Mittwoch, 2. Dezember 2020

Deep Wave Dark Space


[ verhackstückt | romantisch | atmosphärisch ]

Ich finde es mitunter eine sehr bedauernswerte Entwicklung, wie sehr der Fokus der aktuellen Popkultur sich von den untergrundigen Keimzellen abgewendet hat, die sich im Zuge der Vaporwave-Bewegung vor etwa zehn Jahren auf Plattformen wie Bandcamp und Soundcloud entwickelt haben. Und häufig wünsche ich mir, dass zumindest ich manchmal einen besseren Blick darauf hätte. Denn wann immer ich zumindest Mal meine Zehen in eines der prominenteren Projekte tauche, das gerade an die Oberfläche gespült wird, bin ich aufs neue verwundert, was in dieser sagenumwobenen Halbwelt alles abgeht. Ob der schieren Größe und Unübersichtlichkeit dieser Szene habe ich die tiefergehende Beschäftigung damit inzwischen aufgegeben, da auf jedes nennenswerte Projekt wie Future Girlfriend, Morwan oder Desert Squid ein paar tausend kommen, die völliger Müll sind, doch bin ich grundsätzlich immer noch interessiert. Und mit Astrophysics habe ich allem Anschein nach wieder mal ein kleines Schmuckstück gefunden, das noch dazu ein sehr ansprechendes Amalgam an Stilen zusammenwirft. Wie immer gibt es dabei jede Menge Material und nur wenig konkete Informationen, die wichtige Anhaltspunkte geben, doch will ich es mal versuchen. Was ich inzwischen mit ziemlicher Sicherheit weiß ist, dass das zu besprechende Projekt aus Rio de Janeiro stammt, seit etwa fünf Jahren Musik veröffentlicht und mit Apathy bei seinem sage und schreibe zehnten Album-Schrägstrich-Mixtape angekommen ist. Stand Dezember 2020 ist davon sogar schon wieder ein Nachfolger erschienen, mit gerade Mal zwei Wochen Abstand zu diesem hier. Die größte Bekanntheit in der nischigen Bandcamp-Fanbase erreichte Astrophysics dabei vor einigen Jahren dadurch, dass es Remixes von atmosphärischen Black Metal-Songs mit vaporwavigen Synthpop-Keybords veröffentlichte, was auf jeden Fall schon mal ziemlich genial ist. Ihr stilistisches Œuvre reicht darüber aber inzwischen schon lange weit hinaus und im massiven Katalog der jüngeren Vergangenheit werden auf Plunderphonics-Basis im fliegenden Wechsel Emorock, Goth, K-Pop, Future Funk, City Pop und vieles mehr verhackstückt. Einiges davon als reines Meme, anderes als ernstzunehmendes Album. Obwohl Apathy in dieser Hinsicht definitiv zu letzterem gehört, ist es vom Gefühl her eher ein vielschichtiger Youtube-Mix oder Sammelsorium an Mashups. Die Hauptzutaten diesmal sind vor allem Achtziger-Synthiepop und -Goth, Postpunk sowie Glitchwave und mitunter Breakbeat. Immerhin 51 Minuten werden hier damit gefüllt und schaffen insgesamt ein sehr cooles, kreatives und eigenwilliges Projekt. Zugegeben, nicht immer ist das dabei entstehende Produkt eine wirklich große Nummer und nicht alles hier ist wirklich stimmig. Doch ist Apathy dabei niemals langweilig und wenn es einmal klickt, dann wenigstens richtig. Stücke wie Soft Goth und Fishnets sind großartig darin, die romantische Energie des postpunkigen Ausgangsmaterials elektronisch zu subversieren, Shine ist mit seiner melancholischen Gechilltheit fast schon ambient und mit dem euphorisch-ballernden Oneironaut finde ich hier auf den letzten Metern des Jahres noch einen echten Lieblingssong. Und was den Vibe angeht, spricht schon das großartige Artwork in vielerlei Hinsicht Bände: Ein bisschen Soviet Kitsch, ein bisschen Otaku-Anbiederung, ein bisschen Retrofuturismus, ein bisschen Hot Topic, aber auf jeden Fall viel romantische Ausschlachtung. Und genau für diese Ästhetik bin ich irgendwie hier. Denn in den besten Momenten ist das hier mehr als nur gut zusammengesetztes, postoronisches Referenz- und Remix-Trara, sondern ernsthaft atmosphärisch und emotional. Das heißt selbst wenn Apathy alles andere als ein Meisterwerk ist, lohnt es sich zumindest, hier den Namen Astrophysics für mich entdeckt zu haben. Denn der hat ganz sicher Potenzial.



Hat was von
Resonance
Odyssey

Lebanon Hanover
Let Them Be Alien

Persönliche Höhepunkte
Oneironaut | Soft Goth | Fishnets | Traumacore | Manifesto | Shine | Losing Track of Time | Apathy

Nicht mein Fall
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