Mittwoch, 21. Oktober 2020

Der Neunziger Clubmix

Róisín Murphy - Róisín Machine 


[ clubbig | sexy | nachtaktiv ]

Es hat in meinen Augen immer etwas spannendes an sich, wenn sich Menschen jenseits der 40 nochmal dazu entscheiden, ein tanzbares Pop-Album aufzunehmen und richtig auf die Kacke zu hauen. Vor allem dann, wenn das vorher eher nicht so unbedingt ihr Style war. Oft sind es gerade die verhuschten Leisetreter*innen ohne Vorerfahrung in der Clubwelt, die es hinbekommen, dieser sehr spezifischen Art von Musik tatsächlich etwas neues abzugewinnen und spannende neue Perspektiven zu eröffnen. Ob das ein Iggy Pop ist, der sich auf seine alten Tage mit dem Technotrance von Underworld anfreundet, eine Cher, die plötzlich mit Autotune experimentiert oder ein David Bowie, der Dancehall und Drum & Bass für sich entdeckt. Sicher sind nicht alle dieser stilistischen Ausflüge immer geschmackvoll und/oder erfolgreich, doch sie haben immer etwas eigenes. Und so wie es aussieht, gehört Róisín Murphy jetzt ebenfalls zu diesen Musiker*innen. Mit inzwischen 47 Jahren (Ja, auch ich dachte sie wäre jünger) ist sie inzwischen eine echte Veteranin in der britischen Pop-Landschaft und dabei auch schon immer irgendwie eine Künstlerin, die grundsätzlich im Definitionsbereich elektronischer Musik aktiv war. Was es trotzdem nicht gerade schwierig macht, dieses jüngste Album von ihr als ihr bis dato tanzbarstes und groovigstes zu identifizieren. Und als das erste, dem man explizit vorwerfen könnte, zumindest zu einem großen Teil für den Club gemacht zu sein. Insofern, dass es sich tatsächlich in vielen Punkten eher anfühlt wie ein Set als wie ein Album. Die genauen stilistischen Parameter sind dabei Ansichtssache, doch sehe ich als wesentliche Knotenpunkte House, Discopop und, ja, Triphop. Letzteres sollte nicht verwundern, da Murphys musikalische Wurzeln hier liegen und wenn man in den 10 Tracks genau hinhört, finden sich jede Menge Einflüsse britischer Neunziger-Elektro-Acts wie Massive Attack, Faithless, Madonna, die Chemical Brothers oder Primal Scream. Leute, die ja schlussendlich zur gleichen Generation gehören wie sie. Dass diese Impulse hier aufgegriffen werden, erfreut mich als großer Fan dieser klanglichen Periode natürlich immens, was noch besser dadurch wird, dass Murphy diesen Sounds wirklich Platz einräumt. Allein die ersten drei Stücke gehen jeweils über sechs Minuten, wodurch sie extrem gut in jene verschwitzte, nokturnale Club-Atmosphäre einführen, die sich über die gesamte erste Hälfte von Róisín Machine fortsetzt. Und obwohl Teil zwei mit Songs wie Murphy's Law oder We Got Together etwas lockerer und Disco-mäßiger wird, bleibt jene treibende, pumpende Qualität - wie bei einem guten DJ-Set - immer präsent. Würde dieses Album in voller Länge auf einer Houseparty laufen, würde ich es bis auf ein paar unlogische Übergänge überhaupt nicht merken und wahrscheinlich auch gut dazu abzappeln. Mit seiner erst packenden, rhythmischen Spannung und späteren melodischen Auflösung wäre es sogar ziemlich optimal für sowas. Mit 54 Minuten nur etwas kurz, obwohl es sich auch schon länger anfühlt als es ist. Diese Eigenschaft bedeutet natürlich, dass es ziemlich gut ist, wobei ich persönlich auch einen kleinen Haken sehe. Denn ein Album zum zuhören ist es definitiv nicht. Sich mit Róisín Machine hinzusetzen und es als auditives Erlebnis zu besprechen, missversteht seine Kompetenzen aufs ärgste, denn als körperliches Erlebnis ist es wahrscheinlich viel besser. Um das zu verifizieren, wäre es aber notwendig, es in Clubs laufen zu lassen, was momentan ja leider nicht so einfach ist. Und das ist fürs erste auch das letzte, was es darüber zu sagen gibt: So eine LP innerhalb einer Pandemie zu veröffentlichen, ist ziemlich fies. Denn wer das hier hört, weiß, was fehlt. Und es fehlt irgendwie doch.


Hat was von
Robyn
Body Talk

Madonna
Music

Persönliche Höhepunkte
Simulation | Kingdom of Ends | Something More | We Got Together | Narcissus | Jealousy

Nicht mein Fall
-

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