wurden und für mich das repräsentieren, was Country 2020 im Optimalfall sein kann. Generell ist die Platte sehr robust und bluesig-rockig, also eher Greg Allman als Willie Nelson, und auf eine sinnliche, gegärbte Art maskulin. Als Songwriter hat Stapleton sowohl Tiefe als auch Kante, die ihn zu einem starken Charakter in seinen Songs macht und in jedes dieser 14 Stücke einfließt. Klar ist das ganze dann vielleicht auch ein bisschen retro, aber nicht mehr als es die Kings of Leon irgendwann mal waren und auch nie um den Willen des nostalgischen Sounds an sich. Nur wäre es Ende der Achtziger sicherlich ein Mainstream-Erfolg geworden, wo es heutzutage höchstens ein nischiger Achtungserfolg wird. Auf jeden Fall ist es aber gut genug, dass es für mich den Bereich des Country-Albums verlässt, das einzig aufgrund des gut inszenierten Stereotyps cool ist (was mir ja tatsächlich manchmal schon reicht), sondern auch aufgrund seiner eigentlichen Wesensart. Einfach als musikalisches Ventil eines Songwriters, der ziemlich gute Stücke schreiben kann, ganz unabhängig von stilistischer Zugehörigkeit. Wenn überhaupt, dann habe ich den Vorteil, dass ich die Hemmschwelle zu seiner Stilistik nicht mehr überschreiten muss, um dieses Talent ohne Einschränkungen wahrzunehmen. Doch sehe ich Starting Over durchaus als eine LP, die auch Country-skeptischen Hörer*innen über diese Schwelle helfen könnte. Schließlich ist das irgendwie der Faktor, der ihn berühmt gemacht hat.


Hat was von
Eddie Vedder
Into the Wild

Eric Church
Chief

Persönliche Höhepunkte
Starting Over | Devil Always Make Me Think Twice | Cold | Arkansas | Hillbilly Blood | Maggie's Song | Whiskey Sunrise | Watch You Burn | Nashville, TN

Nicht mein Fall
-

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