Donnerstag, 25. November 2021

Überlebt mit leichten Verletzungen

IDLES
Crawler
Partisan Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ düster | klobig | aufgemischt ]
 
Dass Crawler als vierter Longplayer der Gruppe Idles gerade mal etwas mehr als ein Jahr nach seinem Vorgänger Ultra Mono vom September 2020 erscheint, ist wahrscheinlich ganz einfach der Tatsache geschuldet, dass wir uns nach wie vor in einer weltweiten Pandemie befinden, die inzwischen bereits die zweite Generation tourloser Isolations-Alben inspiriert, welche sich ohne nennenswerte Live-Termine und sonstige Ablenkung nun mal sehr viel schneller schreiben. Wenn man mich jedoch fragt, wie das Release von Crawler in diesem Moment wirkt, so erscheint es mir eher wie die musikalische Entsprechung eines Druckverbandes, den die Briten möglichst schnell über die nach wie vor klaffende Wunde legen wollen, die sie sich durch Ultra Mono im vergangenen Herbst selbst zugefügt haben. Einem Album, das ihrer Karriere rückblickend gesehen mehr als ein bisschen Schaden zugefügt hat und zwar kein kompletter musikalischer Totalausfall war, allerdings durchaus eher eine Platte, auf der Idles ungewohnt steif auf den Stilmitteln ihrer ersten beiden Longplayer verharrten, sich einer kreativen Weiterentwicklung entzogen und nicht selten sogar ein bisschen regressiv klangen. Mit der Folge, dass selbst treue Fans diese über die letzten fünf Jahre sehr lieb gewonnene Band plötzlich wie eine heiße Kartoffel fallen ließen und nochmal sehr kritisch reflektierten, in was sie sich da eigentlich so Hals über Kopf verguckt hatten. Ich persönlich fand es dabei vor allem krass, wie schnell sich der Diskurs über Idles drehte und sie von progressiven Vordenkern mit den Herzen am rechten Fleck zu kreativ ausgebrannten Posern aburteilte, die grundsätzlich fragwürdig waren. Sicher, auch ich mochte Ultra Mono letztes Jahr nicht wirklich, doch sah ich dahinter noch immer eine grundsätzlich sehr sympathische Gruppe ein Musikern, die sich eben am berüchtigten dritten Album verhoben hatten. Und wie bei solchen Gruppen üblich, soll LP Nummer vier diesen Schnitzer nun so schnell und deutlich wie möglich ausbügeln. Wobei man Crawler in so gut wie jeder Minute den Balanceakt anmerkt, der hier zwischen traditionellem Idles-Sound und dringend notwendiger Innovation stattfindet und der Antworten auf viele Fragen geben will, die Fans sich im Vorfeld stellten. Die wichtigste darunter: Ja, Idles schaffen es hier, sich aus ihrer eigenen kompositorischen Tretmühle zu befreien und ein durchgängig besseres Ergebnis abzuliefern. Mehr noch: sie klingen dabei sogar ziemlich lässig. Crawler fühlt sich in vielen Momenten nicht wie eine Platte an, die sich Veränderung aufzwingt, sondern sie viel eher selbst möchte und die Stellschrauben, an denen die Briten drehen, sind welche, die bereits in der Vergangenheit gut funktioniert haben. So werden in MTT 420 RR erneut die Vorzüge eines verhältnismäßig ruhigen Openers entdeckt, wie es ihn schon auf Joy As An Act of Resistance vor drei Jahren gab und auch generell wird Crawler an vielen Stellen auf angenehme Weise weicher und melancholischer als seine Vorgänger. When the Lights Come On, Progress und the Beachland Ballroom sind eher düstere Goth-Nummern als grantige Postpunk-Brecher und profitieren vor allem von dicken Synth-Einspülungen und der überraschenden Wandelbarkeit von Joe Talbot als Sänger. Wer allerdings noch immer die Idles am besten findet, die rotzig drauflos berserkern, bekommt diese hier ebenfalls wieder. Und wenn man mich fragt auch in einer erfrischenderen Variante als auf dem letzten Album. Tracks wie Crawl, Wizz oder Meds sind ohne jeden Zweifel sehr deftig und klobig, begnügen sich damit jedoch nicht zu sehr und haben zumindest mal wieder Refrains, die aus mehreren Worten bestehen. Wenngleich ich auch sagen muss, dass sie an die besten Momente der ersten beiden Idles-Platten nicht heranreichen. Was ein Problem ist, das dieses Album ganz generell hat. Nach der Talsohle von 2020 ist es definitiv ein Stück Musik, das diese Band wieder in einen kreativen Arbeitsmodus bringt, die Zweifel der letzten Platte jedoch nicht komplett ausräumt. Noch immer gibt es hier Stellen, in denen dieser Sound relativ ausgelutscht klingt und man sich fragt, wie lange das als Songwriting-Konzept noch funktionieren kann. Und in meinen Augen noch viel brenzliger: Joe Talbot ist als Texter nicht mehr derjenige, der er 2018 war. Auf ihren ersten Alben waren er und seine Lyrics für mich immer einer der wichtigsten Pull-Faktoren und die sind seit Ultra Mono einfach nicht mehr auf dem gleichen Level.  Nur hin und wieder gibt es von ihm hier mal einen dieser rotzigen Oneliner, die auch wirklich intelligent und verschnickt sind und nicht nur blöde Wortwitze. Und hier ist in meinen Augen dann auch tatsächlich die Trennlinie an der ich sagen muss: Ja, Idles sind hier wieder einigermaßen fit, aber es gibt eine Magie und eine Ästhetik an ihnen, die sie mittelfristsig wahrscheinlich eher nicht wiederfinden werden. Ihr jetziger Sound hat dabei sicherlich Ausdauer, aber eben nicht mehr dieses gewisse Etwas, das sie einst so besonders machte. Womit sie spätestens jetzt auch nur eine dieser Postpunk-Gruppen sind, von denen es eh schon viel zu viele gibt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
MTT 420 RR | When the Lights Come On | the Beachland Ballroom | Crawl | Meds | Progress | Wizz | the End

Nicht mein Fall
the Wheel | the New Sensation


Hat was von
Fontaines D.C.
A Hero's Death

Die Nerven
Out


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