Montag, 5. Oktober 2020

Song On the Beach


 Fleet Foxes - Shore

 
[ atmosphärisch | sommerlich | leicht ]
 
Mit der Kür von Helplessness Blues zu meinem Lieblingsalbum der vergangenen Dekade hatte sich für eine Weile unausweichlich der Eindruck verfestigt, dass die Fleet Foxes ja definitiv eine dieser ganz speziellen Bands sein müssen. Eine von denen, die ihre Musik stets mit besonders akribischer Sorgfalt angehen, die die Fähigkeit haben, Schöngeistigkeit auf einer völlig anderen Ebene zu verstehen und die - und darin liegt vielleicht der größte Irrglaube - prinzipiell unfehlbar sind. Und sicher, besagtes zweites Album der Gruppe aus Seattle hat all diese Eigenschaften und ist so unfehlbar, wie ein Pop-Album irgendwie sein kann. Doch sollte ich ob meiner eingehenden Beschäftigung damit eigentlich auch wissen, dass das alles keine göttliche Eingebung war und die Fleet Foxes weniger musikalische Genies sind als einfach unverbesserliche Perfektionisten, deren erste beide Platten vor allem deshalb so geliebt werden, weil diese in übermenschlicher Detailverliebtheit und einem Arbeitsethos am Rand der Selbstgeißelung entstanden. Eine Vorgehensweise, die sich das Quintett seitdem zum Glück etwas abgewöhnt hat. Mit der selbstauferlegten Bandpause zwischen 2012 und 2016 wurden nach Helplessness Blues erstmal wieder ausführlich die Akkus gefüllt, bevor es mit Crack-Up 2017 als frisch entschlackte Formation zurück auf die Bühne ging. Ein Comeback, dass bei mir damals sehr gemischte Gefühle auslöste. Nach dem besten Album der Dekade und sechs Jahren ohne neue Platte wollte ich an dieser Stelle unbedingt ein neues Meisterwerk haben, welches ich mir seinerzeit auch irgendwie zurechtdeutete. Die nüchterne Wahrheit habe ich inzwischen aber erkannt, denn so großartig war Crack-Up tatsächlich nicht. Es präsentierte die Band eher in einer klanglichen Findungsphase als in einer fertigen neuen Form und setzte stärker auf subtile Zwischentöne als auf große Hurras, was eben nicht ganz so unterhaltsam war. Außerdem stellte es stellte bezüglich der Marschrichtung dieser Gruppe viele Fragezeichen in den Raum, die lange erstmal stehen blieben. Drei Jahre später erscheint mit Shore nun spontan Album Nummer vier und bringt zumindest etwas Licht ins Dunkel. Wobei die wichtigste Erkenntnis dieser neuen LP ist, dass die Fleet Foxes kein Interesse daran haben, zurückzublicken. Obwohl viele Momente hier wieder etwas bunter und beschwingter sind als auf Crack-Up, ist der Grundtenor doch wieder jener sehr atmosphärische und chillige, der beim letzten Mal ein bisschen ernüchternd war. Was auch definitiv heißt, dass es hier wieder Stellen gibt, an denen das Album seine Längen hat und für meine Begriffe ein bisschen zu ausdruckslos herumeiert. Anders als beim Vorgänger habe ich hier aber den Eindruck, dass die Fleet Foxes das beste daraus machen und die umfassende Atmosphärik mit jeder Menge Leben füllen. Shore ist von der klanglichen Ästhetik her ein sehr warmes, sommerliches Album, das im Sinne seines Titels tatsächlich klingt wie Tage am Meer, lange Sonnenuntergänge und weiße Segel. Nicht unbedingt auf die spritzige Best Coast-Art und Weise, sondern eher so wie Beirut oder Mount Eerie manchmal sommerlich klingen. Mehr denn je findet dabei auch die traditionelle Verehrung der Band für die Musik der Beach Boys einen Platz und von Zeit zu Zeit tauchen sogar Impulse aus Bossa Nova und südamerikanischem Folk auf. Und obwohl es diesmal noch weniger als auf dem Vorgänger um Songs geht, sondern eher alles eine klangliche Fläche bildet, sind die Hooks und Melodien der "alten" Fleet Foxes zumindest teilweise zurück, was definitiv Spaß macht. Sicher gibt es am Ende einen Teil von mir, der sich wünscht, diese Band hätte immer noch die gleiche kompositorische Mega-Energie wie vor zehn Jahren, doch Shore ist höchstwahrscheinlich das Album, das mich mittelfristig für diesen neuen klanglichen Entwurf begeistern kann. Meine anfängliche Skepsis gegenüber dieser LP weicht zumindest bis jetzt mit jedem Hördurchgang mehr auf und ich beginne gerade erst, den Vibe der Platte wirklich zu genießen. Aus meiner bisherigen Erfahrung weiß ich zwar, dass es bei dieser Gruppe mitunter Jahre braucht, um meine Meinung über ein Album wirklich zu festigen, doch ist mein Gefühl hier erstmal sehr gut. Und obgleich die Fleet Foxes nicht unfehlbar sein mögen, ein ernsthaft schlechtes Stück Musik traue ich ihnen nach wie vor nicht zu.

P.S.: Eine der schönsten kleinen Verschwörungstheorien zum bisherigen Katalog der Fleet Foxes fand ich jüngst in der Shore-Besprechung des Rateyourmusic-Users drustann, der in den vier Alben der Band aus Seattle eine Repräsentation der vier Jahreszeiten sieht. Das Debüt ist dabei der Frühling, Helplessness Blues der Herbst, Crack-Up der Winter und dieses hier der Sommer. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr passt diese Zuschreibung. Ein Schelm, wer Absicht unterstellt.

 
 
Hat was von
Midlake
Antiphon
 
Woods
Love is Love
 
Persönliche Höhepunkte
Can I Believe You | Jara | Featherweight | A Long Way Past the Past | Maestranza | Young Man's Game | Going-to-the-Sun-Road | Thymia | Cradling Mother, Cradling Woman | Shore
 
Nicht mein Fall
-
 

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