Samstag, 3. Oktober 2020

Faustschläge der Liebe

 

[ barbarisch | politisch | laut ]

2020 ist das Jahr, in dem ich aufgehört habe, mich dazu zu zwingen, die Band Idles um jeden Preis gut finden zu wollen. Nicht, dass diese Mission von vornherein zum scheitern verurteilt gewesen wäre, und zeitweise mochte ich sie ja tatsächlich sehr gerne. Nur in vielerlei Hinsicht eben nicht so, wie ich eigentlich gehofft hatte. Dabei ist die Grundlage des ganzen, dass die Formation aus Bristol mit hundertprozentiger Sicherheit eine der sympathischsten Rockgruppen sind, die im Moment auf Erden wandelt und die ich für ihre Attitüde einfach lieben muss. Fünf rotznasigen, zutätowierten Testosteronpunkern dabei zuzusehen, wie sie mit maximaler Aggression positive Botschaften über Solidarität, Akzeptanz und Verletzlichkeit in die Welt schreien, erfüllt mein Herz nun schon drei Jahre mit Freude und Hoffnung und hat sie seitdem zu einer Band gemacht, deren Musik ich wirklich wertvolle Botschaften entnehme und die mir in jenen finsteren Tagen, die die letzten Jahre waren, mehr als einmal ein Lichtblick waren. That said, empfand ich auf musikalischer Seite selten die gleiche Euphorie über ihren Output. Sicher gab es im Herbst 2018 mal jene Phase, in der ich ihre zweite LP Joy As An Act of Resistance über den grünen Klee lobte, und nicht falsch verstehen: Einige Songs darauf sind gigantisch. Doch gab es seitdem auch kaum eine Platte, deren Faszination sich so schnell abnutzte und die ich mit fast jedem Hören weniger mochte. Trotzdem brauchte ich bis zum dritten Longplayer der Idles, um endgültig feststellen, dass sie wohl nicht mehr meine Lieblingsband werden, zumindest was die eigentliche Musik angeht. Betrachtet man die Sache mal nüchtern, ist Ultra Mono nun inzwischen das dritte Mal, dass die Briten ihr inhaltliches Potenzial klanglich nicht ausnutzen und einen Sound präsentieren, der mehr und mehr zur Formel wird. Dabei ist das hier auch das erste Mal, dass ich effektiv den Eindruck habe, Idles haben sich hier vielleicht etwas zu sehr an ihrem eigenen Klischee bedient. Rein klanglich ist Ultra Mono nicht viel mehr als die angespitzte Kopfnote der Dinge, die auf dem Vorgänger nachweislich gut funktioniert haben. Die Band spielt weiterhin jene unsanften, rabiaten Postpunk-Nummern mit viel interner Rhythmik, über die Frontsau Joe Talbot anschließend seine klobigen Gutmenschenpropaganda brüllt. Dass das Konzept Idles dabei kein feingeistiges oder elaboriertes ist, ist da an sich gar nicht das Problem, sondern eher, wie schnell man sich daran gewöhnt. Und wenn auf diesem Album elf von zwölf Tracks auf ein und dieselbe Weise funktionieren, die noch dazu etwas stumpf ist, ist der Unterhaltungswert einfach überschaubar. Im Unterschied zu Joy As An Act of Resistance wird diese strukturelle Schwäche hier durch die lyrischen Inhalte außerdem selten aufgefangen, was ziemlich kontraproduktiv ist. Zwar sind auch die Botschaften dieser LP grundsätzlich unterstützenswert und dass Talbot sich erneut so deutlich gegen strukturellen Sexismus, Hegemonie und Nationalismus äußert, ist klasse, doch geben diese Texte auf einer künstlerischen Ebene wenig her. Wo ältere Songs wie Mother, Danny Nedelko oder Great über starke zentrale Parolen funktionierten, sind die Hooks hier nicht im Mindesten so catchy, was teilweise sogar Absicht sein könnte. In meinen Augen verspielen sich Idles damit aber ihre größte Stärke und werden nicht selten etwas monoton. Man könnte jetzt damit kontern, dass die Band dadurch ihren unterschätzten Hang für Balladen besser herausspielt, aber mit A Hymn gibt es davon leider nur eine einzige ganz am Ende der LP. Und mit all diesen Ausfällen an verschiedenen Fronten kann ich diesmal auch mit sehr viel gutem Willen nicht anders, als das hier ziemlich mittelmäßig zu finden. Idles sind hier weiterhin eine Band, die wichtige Dinge sagt und deren frohe Botschaft ihnen meilenweit vorauseilt, doch die ich gerade auch ausschließlich dafür schätze. Was ihre Musik angeht, sind sie - zumindest momentan - in der gleichen Liga wie Kraftklub oder die Antilopen Gang: Ideologisch nah, künstlerisch fragwürdig. Und das voneinander zu trennen fällt mir manchmal einfach schwer. Zumindest habe ich es jetzt aber mal erkannt.


Hat was von
Die Nerven
Fun

Protomartyr
Relatives in Descent

Persönliche Höhepunkte
War | Grounds | Model Village | A Hymn

Nicht mein Fall
Kill Them With Kindness | Carcinogenic | Danke

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