Freitag, 30. Oktober 2020

Blase geplatzt

 

  
 
[ deutschrockig | postironisch | schlau ]

Als die Screenshots im Frühjahr 2018 auf der Landkarte der deutschsprachigen Popmusik auftauchten, war das für mich in vielerlei Hinsicht ein etwas seltsames Ereignis. Nicht, weil diese Band an sich irgendwie seltsam gewesen wäre oder ihre Songs, sondern eher, weil ich ihr nicht auf die Art begegnete, wie ich das sonst bei einer neuen Gruppe mache, deren Musik mich interessiert. Was man dazu wissen muss ist, dass der Aufhänger dieses Trios, als es vor zwei Jahren seine ersten Schritte machte der war, dass dessen Mitglieder Susi Bumms, Kurt Prödel und Dax Werner schon davor gewissermaßen Promis in der nischigen Welt des deutschsprachigen Twitter-Kosmos waren, in dem ich mich ebenfalls schon etwas länger bewege. Als die Screenshots also auftauchten, kamen sie als Band eher aus einer ganz anderen Dimension meines persönlichen Interesses und es fühlte sich etwas komisch an, auf diesem Format in ziemlich analytischer Art und Weise über ihre ersten Sachen zu schreiben, obwohl ich daran wenig zu kritisieren hatte. Zwei Jahre später hat sich diese Berührungsangst allerdings ein kleines bisschen gelegt, was vor allem daran liegt, dass die Gruppe jetzt ein ganzes Stück bekannter ist. 2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee, ihr formell gesehen erster richtiger Longplayer, steht in diesem Moment auf Platz 45 der offiziellen deutschen Albumcharts, hinter den Sockenpuppen aus dem Internet sind inzwischen drei angenehm stinknormale MusikerInnen hervorgetreten und von den Leuten, die ihre Songs jetzt hören, wissen vermutlich gar nicht mehr so viele, dass sie einst dieses obskure Twitter-Ding waren. Das einzige, was von dieser Art Band hier noch übrig geblieben ist, ist ihre Herangehensweise an Songs, die inhaltlich immer noch viel des kantigen, post-post-postironischen Spartenhumors der Bubble hat und sich in vielen Dingen auf dieser LP zeigt. Seien es offensichtliche Hints wie der Songtitel j@@@@@@@ und die paar versteckten Shoutouts an einschlägige Accounts in Liebe Grüße an alle oder ganz einfach die Themen, die hier immer wieder auftauchen. Wobei man inzwischen fast sagen kann, dass viele davon auch originär dem Kosmos Screenshots entstammen und ganz einfach den Stil dieser Band ausmachen. So kann man es beispielsweise als postironisches Statement sehen, dass 2 Millionen so herrlich bescheuert nach deutschem Zwotausender-Indierock der Marke Madsen und Sportfreunde Stiller klingt, oder man kann einfach sagen, dass diese Drei solche Musik eben mögen. Genauso verhält es sich mit ihren Texten, die natürlich irgendwie bewusst Klischees aushöhlen und zeitgenössische Mindsets karikieren, aber bei denen man sich ruhig mal fragen sollte, ob sie vielleicht doch ab und zu ernst gemeint sind. Zumal das unmittelbare Comedy-Level auf 2 Millionen schon wesentlich subtiler ist als früher auf Songs wie Bühne oder Cornetto. Am deutlichsten erkenne ich das hier noch in Stücken wie Wir lieben uns und bauen uns ein Haus oder Träume, in denen recht klar die Ideen von Erfolg-ist-kein-Glück-Credos, privater Vorsorge und selbstgewählter Verspießung parodiert werden. Ansonsten vielleicht noch auf Snacks, wobei es hier wohl eher keinen doppelten Boden gibt. Und bis auf letzteres Beispiel finde ich das auch gut, ich schätze aber auch die Momente, in denen sich mal die echten Gefühle durchdrängeln, wie die letzte Strophe von Airbnb oder die tolle, von Susi Bumms gesungene Ode an den Kitsch, John Mayer. Auch beweist die Band ein weiteres Mal ihr Talent für großartige Closer mit j@@@@@@@, das einfach nochmal ein großes emotionales Ausrufezeichen an den Schluss dieser LP setzt. Wobei 2 Millionen auch durchaus eine Platte ist, mit der ich erstmals Probleme bei dieser Band sehe. Gerade im Mittelteil finden sich mit Snacks und Für immer niemals da zwei Tracks, die dem Album nichts hinzufügen und eher ein bisschen verpeilt sind. Was mir außerdem auffällt ist, wie krass das Energielevel in den letzten drei Songs nochmal ansteigt und wie die Screenshots erst hier so richtig in Fahrt kommen. Nicht, dass alles vorher total lahm gewesen wäre, doch ich will auch nicht leugnen, dass ein Walther White ist tot oder Die Welt geht noch nicht unter ausbaufähig finde. Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass 2 Millionen erneut ein äußerst stabiles Stück Musik der KrefelderInnen ist. Den künstlerischen Charakter, den sie sich in den letzten zwei Jahren aufgebaut haben, denken sie hier konsequent weiter, werden damit nicht langweilig und schaffen mit Songs wie Wir lieben uns und bauen uns ein Haus oder j@@@@@@@ erneut kleine Hymnen, bei denen zumindest ich mir sicher bin, dass ich sie so schnell nicht vergessen werde. Und das ist am Ende des Tages ein ziemlich großes Qualitätsmerkmal, wie ich finde.


Hat was von
Madsen
Na gut dann nicht

Tocotronic
Wir kommen um uns zu beschweren

Persönliche Höhepunkte
Manchmal | Liebe Grüße an alle | Airbnb | Träume | Wir lieben uns und bauen uns ein Haus | John Mayer | j@@@@@@@

Nicht mein Fall
Snacks | Für immer niemals da

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